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Furchtlos, eigensinnig, stark? Bedeutende Frauen der Weltgeschichte (besser) kennen lernen

Erfinderinnen, Künstlerinnen, Revolutionärinnen – Frauen werden in der Geschichtsschreibung häufig ignoriert. Das wollen nun einige Kurzbiografie-Sammlungen ändern. Wir beschäftigen uns mit diesem Trend und haben uns diese Bücher für euch angeschaut.

Hedy Lamarr, Tove Jansson, Frida Kahlo (v.l.n.r.)

Von Simone Veenstra

3.6.2018 - Wir alle haben eine Vorliebe für Listen. Die Top Ten der meist gehörtesten Pop-Songs, die Top-20 der coolsten Film-Stars, die fünfzehn Bücher, die wir in unserem Leben noch lesen müssen … Im Internet garantieren solche Listen schnelle Unterhaltung und viele Klicks.

Auch biografische Zusammenstellungen in Buchform finden ein großes Publikum. Versammelt werden hier unter einem Oberthema bekannte und auch mal weniger bekannte Menschen, die Besonderes geleistet haben. Vollständige Biografien oder enzyklopädisches Auflisten aller zu dem Thema gehörender Namen können und wollen diese Sammlungen nicht leisten. Sie bieten eine Auswahl, eine kleine Übersicht, ein bisschen Einordnung und im besten Falle auch bisher Unbekanntes, interessante Anekdoten und Informationen.

Wenn nicht extra „Frauen“ draufsteht, sind halt Männer drin

Wo allerdings eine Auswahl erfolgt, stellt sich auch immer die Frage nach den Auswählenden: Wer entscheidet, welche Menschen unter die wichtigen zehn, zwanzig oder mehr gehören - und welche nicht? Und: Wie viele davon sind Männer, wie viele Frauen?

Dass letztere oft weniger vertreten sind, verwundert innerhalb einer Gesellschaft nicht, die jahrhundertelang nur dem Blick jener Männer folgte, die in ihrer eigenen Geschichtsschreibung den Stellenwert weiblicher Kolleginnen, Freundinnen, Beraterinnen und Mitstreiterinnen gerne verschwiegen.

Margaret Hamilton mit Judy Garland in "The Wizard of Oz", Josephine Baker, Clémentine Delait (v.l.n.r.)

Im Vergleich zu den Männern erreichen also Künstlerinnen, Sportlerinnen oder Wissenschaftlerinnen aller Zeiten eine eher spärliche Öffentlichkeit. Dem wollen schon seit Jahren Anthologien wie „Berühmteste Frauen der Weltgeschichte“, „Starke Frauen und ihre Katzen“, „Frauen, die denken, sind gefährlich“, „Eigensinnige Frauen“ oder auch „100 Frauen, die die Welt verändert haben“ entgegenwirken.

Muss jede erfolgreiche Frau auch als „stark“ bezeichnet werden?

Zugegeben, die Titelwahl zieht ab und an zwiespältige Gefühle nach sich: Klingt „eigensinnig“ nicht ein klein wenig negativ, nach dickköpfig, aber vor allem nach Ausnahmeerscheinung? Und weshalb ist es nötig, extra dazuzuschreiben, dass all jene Frauen, die etwas erreichen, „stark“ sind? Legt eine extra Betonung darauf nicht nahe, hier wird eine Bezeichnung genutzt, die uns Frauen eigentlich gar nicht zu Eigen sei? Welcher Mann wird extra als „stark“ bezeichnet – oder, wenn wir schon dabei sind, als eigensinnig?

Zum Vergleich: Wer „starke Frauen“ in Büchern sucht, findet eine Vielzahl – mit und ohne Katzen. Mit und ohne Kalendersprüchen. Mit und ohne Fotos (natürlich attraktiver Frauen). Wer es dagegen mit dem Suchbegriff „starke Männer“, probiert, landet eher früher als später bei Titeln wie: „Die Sehnsucht der starken Frau nach einem starken Mann“ oder „So können starke Männer starke Frauen lieben“.

Dass und warum es immer noch und umso nötiger ist, Frauen und ihren vielfältigen Leistungen Raum und Öffentlichkeit zu geben, erklärt eindringlich ein kurzer Film von Elena Favilli und Francesca Cavallo (s. unten). Er entstand für die Crowdfunding-Aktion, mit der die beiden italienischen Autorinnen ihr Buch „Good Night Stories for Rebel Girls “ finanzierten – übrigens mit durchschlagendem Erfolg: über eine Million Dollar erzielten sie damit.

Wenige Kinderbücher mit positiven, aktiven Heldinnen

Der Leitsatz des Films lautet „Wenn Sie eine Tochter haben, müssen sie das sehen!“ Eine Mutter und ihre Tochter nehmen sich darin ein gut gefülltes Bücherregal vor. Zunächst entfernen sie jene Bücher, die keine männlichen Protagonisten haben – ganze drei. Nach und nach entledigen sie sich anschließend all jenen, die keine weiblichen Figuren haben (76 Stück), jenen, in denen die weiblichen Figuren nicht sprechen (141 Bücher), jenen ohne weibliche Figuren mit Träumen und Zielen, jenen, in denen es um Prinzessinnen geht – und was übrig bleibt, ist erschreckend wenig. Am Ende wendet sich das Mädchen in Richtung des Buchhändlers und fragt: „Entschuldigung? Ich möchte zum Mars reisen. Haben Sie ein Buch dafür?“

Eine Antwort gibt es darauf nicht. Das wollen die beiden Autorinnen ändern – auch weil sie der Meinung sind, das Fehlen von positiven, aktiven Heldinnen in Büchern sorge bei lesenden Mädchen für abnehmendes Selbstvertrauen, selbst etwas erreichen zu können.

Good Night Stories for Rebel Girls

Also schlossen sie diese Lücke einfach selbst und schrieben das Buch „Good Night Stories for Rebel Girls - 100 außergewöhnliche Frauen“ (Hanser Verlag, 24 Euro). Auf jeweils einer Doppelseite – links der Text, rechts je eine ganzseitige Illustration von verschiedenen Künstlerinnen – werden hier unter anderem Sportlerinnen, Abenteuerinnen, Politikerinnen, Wissenschaftlerinnen, Widerstandskämpferinnen und Künstlerinnen aus vielen Jahrhunderten vorgestellt. Einige kennt man, etwa wie die Pharaonin Hatschepsut, die Malerin Frida Kahlo, die Opernsängerin Maria Callas oder die Physikerin Marie Curie. Andere dagegen sind weniger bekannt oder gar Neuentdeckungen wie Coy Mathis, jenes im Körper eines Jungen geborenen Mädchen, das schon im Alter von sechs Jahren einen rechtlichen Präzedenzfall schuf, um die schulische Mädchentoilette benutzen zu dürfen.

Hanser Verlag

Lesbische Beziehungen bleiben leider unerwähnt

Zwar lassen sich – vor allem, da die Texte deutlich kindgerecht formuliert sind - natürlich nur verknappt die wichtigsten Details erzählen. Dass jedoch bei jenen im Buch vorgestellten Frauen, deren lesbische Beziehungen nicht aus ihrem Leben und Schaffen wegzudenken sind (wie beispielsweise Frida Kahlo oder aber Virginia Woolf), ausgerechnet diese Information ausgespart wird, ist mehr als schade. Gerade wenn es darum geht, Selbstvertrauen zu inspirieren. Schließlich gehört dazu auch das Selbstvertrauen in die eigene sexuelle Vorliebe. Nicht nur ein „Du kannst werden, was du willst“, sondern auch ein „Du kannst sein, wer du bist“.

L-Mag findet: Hut ab! Aber wir haben einen Wunsch für den Ende 2018 erscheinenden zweiten Band der „Rebel Girls“: Mehr Diversität!


Unerschrocken - 15 Porträts außergewöhnlicher Frauen

So wie es zum Beispiel die französische Zeichnerin und Autorin Pénélope Bagieu schafft. Von ihr sind inzwischen zwei Bände „Unerschrocken – 15 Porträts außergewöhnlicher Frauen“ im Reprodukt Verlag (beide 24 Euro) erschienen. Anstatt zu versuchen, ein ganzes Leben auf eine Seite zu packen, finden sich hier mehrseitige Comics, die ganz spezielle, wichtige Momente im Leben der Portraitierten abbilden. Das ist kurzweilig, gut recherchiert, alles andere als altbekannt, wird oft mit einem Augenzwinkern präsentiert und bietet einen unglaublich nahen Zugang. Schon die auf dem Cover abgebildeten Portraits sind mehr als vielfältig, nicht nur was Alter und Herkunft betrifft.

Reprodukt Verlag

Vielfalt, auch was sexuelle und geschlechtliche Identität angeht

So mag man auf dem Titelbild des ersten Bandes mittig rechts noch Josephine Baker erkennen, doch wer weiß schon, wer Clémentine Delait ist – die bärtige Dame oben links? Oder Margaret Hamilton, hier in ihrer berühmtesten Rolle als Hexe im Film „Der Zauberer von Oz“ dargestellt? Oder aber die Frau mit dem Blumenkranz im Haar unten links - Tove Jansson, jene lesbische Zeichnerin, die die Mumins erfand. Nicht nur der Beziehung zu ihrer Lebenspartnerin Tuulikki Pietilä wird in ihrem Kapitel Raum gegeben, auch findet Bagieu treffende Worte für eine kurze Einordnung, was es für die beiden Frauen damals hieß, offen lesbisch zu leben.

Überhaupt geht es in den biografischen Schlaglichtern oft und gekonnt um das gesellschaftliche Verhältnis, in denen sich die portraitierten Frauen bewegen  mussten - um Frauen, die sich zum Mann erklärten, Männerrollen annahmen, sich ihre Familien aber auch ihr Selbstverständnis als Frau erschufen, abseits der Rollennormen und des Geschlechts, mit dem sie geboren wurden.

Kleiner Tipp zum Vergleich: Sowohl hier wie auch in den „Rebel Girls“ finden sich die Schwestern Mirabal“, auch genannt „Las Mariposas“, Widerstandskämpferinnen in der Dominikanischen Republik.

Unglaubliche Bandbreite

Auch im zweiten Band gelingt Bagieu bei nur 15 Portraits eine unglaubliche Bandbreite. Die Schauspielerin und Erfinderin Hedy Lamarr, Kunstsammlerin Peggy Guggenheim und die Journalistin und Kriegsberichterstatterin Nelly Bly dürften die Bekanntesten sein – doch auch hier finden sich gezeichnete biografische Szenen, die sicher nicht allen geläufig sind.

Verblüffend sind die Kapitel über die Autistin und Tierdolmetscherin Temple Grandin oder die Ärztin Frances Glessner Lee, deren „nutshell studies of unexplained Death“ (Miniaturnachbildungen ungelöster Verbrechen ) in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts die Gerichtsmedizin revolutionierten.

L-Mag findet: Wunderbar, alles richtig gemacht! Wir sind Fan!

 

Und sonst so?

Wesentlich mehr solcher Anthologien lassen auf dem internationalen Markt finden und sind noch nicht übersetzt. Einige haben wir uns für euch angesehen und stellen sie in Teil 2 vor.

Simone Veenstra war früher L-MAG-Redakteurin und schreibt Bücher für Kinder und Erwachsene und Drehbücher. Mehr über sie und ihren aktuellen Roman „Sind dann mal weg" erfahrt ihr auf ihrer Webseite.

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