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Prickelnde Verführung, düstere Manipulation

Neu im Kino: Im deutsch-mongolischen Erotikdrama „Schau mich nicht so an“ inszeniert sich Regisseurin Uisenma Borchu selbst als Femme Fatale, die Frauen wie Männer verführt und sie in die emotionale Abhängigkeit treibt.

Foto: Zorro Film

Von Anja Kümmel

l-mag.de, 16.6.2016 – Bei ihrer ersten Begegnung fragt Hedi (gespielt von Regisseurin Uisenma Borchu) ihre Nachbarstochter Sofia (Anne-Marie Weisz), warum sie sich im Hausflur versteckt und ob ihre Mama böse auf sie sei. „Nein, das ist doch nur ein Spiel!“, ruft die Kleine aus und verdreht die Augen. Mit fünf Jahren ist schließlich alles ein Spiel, und die ganze Welt dreht sich um einen selbst.

Vielleicht verstehen sich Hedi und Sofia deshalb auf Anhieb so gut. Denn auch Hedi hat sich eine erfrischend verspielte Neugier bewahrt – ihr kindlicher Narzissmus, der keinerlei Empathie kennt, wirkt bei einer erwachsenen Frau allerdings hochgradig verstörend. Und genau in diesem Spannungsfeld bewegt sich Borchus so faszinierendes wie provokantes Spielfilmdebüt.

Verführt sie Menschen einfach, weil sie es kann?

Auf den ersten Blick scheint Hedi eine selbstbewusste, starke Persönlichkeit zu sein, die weiß, was sie will, und es sich umstandslos nimmt. Gern auch mit ungewöhnlichen Mitteln. So bietet sie der kleinen Sofia Zigaretten an – vielleicht, um ihr zu imponieren, vielleicht, um sie zu testen. Überhaupt testet Hedi mit Vorliebe die Grenzen anderer Menschen aus.

Möglicherweise benutzt sie das Kind auch nur, um sich an Sofias Mutter Iva (Catrina Stemmer) heranzumachen. Das anfängliche Misstrauen zwischen den beiden Frauen schlägt jedenfalls bald in einen knisternden Flirt um; wenig später beginnen die beiden Frauen eine Liebesbeziehung. Oder doch eher eine unverbindliche Affäre? Während Iva sich allmählich öffnet, gibt Hedi kaum etwas von sich preis. Erst recht keine Emotionen. Verführt sie Menschen vielleicht einfach, weil sie es kann?

Die schleichende Art, mit der sich Hedi im Leben von Mutter und Tochter unentbehrlich macht, hat in manchen Momenten schon etwas von einem Horrorfilm. Als sie dann auch noch rücksichtslos mit Ivas Vater (Josef Bierbichler) ins Bett steigt, läuft es einem endgültig kalt den Rücken hinunter.

Mutig, ungewöhnlich und experimentell

Der Film verzichtet auf psychologische Erklärungen für Hedis Verhalten, liefert jedoch eine Reihe offener Deutungsangebote. Das wohl rätselhafteste findet sich in den parallel zur Filmhandlung laufenden (Traum?)-Sequenzen, die Hedi und Sofia in einer traditionellen Jurte in der Mongolei zeigen, dem Herkunftsland von Hedi wie auch der Regisseurin. In beinahe jeder Szene stellt Borchu die moralischen Überzeugungen und Identifikationswünsche ihres Publikums neu infrage.

Die Macht, Selbstdisziplin und Freiheit, die Hedi ausstrahlt, wirken selbst dann noch verführerisch, nachdem wir ihre Mechanismen der Manipulation zu begreifen beginnen. Doch was ist mit den Momenten, in denen sie Iva für ihre Schwäche und Verletzlichkeit offen verachtet? Auf welcher Seite stehen wir da?

Nicht nur die moralische Ambivalenz des Films ist mutig und ungewöhnlich, auch bei der Machart hat sich die Regisseurin fürs Experimentelle entschieden: Kameraführung und improvisierte Dialoge erinnern an einen Dokumentarfilm; außer dem hochkarätigen Bierbichler sind alle DarstellerInnen Laien. Borchu setzt auf Kontraste, und sie möchte anecken – es ist ihr mehr als gelungen.

In diesen Städten läuft der Film ab heute, bei der Premiere heute Abend in Hamburg (Abaton Kino, 18:30 Uhr) ist die Regisseurin/ Hauptdarstellerin anwesend.

Schau mich nicht so an, D/ MGL 2015, Regie/ Buch: Uisenma Borchu, mit Uisenma Borchu, Catrina Stemmer, Anne-Marie Weisz, Josef Bierbichler, 88 min.

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