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CSD und die Community: Ballermann am Bollerwagen

Unsere Autorin Diana Knezevic verwirklichte ihren Kindheitstraum als Erwachsene auf dem Cologne Pride: Sie versammelte die Lesben der Stadt um ihren Bollerwagen. Mittlerweile ist er ein kleines Stück der queeren Geschichte Kölns

Privat

10.7.2021 – Als Kind entwickelte ich eine ausgeprägte Form von Neid: auf Bollerwagen. Immer schon wollte ich so ein hölzernes Transportmittel besitzen. Eines Tages schlug ich bei eBay für 100 Euro zu und schaffte mir so einen Freund auf vier Rädern an. Im Jahr 2004 kam er das erste Mal beim Cologne Pride zum Einsatz. Ein gutes Dutzend Freundinnen und ich transportierten ein Bierfass mit dem Bollerwagen zur Parade. Unser Ziel: Das Konrad-Adenauer-Denkmal im Schatten der Apostelkirche. Direkt am Hotspot zwischen Neumarkt und Gloria. Die Nasszellen dazu gab es im netten Oma-Café Fassbender in fußläufiger Reichweite.

Zu Beginn wussten wir gar nicht, wie wir ein Kölsch-Fass anzuschlagen hatten. Das ist nämlich eine Wissenschaft, für die man ein Diplom benötigt. Ein nahestehender Polizist griff aus Mitleid beherzt zu seinem Schlagstock, um das Problem zu lösen. Dafür erntete der Mann den Applaus von zwölf hysterisch kreischenden Lesben, die man eher auf einem Justin-Bieber-Konzert verortet hätte: die Geburtsstunde des Ballermanns am Boller­wagen.

Aus dem anfänglichen Dutzend wurden schnell mindestens vier Dutzend Freundinnen und Freunde, die von unserem Boller­wagen gehört hatten. Plötzlich kamen sie nicht mehr nur aus Köln, sondern auch aus Amsterdam, Berlin, Frankfurt, London, München, Nürnberg oder Rom. Und aus einem 20-Liter-Fass Kölsch wurden irgendwann fünf. Was mit Plastik­bechern begann, durchlebte eine ökologische Renaissance hin zu wiederverwertbaren Trinkbechern. Aus simplen Käsewürfeln und Frikadellen wurden Sandwiches und sogar einmal eine Lasagne, gebacken von unseren italienischen Freundinnen. Mit unserem zunehmenden Alter wurden Bierbänke und Anglerstühle am Bollerwagen unabkömmlich. Wenn uns die Paradewagen passierten, grüßten wir die Teilnehmer:innen gönnerhaft und sitzend – wie die Queen.

Von dem Spektakel existieren massenhaft Fotos und Videos. Sie zu betrachten, gleicht einer Zeitreise durchs queere Köln. Darauf zu sehen sind Freundinnen, zukünftige Ex-Freundinnen, die noch nichts von ihrem (Un-)Glück ahnten und diverse peinliche Pleiten, Pech und Pannen rund um diesen Bollerwagen. Einmal brach die Achse, dann die Stange zum Ziehen, mal waren die Reifen platt – und einmal saß sogar ich selbst darin mit einem leeren Fass auf dem Schoß, als die Party zu Ende war. Ohne mich lässt sich der Bollerwagen vermutlich leichter ziehen. Aber ich kann das nicht so genau beurteilen, weil meine Perspektive ja eine andere war.

Dann kam, nach 15 Jahren Bollerwagen-Partys, Corona. Leider war das keine zukünftige Ex-Freundin, sondern ein Virus. Mein Bollerwagen steht seither mit Spinnweben überzogen und mit platten Reifen im Keller. Wenn ich an ihn denke, werde ich sentimental. Denn beim Betrachten der bunten Fotos wird mir klar, was wir für ein schönes Leben hatten.

Der Cologne Pride soll voraussichtlich im August 2021 stattfinden. Ich mache mich also langsam daran, den Bollerwagen zu putzen und die Reifen aufzupumpen. Schließlich will ich gut geölt mit ihm in die Zukunft rollen. Währenddessen denke ich an die Psycho­analyse. Da gibt’s doch jetzt was Neues, oder? Ach ja: Impfneid.
Na, die werden schon sehen, was sie davon haben, wenn all meine Freund:innen wieder im Schatten des Adenauer-Denkmals mit mir feiern. Dann wandelt sich das bestimmt schnell in Bollerwagen-Neid und unsere Regierung hat das nächste Problem: Wo bekommen wir auf die Schnelle so viele fahrbare Holzkisten her?

Dieser Text erschien zuerst in der Print-Ausgabe von L-MAG Juli/August 2021.

 

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Kolumne von Karin Schupp

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