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Homophobe Petition: Aufruhr im Ländle

Baden-Württemberg streitet um LGBTTIQ-Inhalte in den Lehrplänen. Jetzt sammelt eine Gegen-Petition Unterschriften

Vergangenes Jahr auf dem CSD in Mannheim - wie tolerant ist Baden-Württemberg? Der Streit um die Petition versetzt das Ländle in Aufruhr c: mowolf2000

l-mag.de 14.1. – Aufruhr im Ländle: Seit mehreren Wochen sorgt eine Petition auf der Internet-Plattform „openPetition“ für Streit. Unter dem Titel „Kein Bildungsplan unter der Ideologie des Regenbogens“ hat der Lehrer Gabriel Stängle aus dem Kreis Calw die Petition Ende November gestartet. Sie richtet sich dagegen, dass die grün-rote Landesregierung LGBTTIQ-Inhalte ab 2015 in den Lehrplänen verankern und damit für mehr Aufklärung über Homo- und Transsexualität in den Schulen sorgen will.

„Niemand will Diskriminierung“, sagt Stängle. „Die Diskriminierung von Homosexuellen, Bisexuellen, Transgender, Transsexuellen und Intersexuellen soll im Unterricht thematisiert werden. Aber die jetzigen Ziele der Landesregierung schießen über das Ziel hinaus.“ Stängle und seine MitstreiterInnen argumentieren damit, dass es einer Landesregierung nicht zustehe, sich so weit in Bildungsinhalte einzumischen. Es wird befürchtet, dass „verschiedene Sexualpraktiken in der Schule als neue Normalität“ progagiert würden, dass das „normale“ Geschlechtermodell von Mann und Frau in Frage gestellt und das gute Miteinander von Schule und Elternhaus empfindlich gestört werde.

Zahl der Unterzeichner steigt sprunghaft an

In drei Wochen ist die Zahl der Unterzeichner sprunghaft angestiegen. Mittlerweile haben über 61.000 Stängles Petition unterzeichnet, 100.000 werden bis zum Ende des Monats angestrebt. Stängle ist Mitglied und Referatsleiter des Realschullehrerverbandes und gut vernetzt in der entsprechenden klerikalen und evangelikalen Szene, was wohl mit ein Grund ist, warum seine Petition plötzlich so erfolgreich ist. Um diese zu zeichnen, muss man nicht in Baden-Württemberg wohnen. So sind aktuell laut der Statistik der Plattform-Betreiber nur knapp über die Hälfte der Unterzeichner Ländle-EinwohnerInnen. Seit Anfang Januar sind es sogar mehr UnterzeichnerInnen aus anderen Bundesländern. Hochburgen außerhalb Baden-Württembergs sind Berlin, Hamburg und die Ballungsräume München, Rhein-Main sowie in Nordrhein-Westfalen ganz besonders Münster und Dortmund.

Die grün-rote Landesregierung, die im März 2011 die CDU nach fast 60 Jahren an der Macht ablöste, hat es sich in vielen Bereichen zur Aufgabe gemacht, Toleranz und Akzeptanz für LGBTTIQ zu steigern. Vom Sozialministerium gibt es einen entsprechenden Aktionsplan „Für Akzeptanz und gleiche Rechte“. Dieser soll beispielsweise eine verbesserte Vernetzung von Schulen, Initiativen, Vereinen und Institutionen im Sozial- und Jugendbereich fördern. Darüber wird bereits seit Sommer 2013 im Landtag mit der Opposition gestritten.

Doch weder PolitikerInnen noch etablierte Medien äußerten sich zu der Petition oder nahmen sich des Themas an – bis zur vergangenen Woche. Da wies das Kultusministerium die in der Petition aufgenommenen Behauptungen zum neuen Bildungsplan als falsch und diskriminierend zurück. „Der neue Bildungsplan soll in den Schulen Werte wie Respekt, Toleranz und Weltoffenheit vermitteln“, sagte Kultusminister Andreas Stoch (SPD). „Diese Werte bilden eine wichtige Grundlage für ein gutes Zusammenleben in unserer Gesellschaft. ‚Sexuelle Vielfalt‘ wurde dabei im Zusammenhang allgemeiner Erziehungsziele aufgenommen.“ Es sei eines von mehreren Themen, die Kinder und Jugendliche darin bestärken sollen, sich selbst und ihr Gegenüber mit Wertschätzung und vorurteilsfrei zu betrachten.

„Wir müssen Nicht-Wissen bekämpfen“

„In Baden-Württemberg wären SchLAu-Teams bitternötig“, sagt der Sexualpädagoge Stefan Timmermanns. „SchLAu“ steht für schwul-lesbische Aufklärung in Schulen. Timmermanns, der inzwischen in Darmstadt lebt, ist einer der Mitbegründer von SchLAu in Nordrhein-Westfalen Ende der 90er Jahre. Inzwischen gibt es SchLAu in fast jedem Bundesland. „Wenn man Diskriminierung bekämpfen will, muss man Nicht-Wissen bekämpfen. Das gilt für Homophobie genauso wie für Rassismus und Sexismus. Daher ist es wichtig, dass das auf den Schulplan kommt, aber die Lehrer alleine können das auch nicht leisten“, so Timmermanns. Insofern sei der Ansatz der Landesregierung richtig.

Ginge es aber um den Bereich Pädagogik, dann entzünde sich daran immer sofort die Empörung. Und immer gäbe es sofort den Verdacht der „Gehirnwäsche“. „Das war 2000 so, als wir in NRW mit der „schlauen Kiste“, unseren standardisierten Arbeitsmaterialien, in die Schulen gingen, das war aber auch in Berlin und Rheinland-Pfalz so, als die einen ähnlichen Aktionsplan für mehr Toleranz beschlossen.“ Die Verfasser der Petition verwendeten Begriffe falsch. „Da werden bewusst Ängste geschürt!“ ärgert sich Timmermanns.

Das ärgert auch die Initiativgruppe Homosexualität in Stuttgart, die 2009 ein Schulprojekt startete, es aber aus Personal- und Geldgründen nicht eigenständig fortführen konnte. Sie sitzt mit in den Beratungen zu Aktions- und Bildungsplan und hofft, 2015 dann als „SchLAu Stuttgart“ wieder tätig werden zu können.

Gegen-Petition gestartet

Aus dem gleichen Unbehagen startete in der vergangenen Woche der Esslinger Bastian Burger eine Gegen-Petition. Im Kultusministerium kommt man jetzt den Medien- und Bürger-Anfragen kaum nach. Beide Petitionen sind jedoch rechtlich nicht relevant und würden nichts am Zeitplan der Regierung ändern: das Arbeitspapier, Grundlage für den Bildungsplan, wird gerade im zuständigen Beirat und den Kommissionen diskutiert, im Sommer wird es eine öffentliche Anhörung dazu geben, und dann beginnt das Gesetzesverfahren.

Am vergangenen Freitag äußerten sich schließlich auch die evangelischen und katholischen Kirchen in Baden-Württemberg, um in einer gemeinsamen Presseerklärung auf den ideologischen Streit zu reagieren. Sie sind nicht gegen die Themen Homosexualität und Transsexualität in Schulen, wie das von überregionalen Medien gerne verbreitet würde. Zu einer Ausbildung persönlicher Lebens- und Familienentwürfe gehöre natürlich auch die sexuelle Identität, schreiben sie. Aber „was in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft kontrovers ist, muss auch in Bildungsprozessen kontrovers dargestellt werden.“ Jeder Bürger könne sich natürlich an diesem Prozess beteiligen, das „darf allerdings nicht durch Hetzportale und diffamierende Blog-Einträge geschehen“.

Bereits Anfang Dezember war Stängle wegen Volksverhetzung angezeigt worden, das Verfahren ist inzwischen aber wegen freier Meinungsäußerung wieder vom Tisch. Anhängig ist jedoch noch eine Dienstaufsichtsbeschwerde beim zuständigen Regierungspräsidium Karlsruhe. Und am Montag hat der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) eine Strafanzeige gegen den Betreiber von „openPetition“ gestellt, weil Kommentare auf der Website nicht mehr vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt seien, sondern den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllen würden.

Hilfe-Mail ignoriert

Auch die Bloggerin Nele Tabler findet die Petition aufgrund der vielen Kommentare als Zumutung. Tabler lebt im baden-württembergischen Teil des Odenwalds und ist die härteste und ausdauerndste Kämpferin gegen die Petition. Sie kritisiert, dass der Anbieter die Kommentare nicht kontrolliert und moderiert. Tatsächlich wurde noch nie in der Geschichte von „openPetition“ eine Petition so oft und so kontrovers diskutiert wie die von Stängle. Erst nach mehrfachem Nachfragen und nach anderthalb Monaten machten sich die Betreiber an die Kontrolle und löschten die schlimmsten Kommentare.

Seit Mitte Dezember ist Tabler nicht müde geworden, sich durch die Kommentare zu lesen und die schlimmsten auf Twitter mit dem Hashtag #idpet zu veröffentlichen. „Ich halte es für eine Katastrophe“, sagt sie „dass Jugendliche dort nachsehen, ob ihre Lehrer auch was geschrieben haben und die Kommentare ebenfalls lesen. Und vor allen Dingen, dass im ländlichen Raum Menschen wie ich das ausbaden müssen und statt Weihnachten oder Silvester zu feiern, wildfremde Jugendliche mit Selbstmordabsichten am Hals haben, weil sich sonst kein Mensch dafür verantwortlich fühlt. Und es macht mich verdammt wütend, wenn ein Volker Beck im „Morgenmagazin“ hockt und meint, es sei alles nicht so schlimm.“

Ihre Hilfe-Mail Mitte Dezember habe Beck genauso ignoriert wie alle anderen PolitikerInnen in Bund und Land sowie die Kirche. Aufgrund der Stellungnahme der badischen Landeskirche zu #idpet sind Tabler und ihre Frau aus der Kirche ausgetreten, „für mich das Schlimmste“ an der ganzen Sache. Kerstin Fritzsche

Weitere Informationen:

Aktionsplan des Sozialministeriums

Gegen-Petition von Bastian Burger

Appell von Campact

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