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CSD und die Community: Nix für mich!

Unsere Autorin Karoline Schaum erlebte den CSD nur ein Mal – und war bitter enttäuscht: zu laut, versoffen, sinnlos. Inzwischen aber weiß sie die Parade zu schätzen

Brigitte Dummer

3.7.2021 – Unsere Autorin Karoline Schaum erlebte den CSD nur ein Mal – und war bitter enttäuscht: zu laut, versoffen, sinnlos. Inzwischen aber weiß sie die Parade zu schätzen:

Es muss um das Jahr 2000 herum gewesen sein, als ich zum ersten und einzigen Mal an einem CSD teilgenommen habe. Ich weiß nicht mehr sicher, ob es in Berlin oder München war. Wahrscheinlich war es eher München. Ich wohnte in einer kleinen Stadt in Hessen und hatte keinen Anschluss an irgendeine Community, besonders nicht an die queere.

Bei der Freiwilligen Feuerwehr gab es die fünf Jahre ältere Sabine, die sich bei meinem Vater ausgeheult hatte, weil sie wegen ihrer sexuellen Orientierung von den anderen gemobbt wurde. Mein Vater hatte immerhin studiert, der musste sie doch verstehen. Konnte sie ja nicht wissen, was er über Homo­sexualität dachte. Selbst mit Sabine hatte ich nie ein Wort darüber gewechselt. Andere Lesben existierten nur im Fernsehen, wenn ich sie zufällig um 23:45 Uhr auf 3sat oder Arte entdeckte. Okay, und Ellen gab es auch noch, spät abends im Ersten.

Ich muss mit meiner einzigen und heterosexuellen Freundin Tina beim CSD gewesen sein. Ich weiß noch, wie aufgeregt ich war. Ein Umzug mit Menschen wie mir – und dann auch noch so viele! Ich glaube, wir waren auf der Sonnenstraße, Nähe Stachus, auch wenn ich dafür meine Hand nicht ins Feuer legen würde. Nur eine Erinnerung ist ganz klar und präzise bis heute: meine Enttäuschung. Die Menschen in dieser Parade hatten nichts mit mir zu tun. Es war laut, es war bunt und es fühlte sich unecht an. Wie Karneval oder das Fußballspiel, auf das Tina mich in Berlin geschleppt hatte: erzwungen, bedeutungslos und nur eine weitere Ausrede, sich zu be­trinken.

Alles, was ich sah, waren Menschen mit verzerrten Gesichtern, haltlos, wie in Trance, ohne echten Grund. Nichts gegen die künstlerischen Fähigkeiten von Cher und Britney Spears, aber … Mir wurde klar, ich werde nie wieder zu einem CSD gehen. Noch Jahre später habe ich jedem, der es nicht hören wollte, davon erzählt, wie sinnlos solche Veranstaltungen für mich seien und dass sie uns auf unserem Weg zur Gleichberechtigung eher schaden als helfen würden.

Was ich damals unterschätzte: wie Menschen funktionieren. Ich war anders. Nicht nur lesbisch, sondern auch introvertiert. Es war nicht der CSD, der mich abgestoßen hatte. Es waren nicht die pinken Plastikfederboas und die Männer in Hotpants, die Frauen mit Hüten und ihren ewigen Westen. Es war genau wie im Stadion bei Hertha BSC die Ansammlung von Menschen mit ihren überbordenden Emotionen, die mich überfordert hatte.

Inzwischen weiß ich, wie wichtig Veranstaltungen wie CSD oder Dyke* March sind. Sie sind nicht alles, sie sind nicht das Wichtigste, aber sie machen uns sichtbar! Sie zeigen allen von uns – egal ob mit Hut oder ohne – dass wir uns zeigen können. Dass wir zum öffentlichen Leben dazugehören. Jede Lesbe auf der Straße, im Fernsehen oder bei meinem Vater im Wohnzimmer bringt uns ein kleines Stück weiter. So wie Sabine, die dafür gesorgt hat, dass mein Vater zum ersten Mal verstanden hat, dass Lesben „Menschen sind wie ich, die auch nur glücklich sein und Liebe finden wollen.“

Dieser Text erschien zuerst in der Print-Ausgabe von L-MAG Juli/August 2021.

 

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Kolumne von Karin Schupp

Jeden Freitag hier auf l-mag.de: K-WORD, News aus der Lesbenwelt. Gefunden, ausgewählt und geschrieben von L-MAG Klatschreporterin Karin Schupp.
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