Angriffe auf queere Orte - Solidarisch gegen Spaltung
In den letzten Monaten kam es deutschlandweit vermehrt zu Angriffen auf queere Orte. Die zunehmende Gewalt und rechte Rhetorik gegen queere Menschen haben konkrete Folgen für die Community.
Erschienen in der L-MAG-Ausgabe 6-2023 (Nov./Dez. 2023)
Von Steff Urgast
Erst kürzlich erhielt Lotte Hahm (1890–1967) als Ikone der queeren Szene der Weimarer Republik in Berlin eine Gedenktafel. Sie schuf zentrale Treffpunkte für die queere Community, veranstaltete Tanzabende und Kostümbälle. Im Oktober 1933 schloß die NS-Polizei subkulturelle Lokale in Berlin, darunter auch Hahms Monokel-Diele.
Wenn 90 Jahre später mit der Gedenktafel für Hahm queere Geschichte sichtbar wird, ist dies ein wichtiges Zeichen: Die Tafel erinnert an die historische Emanzipationsbewegung und die massiven Repressionen, denen diese in der NS-Zeit ausgesetzt war. Gleichzeitig mahnt sie zum Schutz demokratischer Rechte.
Wenn Hass zu Handlung wird
Welches Politikum sich dahinter verbirgt, machen die jüngsten Ereignisse in Berlin deutlich. In den vergangenen Monaten kam es hier vermehrt zu Angriffen auf queere Einrichtungen. Darunter Beratungsstellen, Vereine und Erinnerungsorte – Orte queerer Emanzipation und Repräsentation, aber auch Community- und Rückzugsräume.
Betroffen sind unter anderem das RuT, ein Verein für und von lesbischen Frauen, dessen Schaufenster durch einen Molotow-Cocktail beschädigt wurde. Der vermeintlich selbe Täter verübte auch Brandanschläge auf weitere Orte wie das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen oder die „Bücherboxx“ am Gleis 17 am Bahnhof Grunewald, dem Gleis, auf dem der Transport jüdischer Menschen in die Vernichtungslager der Nazis begonnen hat.
Ähnliche Vorfälle gibt es bundesweit von Düsseldorf, wo die Aidshilfe Ziel der Angriffe wurde, bis Schwerin, wo queerfeindliche Parolen an die Fensterscheiben von Vereinen geklebt wurden. Hinterlassene Texte und Symbole lassen Rückschlüsse auf den oft rechtsextremen und – wie bei dem Berliner Brandstifter – christlich-fundamentalistischen Hintergrund der Taten zu.
Gesellschaftliche Spannungen
Auch Statistiken bilden diese Zunahme queerfeindlicher Gewalt ab – und lassen zwei Entwicklungen erkennen. So bestätigt die 2023 veröffentlichte OECD-Studie zur Inklusion von LSBTI+ in Deutschland: Eine Mehrheit der Gesellschaft befürwortet die rechtliche Gleichstellung von queeren Menschen. Trotz des weiter bestehenden Handlungsbedarfes sind die politischen Bemühungen um Antidiskriminierung in Deutschland spürbar. Queere und feministische Positionen sind gerade in den jüngeren Generationen zu zentralen Positionen geworden und finden hier vermehrt Zuspruch. Nach der Onlinebefragung der Ipsos Pride Studie 2023 identifizieren sich 22 Prozent der Gen Z als LSBTI+.
Parallel dazu zeigen sich verbreitete negative Einstellungen gegenüber queeren Menschen, die die sogenannte gesellschaftliche Mitte erreichen und sich in ihrem rechten Spektrum stark radikalisieren: Laut OECD-Studie fühlt sich die Hälfte der Befragten unwohl bei der Vorstellung, ihr Kind würde mit einer queeren Person eine Liebesbeziehung führen. 2021 ist bereits die allgemeine Akzeptanz für die Ehe für alle und Regenbogenfamilien gesunken. Die registrierten Fälle von Hasskriminalität haben für 2022 zugenommen, auch berichten LSBTIQ+ vermehrt von Diskriminierungserfahrungen. Ihre allgemeine Zufriedenheit ist um zehn Prozent niedriger als im Durchschnitt der Bevölkerung.
Bedrohung von Rechts
Die Zunahme von Trans-, Queer-, Frauenfeindlichkeit und Maskulinismus konstatiert auch die Mitte-Studie 2022/23 der Friedrich-Ebert-Stiftung und betrachtet diese im Kontext rechtsextremer und demokratiegefährdender Einstellungen in Deutschland. Jede zwölfte Person teilt demnach in Deutschland ein rechtsextremes Weltbild, jede:r zehnte Befragte ist dabei verschiedenen Minderheiten in der Gesellschaft gegenüber feindselig eingestellt, das Demokratievertrauen sinkt auf unter 60 Prozent, bei gleichzeitig steigender Billigung politischer Gewalt.
Diese politische Polarisierung und Radikalisierung innerhalb der Gesellschaft wird in nahezu allen Studien im Kontext einer weltweit komplexen Krisensituation betrachtet: Pandemiefolgen, Inflation, Klimakrise, Kriege. Die daraus resultierenden Unsicherheiten und Verteilungskonflikte nähren antidemokratische Positionen – und die Abwertung marginalisierter Gruppen. Diese Tendenzen lassen sich auch international beobachten und korrelieren mit dem Aufstieg rechtskonservativer und antidemokratischer Parteien und Regime. In Krisen zählt Bekanntes vor Veränderung – das zeigt sich auch in Deutschland in den Zustimmungswerten für konservative und rechte Parteien.
Konkrete Folgen
Gerade die AfD stellt Queerness als Gefahr für eine vermeintlich natürliche Familie und Ordnung dar. Queere Initiativen, kritische Wissenschaft, Gruppen und Einzelpersonen können so Ziel ideologisch aufgeladener Angriffe werden. Je mehr rechtsoffene Personen in Regierungsverantwortung gelangen, desto akzeptierter und medial präsenter werden ihre diskriminierenden Positionen. Dies verschiebt den Diskurs und übersetzt sich bei sinkender Hemmschwelle zur Gewaltbereitschaft in direkte Taten.
Dies hat auch strukturelle Folgen: Förderungen für demokratiestärkende Initiativen und Bildung werden gekürzt, nicht selten machen sich Politiker:innen und Medien mit rechter Rhetorik gemein – auch um nicht selbst in den Fokus rechter Hetze zu geraten. In Sachsens Schulen wurde das Gendern kürzlich vom Bildungsministerium untersagt.
Demokratie stärken
Die genannten Studien greifen diese Tendenz der gesellschaftlichen Entsolidarisierung mit queeren Bewegungen auf und empfehlen, dem politisch entgegenzuwirken. So wird in der OECD-Studie betont, die Bundesländer sollten ihre rechtlichen Möglichkeiten für mehr Gleichstellung hinsichtlich der sexuellen Orientierung ausschöpfen.
Gleichzeitig wächst vielerorts der Einfluss queerer und feministischer Bewegungen. Gewalt gegen Frauen und Queers wird öffentlich thematisiert. Historische Analysen untersuchen die Faktoren von Ungleichheitsstrukturen und Bedingungen ihres Wandels. Und Verbände wie der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) fordern mehr gesellschaftliche Solidarität: „Wir brauchen eine Zivilgesellschaft, die nicht wegsieht“, meint Henny Engels, LSVD-Bundesvorstand, zu den kürzlichen Brandanschlägen in Berlin.
Geschichte gestalten
Lotte Hahm könnte sich in einer ähnlichen Gesamtsituation wiedergefunden haben. Gerade in den 1920er-Jahren pulsierte das progressive Stadtleben, Queerness fand Eingang in Kultur und Wissenschaft. Und doch brachten die politischen und ökonomischen Krisen auch den ideologischen Wandel – damit das Ende der ersten Demokratie und der queeren Bewegung in Deutschland.
Die heute erhöhte Krisenwahrnehmung führt oft zu Vergleichen mit 1933. Der nationalsozialistische Politikstil, die Aushöhlung und Zerstörung von Normen und Institutionen werden immer mehr zu Merkmalen derzeitiger Politik. Auch ist retrospektiv klar, welche Folgen der Demokratieverlust hat. Wichtiger als der Vergleich ist daher womöglich die Mahnung, die von der Geschichte ausgeht – denn Geschichte wiederholt sich nicht, sie wird gemacht.
Es war die mehrheitliche Gesellschaft, die 1933 die Regierungsverantwortung an Hitler übertrug. Es braucht daher starke demokratische Instrumentarien und Bündnisse als Antwort auf gesellschaftliche Spaltungen. „Als Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans*, intergeschlechtliche und queere Menschen haben wir uns mutig unseren Weg in die gesellschaftliche Mitte erkämpft“, bestärkt Henny Engels, „wir bleiben hier“.
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