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Kinotipp: „Im Stillen laut“ – Ein eigensinniges Frauenpaar in der DDR

„Im Stillen laut“ porträtiert ein Künstlerinnenpaar, das in der DDR einen kreativen Kunsthof aufbaute. In ruhigen Bildern und mit viel Raum für die beiden Frauen zeigt der Film ein Stück Ost-Geschichte, wie sie bisher noch nicht zu sehen war.

Salzgeber

Von Dana Müller

7.10.2020 - Es ist eine außergewöhnliche Lebensgeschichte: Erika und Tine, beide 81 Jahre alt, sind seit über vierzig Jahren ein Paar, gemeinsam haben sie in Lietzen (Brandenburg) Anfang der 80er Jahre einen wilden Kunsthof erschaffen. Ein kleines Stück Freiheit mitten in der ländlichen Idylle - und das in der DDR, wo so manche ausschweifende Kreativität von Staatsseite aufs Genaueste beobachtet wurde. Es wurde getanzt, gebaut, gemalt, kreative Ideen mit anderen Kunstschaffenden ersonnen.

„Es mag wie ein Spaß klingen, jedoch ging es um die Existenz, um einen Platz, der für ein Leben und die Arbeit einer Malerin und Bildhauerin ausreichen sollen“, erinnert sich Christine Müller-Stosch (Tine) in ihren Tagebucheinträgen. Als Künstlerin wollte Erika Stürmer-Alex nach ihren Studienreisen, die unter anderem nach Ungarn, Russland und Paris führten, mehr Freiraum für ihre Arbeiten und damit auch andere inspirieren, und so wuchs in ihr die Idee eines Hofprojektes.

Stasi-Bericht: Wild tanzende, nackte Künstlerinnen 

1982 erhielt das Paar den alten verfallene Hof „entgegen der Bemühungen“ der Staatssicherheit (wie es in den alten Stasi-Unterlagen heißt) und begann schon bald mit dem Umbau. Es folgten Kurse für Malerei, Grafik und Collage. Wenn die beiden Frauen heute in dem ausgebauten Wohnzimmer sitzen, den Stasi-Bericht vor der Kamera lesen, amüsieren sie sich herzlich über die absurden Beobachtungen und Beschreibungen der Beamten.

So skizziert ein Mitarbeiter der Staatssicherheit seine Erlebnisse, als er auf den Hof kam: Lauter nackte Künstlerinnen und Künstler, mit Schleifen im Haar und am Körper, tanzten wild durcheinander. Er interpretierte in die Freizügigkeit sexuell ausschweifendes Leben. Bemerkenswert erschien ihm zudem „die ideologisch negative Entwicklung“ von Erika.

Dieser trockene Bericht, ironisch vorgetragen von der mittlerweile erfolgreichen Malerin und Bildhauerin, birgt heute eine Surrealität, mit der man das Leben in der DDR kaum noch verbindet. Die detailreiche Beschreibung des Alltags und die schräge Interpretation des Staatsapparates wirken verstaubt und allzu fern. Und dennoch muss man genau hinhören, was diese Einschätzungen am Ende für die Biografie der Künstlerin bedeutete.

Nach dem Mauerfall: Angst um den Hof wegen alter Besitzansprüche

Auch nach „der Wende“ kehrte für das Paar kaum Ruhe ein. Der Hof und die Geschichte der beiden Frauen durchlebten einen Wandel, mit dem wieder Sorgen einhergingen. Denn trotz der neuen beruflichen Möglichkeiten und Erfolge zeigen die Erlebnisse von Erika und Tine nur zu gut die Konflikte zwischen Ost und West auf, die in den 90er Jahren mit dem System-Umbruch einhergingen.

Alte Besitzansprüche, Unverständnis zwischen verschiedenen Seiten: allzu oft führte das in den neuen Bundesländern zu schweren Konflikten. Die Frage, wem der einst verlassene oder auch enteignete Grund und Boden gehört, sorgte für verbitterte Kämpfe. Und so mussten auch Erika und Tine zehn Jahre lang bangen, ob sie ihren liebevoll erschaffenen Hof behalten können.

„Zeigt die Nuancen des Lebens in der DDR“

Diese ungewöhnliche Geschichte der beiden eigensinnigen Frauen wird auf ungewöhnliche Weise erzählt. Ruhig. Mit langsamen Bildern, wenigen Worten und genügend Raum für beide Charaktere. Alte Fotos und Videoaufnahmen geben Einblick in das vielschichtige Leben, vorgetragene Tagebuchnotizen runden das Bild der Erinnerungen ab. Und treffender könnte ein Titel kaum sein. Denn Erika und Tine sind tatsächlich „im Stillen laut“.

Das dokumentarisches Porträt über ein wundersames Paar ist zugleich eine Liebeserklärung an ein außergewöhnliches Hofprojekt mitten in Brandenburg. „Mir war es wichtig, einen Dokumentarfilm zu machen, der die Nuancen des Lebens in der DDR zeigt, und dadurch die Komplexität der Auseinandersetzung mit dem System verdeutlicht“, erklärt Regisseurin und Producerin Therese Koppe. Auch wenn am Ende viele Fragen offen bleiben, Koppe ist es auf jeden Fall gelungen einen tiefen Einblick in eine erstaunliches Lebensgeschichte zu geben und zugleich zu einem Stück Aufarbeitung der Ost-Geschichte beizutragen.

Im Stillen laut, Deutschland 2019, Buch & Regie: Therese Koppe, 74 min., Kinostart: 8. Okt. 2020 (Termine)

Mehr Informationen zum Film und zum Kunsthof Lietzen gibt's auf der Webseite von Erika Stürmer-Alex

 

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