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Die Parteien im Lesbentest

Am 26 September ist Bundestagswahl! Falls ihr noch unsicher seid, wie ihr wählen sollt: L-Mag hat für euch einen kritisch-queeren Blick in die Wahlprogramme geworfen. Was versprechen die Parteien für die LGBTIQ*-Community?

Hänna Räsänen

Von

Leila van Rinsum

Ein Mal im Jahr zeigen sich viele Politiker:innen und Parteien queerfreundlich, hissen die Regenbogenflagge vor Behörden, tweeten etwas gegen Homophobie oder machen gar ein Foto beim Pride. L-MAG prüft, wie queer die Wahlprogramme zur Bundestagswahl sind!

Ein erster Blick zeigt: Die Linke und die FDP verwenden die meisten Zeilen auf LGBTIQ*-Themen in ihren Wahlprogrammen, gefolgt von den Grünen. Sie schreiben gar Wörter wie „queer“, „trans*“ oder auch „Feminismus“. Die SPD nennt „LSBTIQ*“ oder „Regenbogenfamilien“. Und die Union schafft es, auf 140 Seiten Wahlprogramm nicht ein queeres Wort zu verwenden, nicht einmal „sexuelle Orientierung“. Die AfD hingegen warnt vor „Genderwahn“ und „Frühsexualisierung“.

„Familie“ mit vielen Namen

SPD und FDP sprechen von „Verantwortungsgemeinschaft“, die Linken von „Wahlverwandtschaft“ und die Grünen vom „Pakt für das Zusammenleben“: die vier Parteien wollen diverse Familienmodelle rechtlich absichern. Grüne und Linke erwähnen explizit, dass beispielsweise Zwei-Mütter- oder Väter- und Mehrfamilien sowie trans* oder nichtbinäre Eltern gestärkt werden müssen, Entscheidungen für ihre Kinder bei den Ärzt:innen oder in der Kita zu treffen sowie Adoptions- und Besuchsrechte im Krankheitsfall zu erhalten.

Constanze Körner, Leiterin von Lesben Leben Familie (LesLeFam), sieht es als problematisch, dass „sämtliche Sozialleistungen an einem binären Elternsystem hängen: Hartz IV, Wohngeld und Unterhalt“. Sie schlägt stattdessen vor, im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) „Elternteil“, statt „Mutter“ und „Vater“ zu formulieren. Der Bundesverband Trans* (BVT*) fügt auf Anfrage hinzu, dass die aktuellen Regelungen zu einem „Dauer-Outing“ bei jeder Kita-Anmeldung und jedem Grenzübertritt führten. Auch sie wollen „einen modernen Geschlechts- und Familienbegriff im deutschen Recht verankern“.

Für die Abschaffung der Stiefkindadoption streitet Körner seit vielen Jahren. Sie will, dass die Co-Mutter automatisch als rechtliches Elternteil gilt und nicht erst nach einem langwierigen und aufwendigen Adoptionsverfahren. Sie begrüßt, dass mehrere Parteien dies ausdrücklich ankündigen. Ein Antrag der FDP dazu, der noch in der letzten Sitzungswoche des Bundestags von allen anderen Parteien abgelehnt wurde, zeigt allerdings, dass sich die Oppositionsparteien noch nicht auf eine gemeinsame Position einigen konnten. CDU und CSU bekennen sich lediglich zum „Schutz der Familie unter sich wandelnden Bedingungen“ als „eine Grundkonstante einer vom christlichen Menschenbild geleiteten Politik“. Die AfD stellt klar, Familie „besteht aus Vater, Mutter und Kindern“ und beklagt, dass von „linksgrüner Seite (...) die Institution Familie aus ideologischer Motivation he- raus diskreditiert“ werde.

Transsexuellengesetz versus Selbstbestimmung

Die Änderung von Vornamen und Personenstand, also ob eine Person im Ausweis als divers, Frau oder Mann geführt wird, ist für trans*, inter* oder nichtbinäre Personen bisher mit viel Geld, Aufwand und Diskriminierung verbunden. Dazu gehören Pflichtberatungen, Gutachten, ärztliche Atteste und Gerichtsverfahren. Diese Hürden hätten in der letzten Sitzungswoche zusammen mit dem Transsexuellengesetz (TSG) abgeschafft werden können. AfD, Union und SPD ver- hinderten dies. In ihrem Programm aber verspricht die SPD nun doch eine Reform des TSG. Der BVT* stellt klar, das TSG sei „menschenrechtswidrig“ und gehöre abgeschafft. Sie begrüßen daher die Forderungen von Grünen, Linken und FDP, dass eine Vornamens- und Personenstandsänderung unkompliziert per Selbstauskunft erfolgt.

Queere Gesundheit

Queere Menschen werden häufig in der Gesundheitsversorgung diskriminiert. Die Grünen wollen, dass geschlechtsspezifische Aspekte sowie trans* und inter* Menschen in Forschung, Ausbildung und medizinischer Praxis berücksichtigt werden. Die Linke möchte „queere Gesundheitszentren mit Schwerpunkt trans* und inter* auch in Kleinstädten und ländlichen Gebieten“. Nicht notwendige operative Eingriffe bei intersexuellen Kindern wollen FDP und Grüne verbieten. Grüne und Linke möchten künstliche Befruchtung durch die Krankenkassen finan- zieren. Wie die FDP fordern sie dies auch für Hormontherapie, Psychotherapie und körperangleichende Operationen – wobei die FDP nur von geschlechtsangleichenden Operatio- nen schreibt. Die AfD sieht es dagegen „kri- tisch, dass ‚Geschlechtsumwandlungen‘ zu- nehmend bagatellisiert werden“. 

Diskriminierung und Aufklärung

Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes regelt, dass niemand „wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse [sic!], seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder be- vorzugt werden“ darf. SPD, FDP, Grüne und Linke fordern, dass in die Aufzählung „sexuelle Identität“ aufgenommen wird. Rot-Rot-Grün will außerdem den Zusatz „geschlechtliche Identität“ einfügen.

Die Linke will Diskriminierung von queeren Menschen auch am Arbeitsplatz angehen, genauso wie ihr erhöhtes Risiko, in Armut abzurutschen oder schlechter bezahlt zu werden. Die FDP versteht unter „Diversity Management“ in der Arbeitswelt vor allem „gleiche Chancen für Aufstieg durch Leistung“. Grüne, Linke und FDP setzen zudem auf öffentliche und schulische Aufklärung für Vielfalt. Vor „politischer Beeinflussung“ von Kindern, die sie in „Angst und Hysterie“ versetze und zu einer „Frühsexualisierung“ führe, warnt hingegen die AfD.

Gewalt gegen LGBTIQ*

Nationale Aktionspläne gegen LGBTIQ*-Feindlichkeit gibt es von SPD, Linken, Grü- nen und FDP. Dass queerfeindliche Straftaten in der Kriminalstatistik erfasst werden, fordern FDP, Linke und Grüne. Die Freien Demokrat:innen wollen Beratungs- und Selbsthilfeangebote stärken, die Linke Präventionsprojekte und Organisationen, die Gewaltopfern Hilfe leisten. Außerdem möchte die Partei zur „Erforschung intersektionaler Diskriminierungsformen und geschlechts-spezifischer Gewalt gegen LSBTIQA*“ öffentliche Studien beauftragen. Die Grünen fordern „intersektionale Schutzkonzepte und Zufluchtsräume, insbesondere auch für quee- re, nichtbinäre Menschen“.

Linke, Grüne und FDP fordern außerdem ein vollständiges Verbot von Konversions- therapien, bei denen Menschen von Homosexualität „geheilt“ werden sollen. Die wurden zwar 2020 verboten, aber bisher nur für Minderjährige.

Queere Geflüchtete

Sexuelle Orientierung und Identität muss als Fluchtgrund auch in der Praxis an- erkannt werden, schreiben FDP und Linke. LSBTIQ*-Geflüchtete bräuchten besonderen Schutz im Asylverfahren mit Beratung, sicheren Verfahren und Unterbringung. Die Linke will außerdem verfolgte queere Menschen nicht abschieben – „auch nicht in sogenannte sichere Herkunftsländer“. Sie will flächendeckend Fachstellen, Vernetzungs- und Hilfsan- gebote für queere Geflüchtete.

Besonders wichtig dabei sei, dass sich der aktuelle Rechtsstand auch in der Praxis durchsetze, sagt Markus Ulrich, Pressesprecher vom Lesben- und Schwulenverband (LSVD). Beispielsweise werde – entgegen den Urteilen von Europäischem Gerichtshof und Bun- desverfassungsgericht – manchen queeren Geflüchteten vorgehalten, sie könnten ja diskret in ihrem Heimatland leben. Oder die Behörden argumentierten, dass dort Strafparagrafen gegen Homosexualität in der Praxis gar nicht angewandt werden. Deshalb, so der Ulrich, dürften in Asylverfahren nur spezifisch geschulte Entscheider:innen sitzen. Zudem müsse es Kontrollinstanzen geben und queere Menschen sollten grundsätzlich nicht in Länder abgeschoben werden, die Homosexualität oder Transgeschlechtlichkeit kriminalisieren.

 

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