L-Mag

Krieg in der Ukraine: Mit dem E-Roller aus dem Bombenhagel

„Es war unwirklich, unsere Wohnung zu verlassen, weil wir nicht wussten, wann wir zurückkehren würden“: Die queere Filmemacherin/ Aktivistin Alina Shevchenko, die aus Charkiw geflohen ist, berichtet von ihrer Flucht und queerem Leben in der Ukraine.

privat Alina Shevchenko (r.) beim Charkiw Pride 2021

Von Hannah Geiger

*** English version below***

2.5.2022 - Alina Shevchenko (22) ist queere Aktivistin aus Charkiw und am 24. Februar mit ihrer Freundin aus der Stadt geflohen. Mit der Hilfe einer Bekannten, die sie in ihrem Auto mitgenommen hat, erreichten sie nach mehreren Tagen Fahrt die Westukraine, danach ging es nach Prag. Alina studiert Medientechnik an der „Kharkiv National University of Radio Electronics“ und ist Filmemacherin. Sie hat 2019 die erste Pride in Charkiw und 2020 die zweite - wegen der Pandemie eine Auto-Pride - gefilmt. Bei der dritten Pride 2021 hat sie als Freiwillige mitgeholfen. Gemeinsam mit Viktoria Guyvik hat sie den Film „Women* - what we are fighting for“ veröffentlicht. Der Film wurde letzte Woche im Museum des Kapitalismus in Berlin gezeigt. Unsere Autorin war vor Ort und hat Alina danach auf Zoom für ein Interview getroffen.

Am 24. Februar 2022 begann der russische Angriff auf die Ukraine. Wo warst du in dieser Nacht?

Ich bin um 4 Uhr zu Hause aufgewacht und habe Explosionen gehört. Meine Freundin sagte „Lass uns einpacken“ und wir haben angefangen, unsere Sachen zusammenzusuchen. Einen Tag vorher haben wir noch Essen eingekauft, weil wir dachten, dass wir zumindest ein paar Tage bleiben würden, wenn der Krieg anfängt. Ich konnte es nicht glauben, musste weinen und mein ganzer Körper hat gezittert. Wir haben zu der Zeit auf die Katze einer Freundin aufgepasst. Sie stand auch unter Schock und ich habe versucht, sie zu beruhigen, obwohl es mir selbst nicht gut ging. Ich habe mich erst um die Katze gekümmert, bevor ich mich um mich selbst gekümmert habe (lacht). Dann habe ich meine Freundin davon überzeugt, die E-Roller zu nehmen, denn Taxis sind nicht gefahren und die Bahnhöfe und Busse waren voll. Jede von uns hat sich mehrere Taschen umgehängt und wir sind schwer bepackt und mit der Katze auf unseren E-Rollern 40 Minuten zu unserer Bekannten ans andere Ende der Stadt gefahren. Es war unwirklich, unsere Wohnung zu verlassen, weil wir nicht wussten, wann wir zurückkehren würden. Wir haben noch meinen Plattenspieler im Schrank versteckt, falls jemand in unsere Wohnung kommt.

Wie ging es von da aus weiter?

Wir standen drei Stunden lang im Stau, um die Stadt zu verlassen. Danach waren wir drei Tage unterwegs und haben in unterschiedlichen Städten geschlafen. Die Straßen waren voll, für 150 Kilometer haben wir 10 Stunden gebraucht. Mir ging es gar nicht gut, ich wusste nicht, was wir tun sollten. Dann haben wir entschieden, nach Prag zu gehen. Die polnische Grenze haben wir mit vielen anderen Menschen zu Fuß überquert.

Dein Vater ist noch in Losowa, einer Stadt nahe Charkiw und will nicht in eine andere Region fliehen. Warum nicht?

Mein Vater arbeitet seit 25 Jahren bei der Eisenbahn. Er hat Angst, seine Arbeitsstelle zu verlieren, wenn er geht. Für viele ältere Menschen ist es sehr schwierig, ihr Zuhause zu verlassen, den Ort, an dem sie ihr ganzes Leben verbracht haben. Ich mache mir jeden Tag Sorgen um ihn.

Vor dem Krieg warst du in der queeren Szene in Charkiw aktiv. War die Community auf den Krieg vorbereitet, habt ihr darüber gesprochen oder Vorkehrungen getroffen? Wie geht die queere Community jetzt mit der Situation um?

Es gab viele verschiedene Meinungen dazu, einige haben mit dem Angriff gerechnet, ich habe es nicht geglaubt. Manche haben versucht, sich darauf vorzubereiten und Notfall-Päckchen gepackt, andere haben die Stadt schon vor dem 24. Februar verlassen. Die Organisation „Kharkiv Pride“ hat sich bis kurz dem Angriff noch auf die Pride im September vorbereitet. Fast alle Hauptverantwortlichen von „Sphere“, einer Frauenrechts-Organisation aus Charkiw, sind geblieben. Sie versuchen Frauen und LGBTIQ* mit Geld und psychologischer Hilfe zu unterstützen.

privat Neben Alina und ihrer Freundin haben noch viele andere die polnische Grenze zu Fuß überquert

Die Situation für queere Menschen in der Ukraine war schon vor dem Krieg nicht einfach. Die erste Pride in Charkiw fand erst 2019 statt und wurde von Rechtsradikalen angegriffen. Es ist üblich, dass Rechte zu sogenannten „Safaris“ aufrufen. Was bedeutet das?

Bei diesen „Safaris” machen die Ultra-Rechten Jagd auf Menschen, die ihrer Meinung nach queer „aussehen“ und schlagen sie zusammen. „Safaris“ finden dann statt, wenn die Prides oder feministischen Demos zum 8. März (die beliebtesten Angriffsziele der Rechten, Anm. der Redaktion) vorbei sind. Deshalb ist es gefährlich, sich danach noch in der Stadt aufzuhalten, man sollte sich gleich in Sicherheit bringen und alle queeren Symbole loswerden, um nicht erkannt zu werden. Einige versuchen, sich als Hetero-Pärchen auszugeben, um nicht aufzufallen.

Ein wichtiger Community-Ort in Charkiw war „Pride Hub“. Dort wurden LGBTIQ*-Events, Lesungen, Filmscreenings und Diskussionsrunden organisiert, und queere Menschen trafen sich zum Quatschen, Tee trinken, Spiele spielen, zu Vorbereitungen von Demos und zum Partys feiern. Mittlerweile sind 2.000 Gebäude in Charkiw zerstört, aber „Pride Hub“ steht noch, richtig?

Ja, vor Kriegsbeginn wurde „Pride Hub“ von Rechten angegriffen und die Fenster zerstört. Aus diesem Grund hat die Besitzerin sie durch Sicherheitsglas ersetzen lassen. Außerdem gab es in dem Stadtteil, in dem der Ort sich befindet, noch nicht so viele Angriffe. Wir hoffen, dass „Pride Hub“ den Krieg übersteht und wir irgendwann dorthin zurückkehren können.

Das hoffe ich auch! Elya Shchemur, eine queere Aktivistin aus Charkiw, ist Ende März (L-MAG berichtete) bei einem Bombenangriff getötet worden, als sie im Verteidigungsbüro der Stadt als Freiwillige arbeitete. Du kanntest sie.

Ja, das war schrecklich. Als das Gebäude angegriffen wurde, hat ihre Freundin im Gruppenchat von „Pride Hub“ gefragt, ob irgendjemand Elya gesehen habe. Alle haben sie gesucht, auch auf Instagram, aber sie blieb verschwunden. Sie haben ihre Leiche erst zwanzig Tage nach dem Angriff gefunden, weil sie nicht die nötigen Mittel hatten, um weitere Leichen zu bergen und die Stadt weiter beschossen wurde. Als Elya gefunden wurde, hat ihre Freundin es in den Gruppenchat geschrieben und gesagt, sie könne nicht glauben, dass es wirklich sie ist.

Wie willst du Elya in Erinnerung behalten?

Wenn ich an sie denke, sehe ich sie immer im „Pride Hub“ sitzen, Händchen haltend mit ihrer Freundin. Sie war sehr freundlich, hat viel gelacht und war eine der Aktivsten unter uns. Sie hat sich sofort als freiwillige Helferin bei der Stadt gemeldet und wollte danach zu ihrer Familie in ihre Herkunftsstadt aufbrechen. Einen Tag, bevor sie sich auf den Weg machen wollte, wurde sie getötet.

Was ist deine Perspektive im Moment, was denkst du, wann du nach Charkiw zurückkehren kannst?

Die Regierung sagt, wir sollen uns darauf vorbereiten, dass die russischen Truppen, auch wenn sie sich erst mal zurückziehen sollten, wiederkommen können. Es ist gefährlich nach Charkiw zurückzukehren, weil es so nah an der russischen Grenze ist, nur 30 Kilometer entfernt. Vielleicht ziehen wir irgendwann nach Kiew, aber wenn es in Charkiw sicher sein sollte, würde ich lieber dort leben. Ich liebe die Stadt und sie ist mein Zuhause.

 

Wenn du die queere Community in Charkiw unterstützen willst, spende an die Kharkiv Women Association Sphere (mehr Informationen hier):

Bank: JSC CB “PRIVATBANK”

Adresse: 1D HRUSHEVSKOHO STR., KYIV, UKRAINE

Name des/der Kontoinhaber/in: NGO Kharkiv Women Association "Sphere"

IBAN: UA283515330000026006052214124

BIC/SWIFT: PBANUA2X

 

Du kannst auch Alina und ihrer Freundin Valeria Goncharova helfen, die für ihren neuen Film über Frauen* im Krieg Spenden sammeln (per Paypal): alina.shevchenko@nure.ua

English Version:

Alina Shevchenko (22) is a queer activist from Kharkiv who fled the city together with her girlfriend on the 24. of february. With the help of her boss, who took them with her car, they reached west-Ukraine after a few days of journey. Now they live in Prague. Alina is studying media engineering in Kharkiv national university of radio electronics and is a filmmaker. She documented the first pride in Kharkiv 2019 and the second one 2020 – because of the pandemic it was an car-pride – and volunteered at the third pride 2021. Together with Viktoria Guyvik, she directed the movie “Women* - what we are fighting for“. On the 26th of april, the movie was screened in the “museum of capitalism” in Berlin. Our author was there and met Alina afterwards on zoom for an interview.

The russian attacks started on Feb. 24. Where were you in that night?

I was at home and woke up at 4’o Clock in the night, as I heard explosions. My girlfriend said “Let’s prepare” and we started to pack our things. The day before we bought some food because we thought that we will stay for couple days, if the war would start. I couldn’t believe what’s happening and cried, my whole body was shaking. During that time, we took care of a cat of a friend of us. The cat was also shocked and I tried to calm her down, even though I myself wasn’t feeling well. I took care of the cat, before I took care of myself (laughs). I then tried to convince my girlfriend to use the E-Scooters to get to my boss, because there were no taxis and the train stations and busses were packed with people. We both took multiple bags, the cat and drove with our E-Scooters 40 minutes to the other side of the city. It was unreal to leave our flat, because we didn’t know when we would come back. We even hid my record player in case someone would come into our flat.

Where did you go from there?

We were in a traffic jam to flee the city for three hours. After that we were travelling for three days and slept in different cities. The streets were so full, it took 10 hours to go 150 kilometers. I was miserable and I didn’t know what to do. Then we decided to go to prague. We crossed the polish border with hundreds of other refugees by foot.

Your father is still in Lozova, a city near Kharkiv and doesn’t want to leave. Why not?

My father works there since 25 years for the railway. He is afraid that he will lose his job, if he leaves. For some older people it’s really difficult to leave their home, the place where they lived their whole lives. I worry about him every day.

Before the war started, you were an active member of the queer community in Kharkiv. Was the community prepared for the war, did you talk about it, take any precautions? And how does the queer community deal with the situation right now?

There were a lot of different opinions, some reckoned with the attack, I myself didn’t believe it. Some tried to prepare and packed „emergency-bags“, others left the city even before the 24. Of february. The group „Kharkiv Pride” organised the Pride for september until shortly before the attack. Almost all the organisators of “Sphere”, a women organization from Kharkiv decided to stay. They are trying to help women and LGBTIQ*-people with money and psychological support.

The situation for queer people in the Ukraine wasn’t easy even before the war. The first pride in Kharkiv was only in the year 2019 and was attacked from ultra-right radicals. They usually call for a „safari“. What is that?

„Safari“ means that Neonazis are hunting down queer people to attack them. They take place, when the prides or women* marches – the favourite targets of the ultra-rights (note of the editor) are over. Thats why it’s very dangerous to stay in the city after the pride, it’s safer to leave and get rid of every queer symbol to not be recognized. Some try to look like a hetero-couple to not attract attention.

An important space for the community was “Pride Hub” in the east of the city. LGBTIQ*-Events, lectures, screenings and discussions took place there and queer people could meet up, talk, drink tea, play games, prepare for demonstrations and party. 2.000 buildings of Kharkiv are destroyed up until now, but Pride Hub still stands, right?

Yes, before the war started, Pride Hub was attacked from right-wing radicals and they destroyed the windows. Also, there haven’t been so many attacks in this part of town. We hope, that Pride Hub will endure and that we can come back there someday.

I hope so too! One very active member of the queer Community of Kharkiv, Elya Shchemur was killed in an attack, when she was volunteering in the administration of the city. You knew her.

Yes. When they attacked the administration in the city-center, Elyas girlfriend asked in the Pride-Hub-groupchat, if someone had seen her. Everyone was looking for her, even through Instagram, but she was missing. They found her body only 20 days after the attack, because they didn’t have the instruments to recover more bodies and the city was still under attack. When they found her, her girlfriend wrote it in the groupchat and said she could’nt believe it was her.

How do you want to remember Elya?

When I think about her, I see her sitting in Pride Hub, holding hands with her girlfriend. She was very kind, laughed a lot and was one of the most active ones. She helped immediately as a volunteer for the city and wanted to leave for her hometown, where her family lives. One day before she wanted to leave, she was killed.

What is your perspective right now, what do you think, when can you go back to Kharkiv?

The government says we should be prepared that the russian troups could come back, even if the first leave. It’s dangerous to return to Kharkiv, because it’s so close to the Russian border, only 30 kilometers away. Maybe we will move to kiev someday, but if Kharkiv will be safe, I would prefer to live there, because I love the city and it is my home.

If you want to support the queer community in the Ukraine, you can donate to the Kharkiv Women Association Sphere (more information here):

JSC CB “PRIVATBANK”

Bank address: 1D HRUSHEVSKOHO STR., KYIV, UKRAINE

Account holder: NGO Kharkiv Women Association "Sphere"

Account number: UA283515330000026006052214124

BIC/SWIFT: PBANUA2X

You can also help Alina and her girlfriend Valeria Goncharova, who are looking for financial help (via Paypal) for their new movie about the women* fight in the war: alina.shevchenko@nure.ua

 

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