L-Mag

Trump: Der Präsident, den Amerika wollte

Wut, Angst und die Überzeugung, dass jeder Mann im Amt besser ist als die beste Frau, brachten Donald Trump den Wahlsieg – für viele ein großer Schock! Ein sehr persönlicher Kommentar von Merryn Johns, Chefredakteurin des US-Lesbenmagazins „Curve".

Instagram

Von Merryn Johns

l-mag.de, 9.11.2016 – Gestern Abend um 22:30 Uhr brach die Webseite von Kanadas Einwanderungsbehörde zusammen – ein sicheres Zeichen dafür, dass Donald Trump die US-Wahlen gewonnen hatte –, und als Australierin erwog ich kurz, nach Hause zurückzukehren. Weniger vorhersehbar waren die Kursrutsche in der Wall Street und ein Stopp des Abendhandels. Wer hätte gedacht, dass die Wahl eines reichen Mannes solch einen Effekt auf den Börsenhandel haben würde? Aber ich erinnere mich daran, wie ich mich nach einem Essen im Trump Tower in Manhattan fühlte: deprimiert, enttäuscht über das schlechte Essen, den schlechten Service, das kitschige Ambiente und die Touristen, die glotzend diese Geschmacklosigkeit aus Messing und Marmor durchwanderten.

"Die Leute wollen keine Frau im Hosenanzug"

Die Kulturkritikerin Fran Lebowitz sagte kürzlich über Trump: „So stellt sich ein armer Mensch eine reiche Person vor.“ So stellt sich außerdem der Durchschnittsamerikaner einen Präsidenten vor: alt, weiß, männlich. „Die Leute wollen keine Frau im Hosenanzug“, hörte ich letzte Woche einen Mann in New York sagen. „Sie wollen einen Präsidenten.“ Und jeder Mann ist besser als die beste Frau. Wir sind hier immerhin im Land der Gründerväter, Onkel Sam und John Wayne. Daddy muss es richten!

Ich bin nicht begeistert von Hillary Clinton (obwohl ich sie gewählt hätte, wenn ich gedurft hätte), auch wenn sie ohne Zweifel die qualifizierteste Kandidatin und eine hart arbeitende Außenministerin war. Aber als Lesbe und Feministin bin ich enttäuscht, dass sie nicht unsere erste weibliche Präsidentin sein wird. Jetzt müsste schon das Unmöglichste passieren, bevor wir wieder diese Chance bekommen.

Ein rassistischer, frauenfeindlicher Reality TV-Star...

Als US-Immigrantin fühle ich mich außerdem peinlich berührt. Ich scheine mich für das falsche Land entschieden zu haben, wenn dort die Mehrheit einen rassistischen und frauenfeindlichen Reality-TV-Star, dem Vergewaltigungsvorwürfe anhängen, als Regierungschef will. Meine Freunde auf Facebook posten verzweifelt Dinge wie „Werde ich jetzt in ein Lager gesteckt?“ Leute weinen vor der Kamera. Eine Freundin, die trockene Alkoholikerin ist, öffnete eine Flasche Schnaps.

In meinem Innersten wusste ich, dass das passieren würde. Ich lebe hier seit elf Jahren und habe Armut und Kriminalität gesehen, die ich nicht mal in Indien erlebt habe. Ich kann mir keine Krankenversicherung leisten, ich habe keine Rentenansprüche, und dabei ich bin eine Weiße mit Doktortitel und einem „guten“ Job. Wenn ich es hier nicht schaffe – wer dann?

Protestwahl aus Angst, Wut und Unzufriedenheit

Die weißen Heteros sind wütend, und Trump ist ihr Blitzableiter. Er sagt, was alle schon seit Jahren dachten: Was ist mit unseren Jobs passiert? Warum fallen unsere Städte auseinander? Wer sind diese Ausländer, und wieso können sie sich das Leben hier leisten und wir nicht? Was soll schlecht daran sein, Englisch zu sprechen, zur Kirche zu gehen und Waffen zu besitzen? Warum dürfen Homosexuelle heiraten, wenn doch in der Bibel steht, dass sie abartig sind? Wie kann man von Erderwärmung sprechen, wenn die Winter immer kälter werden? Warum sind Terroristen im Land?

Und egal, wie rational und demokratisch Hillary Clintons Worte sind: diese Leute lassen sich nicht besänftigen. Gestern haben wir teuer dafür bezahlt, dass wir acht Jahre lang einen schwarzen Präsidenten hatten. Wir haben teuer für die Wähler der dritten Kandidaten bezahlt, die Clinton blockieren wollten, weil Bernie Sanders die Nominierung verlor.

Schlechte Zeiten für Frauen, Einwanderer, Nichtweiße und LGBT

Aber tatsächlich hat der Mittlere Westen, die so genannten „roten Staaten“, die Wahl entschieden. Neulich hörte ich von einer republikanischen Lesbe, die für Trump stimmte, weil sie mehr Angst hatte, von einem Muslim geköpft zu werden, als ihre Gleichstellungsrechte zu verlieren.

Ich würde gerne sagen, dass die Amerikaner dumm sind, und offensichtlich sind es viele von ihnen. Aber vor allem sind sie zutiefst verärgert und rachsüchtig. Frauen, Einwanderern, People of Color und LGBTs wird es ab heute schlechter gehen. Und das war die Absicht.

Merryn Johns ist Chefredakteurin des US-Lesbenmagazins Curve. Sie ist Australierin und lebt seit elf Jahren in New York.

Aus dem Englischen übersetzt von Karin Schupp.

Aktuelles Heft

Metamorphosen - queeres Leben und Sterben

Genderneutrale Erziehung - Elizabeth Kerekere, Aktivistin aus Neuseeland - Internationales FrauenFilmFestival - LGBTIQ* Community in Armenien mehr zum Inhalt




Deine online-Spende

 

Ganz einfach, und doch so wirkungsvoll:

Unterstütze uns, damit l-mag.de weiter aktuell bleibt!

Vielen Dank!
Dein L-MAG Online-Team

 

 


L-MAG.de finde ich gut!

Deine online-Spende

 

Ganz einfach, und doch so wirkungsvoll:

Unterstütze uns, damit l-mag.de weiter aktuell bleibt!

Vielen Dank!
Dein L-MAG Online-Team

 

 


L-MAG.de finde ich gut!
x