Deutschland ist das queerste Land Europas
Wie viele von uns gibt’s eigentlich? Eine Studie präsentiert überraschende Zahlen: In Deutschland gibt es europaweit die meisten LGBT – darunter mehr Frauen als Männer. Und die Werte steigen noch weiter, wenn man die Frage anders stellt.
andiweiland, PD Von Karin Schupp
l-mag.de, 23.10.16 - Wie viele wir sind, mögen wir unterschiedlich einschätzen, je nachdem, ob wir gerade in einem Provinzkaff oder auf einem CSD sind, aber auch die öffentlich kursierenden Zahlen schwanken stark: zwischen 3 und 10 Prozent der Bevölkerung war alles schon mal da. Das Marktforschungsinstitut Dalia präsentierte jetzt aktuelle Werte aus einer Online-Befragung, an der fast 12.000 Menschen aus neun EU-Ländern teilnahmen.
7,4 Prozent LGBT in Deutschland
Danach identifizieren sich 7,4 % der befragten Deutschen zwischen 14 und 65 Jahren als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender – und liegen damit über dem europaweiten Durchschnitt von 5,9 %.
Frauen und Jüngere labeln sich häufiger als LGBT
Die Frauen in Deutschland scheinen sich mit dem Labeln leichter zu tun: Sie sind mit 8,4% klar stärker vertreten als Männer 6,4 % und werden nur von den Niederländerinnen (10,3 %) übertroffen.
Mit 11,2 % besonders hoch ist der LGBT-Anteil in der jungen Altersgruppe (14-29 Jahre). Bei den 30-65-Jährigen sind es aber auch noch rund 6 %.
Und wenn man nach dem Sexualverhalten fragt?
Die Studie stellte aber neben der persönlichen Identifikation noch eine zweite Frage: die nach der „aktuellen sexuellen Orientierung“. Und jetzt wird's noch interessanter, denn zur Wahl standen hier sechs Antworten (die lose auf der Kinsey-Skala basieren): Zwischen den beiden Extrempolen „nur heterosexuell“ und „nur homosexuell“ gab es vier Abstufungen plus die Option „asexuell“.
Und schon stieg die Zahl der Nicht-(nur)-Hetersexuellen!
Wenn man alle sexuellen Orientierungen jenseits von „nur heterosexuell“ addiert, kommt man auf 10 % Menschen europaweit, die mindestens gelegentlich gleichgeschlechtlichen Sex haben, bei den 14-29-Jährigen sind es sogar 14 %.
Damit steht auch wissenschaftlich fest, was wir aus dem Alltag längst wissen: Nicht alle Menschen, die homosexuellen Sex haben, bezeichnen sich auch selbst als lesbisch, schwul oder bisexuell.
Fast 14 % der jungen Deutschen sind (ein bisschen) queer
Diese Tendenz zeigt sich auch in Deutschland: 13,6 % der 14-29-Jährigen leben nicht „nur heterosexuell“, 8,9 % der 30-49-Jährigen und 5,25 % der 50-65-Jährigen. Der Anteil derjenigen, die ausschließlich homosexuell leben, liegt dagegen nur bei 2-3 %.
Höhere Zahlen als bisher – wie kommt`s?
Wieso diese Werte höher ausfallen als in frühere Befragungen - Emnid etwa errechnete im Jahr 2000, dass 4,1 % der Männer und 3,1 % der Frauen homo- oder bisexuell seien -, hat vor allem zwei Gründe:
In der aktuellen Studie beantworteten die Teilnehmer die Fragen online und nicht telefonisch, wie das früher üblich und auch im Beispiel Emnid der Fall war. In der Anonymität der Online-Welt antwortet man nun mal ehrlicher als im direkten Gespräch am Telefon, auch wenn man die andere Person nicht kennt und nie treffen wird.
Mehr Akzeptanz bedeutet auch mehr Coming Outs
Und: In Ländern, in den die Akzeptanz von Homo- und Bisexualität gewachsen ist, stehen die Menschen eher zu ihrer sexuellen Orientierung. Dass das nicht überall der Fall ist, zeigt sich am Schlusslicht der Befragung: Ungarn. In dem stark nach rechts gerückten Land identifizieren sich nur 1,5 % der Befragten als LGBT (auch hier eher Frauen als Männer). Dabei gibt es keinen rationalen Grund anzunehmen, dass dort weniger queere Menschen leben als anderswo.
Die Studie führte Dalia Research im Rahmen seiner regelmäßigen Online-Befragung EuroPulse durch.
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