Eine Frage der Macht
Weiße Menschen und cis-hetero Männer erklären anderen gern die Welt, auch wenn sie keine Ahnung haben. Auf Englisch heißt diese Unart „Whitesplaining“ beziehungsweise „Mansplaining“
Von Mina Khani
24.7.2021 – Normalerweise dauert es nicht lange, bis der weiße cis-hetero Mann anfängt, dir zu erklären, was „Sache“ ist. Und wenn du dazu eine Frau aus dem Iran bist, kennst du das auch aus den eigenen Reihen. Iranische cis-hetero Männer greifen mich andauernd in den sozialen Netzwerken an, weil ich es als iranische Queer-Feministin mit aller Härte vermeide, dass sie mir „die Sache“ erklären. Das ist ein wichtiger Bestandteil meines Kampfes gegen die herrschende Politik im Iran, dass ich dieser Gesellschaft erkläre, dass Frauen und queere Menschen auch Meinungen und – ja! – sogar Expertisen haben könnten. Klischeehaft, aber wahr.
Cis Männer (also im Gegensatz zu Transmenschen) lieben es, den Frauen „Sachen“ zu erklären, ihnen etwas zu „mansplainen“. „Mansplaining“ ist ein Begriff, der diese herablassende, andauernd erklärende Position von Männern in Frage stellt. Die Diskussion über Mansplaining wurde schon 2008 kontrovers diskutiert. Damals hat die US-amerikanische Publizistin Rebbeca Solnit dieses Thema in einem Essay aufgegriffen. Von manchen wurde sie dafür sogar als „sexistisch“ kritisiert.
Klar! Die männlich dominierte, weiße Mehrheitsgesellschaft, die dafür kritisiert wurde, wie herablassend sie sich Wissen aneignet, schlug sofort zurück, weil eine Frau das Problem formuliert hatte – nach guter alter Tradition. Ich hoffe, dass irgendjemand da war, um stellvertretend für mich zurückzuschlagen: „Sexismus hat immer eine Struktur! Ihr antiken cis männer!“
Das cis-hetero-normative Mansplaining wird komplizierter, wenn es sich auch noch mit „Whitesplaining“ paart. Wie wir mittlerweile wissen, haben Weiße durch den Kolonialismus der nicht weißen Menschheit historisch die Welt erklärt. Übrigens wurden in vielen Ländern des globalen Südens gleichgeschlechtliche Liebesbeziehungen genauso wie gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen erst durch die kolonialistischen Gesetze kriminalisiert, zum Beispiel durch britische Kolonialgesetze für Pakistan, Indien und in vielen Ländern des afrikanischen Kontinents. So hat erst weiße ,Überlegenheit‘ der nicht-weißen Menschheit beigebracht, dass gleichgeschlechtliche Liebe ein Verbrechen sei.
Der Begriff „Whitesplaining“ hilft dabei, die paternalistische Überlegenheit weißer Menschen gegenüber nicht-weißen Menschen zu kritisieren. Das kritische Weißsein weist uns darauf hin, wie das, was die weiße Mehrheitsgesellschaft als „normal“ betrachtet, zur Diskriminierung der nicht-weißen Menschheit führt.
Auch weiße Frauen und queere Menschen haben mich mal whitesplaint. Zum Beispiel darüber, wie unmöglich die Situation der Frauen und LGBTIQ*-Personen im Iran ist. Manchmal haben sie mich sogar über meine eigenen Gefühle aufgeklärt: „Ach! Wie schön es für dich bestimmt gewesen ist, als du in Deutschland zum ersten Mal dein Kopftuch abgelegt hast.“ Meine Antwort auf diesen Kommentar: „Das erste Mal, als ich mein Kopftuch aus Protest abgelegt habe, das war in der Schule im Iran – und ich war stolz darauf.“
Es ist verblüffend, wie ähnlich die Machtstrukturen funktionieren. Der alte Mann, der seine Machtposition in der patriarchalen Welt nicht reflektiert, hat eine ähnliche Haltung wie die weiße Mehrheitsgesellschaft, wenn man sie darauf hinweist, dass die andauernde Erklärung der Dinge nicht nur eine Art der Machtausübung ist, sondern auch ein Grund der Langeweile.
Wer sich fragt, warum wir Begriffe wie „Mansplaining“ oder „Whitesplaining“ überhaupt brauchen, muss nur einen Blick auf die politischen Talkshows in den deutschen Medien werfen. Der weiße hetero-cis Mann im Anzug weiß oft über alles Bescheid und nur selten ist er begeistert über eine Sache, von der er offensichtlich bis dahin nichts wusste. Jedes Mal, wenn er da sitzt, wissen wir weniger über Frauen, People of Color, rassifizierte Menschen und LGBTIQ*.
Dieser Text erschien zuerst in der Print-Ausgabe von L-MAG Juli/August 2021.
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