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Autorin Erica Fischer: „Solange wir leben, sind wir noch mittendrin!“

Die österreichische Frauenrechtlerin und Autorin Erica Fischer ist „Alt. Na und?“ In ihrem jüngsten Buch zeigt sie, wie unterschiedlich Frauen ihren Lebensabend empfinden. Ein Gespräch über Altersarmut, Todesnähe und überforderte Männer

Jennifer Endom

Von Ulrike Raimer-Nolte

04.09.2021 –"Aimée & Jaguar" ging 1999 um die Welt. Der erfolgreiche Film basiert auf einer dokumentarischen Erzählung von Erica Fischer: Jüdin, Sachbuchautorin, Journalistin und Mitbegründerin der Neuen Frauenbewegung in Österreich. Inzwischen wohnt sie in Berlin, ist fast 80 Jahre alt, aber noch genauso engagiert wie früher. Erst kürzlich stellte sie in "Feminismus Revisited" die Ideen alter und neuer Feministinnen gegenüber ... und schon hat sie das nächste Buch herausgebracht. In "Alt. Na und?" philosophiert Erica über den Lebensabend und beleuchtet dessen zahlreiche Facetten: weiblichen Sextourismus, Ageism, Alltag im Hospiz, Omas gegen Rechts und einiges mehr.

L-MAG: Erica, in deinem Buch werden tatkräftige Senior:innen aus vielen Lebensbereichen porträtiert, von der kurdischen Gastarbeiterin bis zur Sexualassistentin. Wie bist du denn an diese Interviewpartner:innen gekommen?

Erica Fischer: Manche kannte ich persön­lich oder namentlich. Bei anderen haben mir Freund:innen geholfen. Mir war wichtig, eine große Bandbreite von Lebensgeschichten abzubilden, denn die Menschen sind im Alter ebenso unterschiedlich wie in jungen Jahren. Wie eine Person altert, hängt davon ab, wie sie ihr Leben gelebt hat und welcher sozialen Klasse sie angehört.

Biographische Arbeit war immer schon dein Schwerpunkt, auch bei "Aimée & Jaguar". Hast du damals bewusst nach einem lesbischen Thema gesucht?

Nein, die Geschichte wurde mir vom Verlag angetragen. Ich war sofort begeistert, weil sie zwei Elemente meiner eigenen Biografie und meines politischen Engagements bündelt: die Frauen und das Schicksal der Juden. Dass es um eine Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen ging, war das "Tüpfelchen auf dem i". Es war mir aber wichtig, nicht speziell zu betonen, dass es sich um eine Liebe zwischen Frauen handelte. Es war Liebe - wenn auch eine einigermaßen problematische - zwischen einer Nazimit­läuferin und einer verfolgten Jüdin.

Du schreibst auch, dass du in den 70ern "Feministin aus Liebe" wurdest, um eine echte Partnerschaft zwischen Mann und Frau zu ermöglichen. In Deutschland gingen viele Frauen den umgekehrten Weg. Du wandtest dich von den Männern ab und lebtest aus politischen Gründen lesbisch. Gab es das auch in Österreich?

Ja, natürlich. Ich selbst hatte in der Frauenbewegungszeit auch Be­ziehungen zu Frauen. Gern wäre ich lesbisch geworden, weil ich das politisch angemessener fand. Aber ich habe mich immer wieder in Männer verliebt, wenn auch meine Beziehungen zu ihnen schwierig waren. Ich war überzeugt, dass Liebe nur zwischen Gleichen möglich ist, und habe die Männer überfordert, indem ich sie unbedingt zu Feministen machen wollte. Mittlerweile weiß ich, dass sexuelle Anziehung auf Gleich­ und Ungleichheit nicht achtet und dass Macht auch zwischen Frauen eine Rolle spielt.

Als Feministin willst du auch die prekäre Situation von Frauen im Alter anprangern und sprichst vom "Armutsrisiko Geschlecht". Corona hat dazu geführt, dass noch einmal über die Bezahlung von Care-Arbeit diskutiert wird. Siehst du Lösungsansätze?

Die Altersarmut, insbesondere von Frauen, ist mir ein großes Anliegen. Es sind in erster Linie Frauen, die mit der Erwerbstätigkeit aussetzen oder Teilzeit arbeiten. Die Arbeitswelt müsste so umge­staltet werden, dass Kinder nicht als lästige Störungen der Abläufe gelten, die möglichst zu Frauen abgeschoben werden, weil es deren "Natur" zu sein hat, sich dafür - kostenlos - zuständig zu fühlen. Und die Rente muss anders finanziert werden, darf also nicht abhängig sein von der Zahl der eingezahlten Jahre. Die deutsche Renten­finanzierung ist einfach antiquiert.

Besonders in den ersten Kapiteln haderst du selbst sehr mit dem Altwerden. Hat das Buch deine eigene Sichtweise verändert? Gibt es für dich eine Botschaft oder ein Fazit?

Altwerden bedeutet, sich dem Tod zu nähern. Die Zeit vor mir wird kürzer. Ich muss mich beeilen, was ich noch tun möchte, bald zu tun. Meine Mutter hat im Alter gesagt: "Es war ein verpfuschtes Leben." Das ist eine Katastrophe! Ich denke, wir sollten uns auch in jungen Jahren nicht nur um andere, sondern auch um uns selbst gekümmert haben. Und im Alter sollten wir das Interesse an der Welt und den Menschen nicht verlieren. Das Leben der anderen geht zwar nach unserem Tod auch ohne uns weiter - was eigentlich unfassbar ist -, aber solange wir leben, sind wir noch mittendrin!

 

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