Filmtipp „Die jüngste Tochter“: Leises Coming-out zwischen Familie und Selbstfindung
„Die jüngste Tochter“ erzählt von der Identitätssuche einer jungen muslimischen Lesbe, die in der Pariser Banlieue aufwächst. Ein kraftvoller, zärtlicher und fesselnder Film mit einer herausragenden Hauptdarstellerin. Kinostart: 25. Dez. 2025.
Alamode Film Nadia Melliti (l.) und Park Min-ji in „Die jüngste Tochter“Von Annabelle Georgen
21.12.2025 - Sie hat das Profil einer Königin, deren Schönheit sie selbst noch nicht wahrnimmt, und einen schüchternen, melancholischen Blick. Fatima führt das Leben einer gewöhnlichen französischen Teenagerin, zwischen Gymnasium, Fußballtraining und Abendessen mit den Eltern und den älteren Schwestern. Morgens steht sie in aller Frühe auf und beginnt ihren Tag alleine mit Gott, indem sie ihr Gebet spricht. Sie verbringt ihre Tage im Klassenzimmer, umgeben von ihrer Clique. Es gibt kein Mädchen in ihrer Nähe, sie fühlt sich nur unter Jungs wohl, sie ist eine von ihnen.
Dieser routinierte Alltag wäre ihr genug, wäre da nicht dieser innere Konflikt, der in ihr brodelt. Nadia Melliti, die großartige junge Nachwuchsschauspielerin, die Fatima verkörpert, verleiht diesem Unbehagen durch ihre stille, aber starke Präsenz und ihre abgewandten Blicke Gestalt. Wenn man ihr Fragen stellt, die sie verstören und ihre Verunsicherung offenbaren könnten, schaut sie auf den Boden, vor sich hin, in die Ferne. Die Regisseurin Hafsia Herzi filmt sie in Nahaufnahmen, als wolle sie den Sturm, der sich im Verborgenen bei Fatima zusammenbraut, besser sichtbar machen.
Fatima steht auf Mädchen, das ist offensichtlich
Fatima steht auf Mädchen, das ist offensichtlich und das empört sie. Sie will dagegen ankämpfen, aber sie will auch nicht, dass es jemand erfährt, denn ihre Jugend, ihre Erziehung und ihre Religion machen es ihr unmöglich, ihre Identität zu akzeptieren. Zumindest momentan. Fatima ist begierig darauf, mehr zu erfahren und zu verstehen, was mit ihr geschieht und wer und wo die Lesben sind.
Heimlich sucht sie Antworten bei einer älteren Lesbe, die sie über eine Dating-App kennengelernt hat, und bei einem Imam, den sie „für eine Freundin“ um Rat fragt.
In einem Kurs zum Umgang mit Asthmaanfällen – eine Metapher für den frischen Wind, den Fatima so dringend brauchen würde, um ihren Horizont zu erweitern – lernt sie Ji-Na (Park Ji-Min) kennen, eine junge Frau, in die sie sich schnell verliebt. Mit ihr gelingt es Fatima endlich, sie selbst zu sein, weit weg von der Pariser Banlieue und ihrer Familie, auf Lesbenpartys und bei der Pride-Demo in Paris.
Ohne Scham - aber auch ohne den Konflikt zu lösen, der sie quält
Doch bald ist sie wieder alleine, plötzlich Single und nun an der Uni. Sie baut sich nach und nach einen neuen Freundeskreis auf, in dem sie sich nicht mehr für das schämt, was sie ist. Ohne jedoch den großen existenziellen Konflikt zu lösen, der sie quält, ohne die richtigen Worte zu finden gegenüber einer liebevollen algerischen Mutter, die doch zu wissen scheint, was in ihrer jüngsten Tochter vorgeht.
Ein kraftvoller, zärtlicher und fesselnder Film, der dem gleichnamigen autofiktionalen Debütroman der jungen französischen Schriftstellerin Fatima Daas gerecht wird. Melliti wurde 2024 bei den Filmfestspielen von Cannes mit der Goldenen Palme als beste Darstellerin ausgezeichnet. Der Film gewann außerdem die Queer Palm.
Die jüngste Tochter, Frankreich/Deutschland 2025, Regie/Buch: Hafnia Herzi, nach dem gleichnamigen Roman von Fatima Daas, mit: Nadia Melliti, Park Min-ji u.a., 106 Min., Kinostart: 25.12.2025

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