L-Mag

Die Sache mit der Körperbehaarung: Es juckt mich nicht mehr

Mit oder ohne Haar: das ist seit Generationen die Frage. Und gerade im Sommer greifen auch Feminist:innen wieder verstärkt zur Rasur. Ist Abrasieren okay - oder eine Kapitulation vor dem Patriarchat mit seinem weiblich-westlichen Schönheitsideal?

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Erschienen in der L-MAG-Ausgabe 4-2024 (Jul./ Aug.)

Von Lara Hansen

Ach ja, die Sache mit der Körperbehaarung. Eine Angelegenheit, die für mich als genderqueere Person, die (zu) lange zwischen Genderdysphorie und Zwangsheterosexualität hin-und her schwankte, schon immer einen schambehafteten Beigeschmack trägt. Wie häufig stand ich unter der Dusche noch dem Sog eines jahrzehntelangen indoktrinierten weiblich-westlichen Schönheitsideals gegenüber, selbst nach meinem vermeintlich befreienden Umzug vom Dorf nach Berlin.

„Rasier sie dir jetzt! Rasier dir alles!“ schrie mir dann eine krätzige Stimme aus dem Abfluss entgegen, von der ich dachte, ich hätte sie schon lange mit dem restlichen Heteronorm-Bullshit runtergespült. Vor allem nach einer durchtanzten Clubnacht, wenn ich mich extradreckig fühlte oder mein inneres Schammonster an die Oberfläche kroch. Ich bildete mir ein, das Rasieren reinige mich. Als müsste mein Köper gezähmt werden. Als würden meine Achseln nicht auch stinken, wenn sie aalglatt sind.

Enthaaren als Beweis, „weiblich genug“ und 100% hetero zu sein

Enthaaren war gewissermaßen für mich in der Jugend mein Beweis an die Außenwelt, dass ich „weiblich genug“ und 100% hetero bin. So wurde es uns schließlich eingetrichtert. Mädchen haben schön zu sein. Das heißt, glatte Beine, keine Stoppeln – außer die langen Haare auf dem Kopf natürlich, denn so mag der Julian aus der Fußballmannschaft das.

Dass ich an den Fußballjungs nie großes Interesse haben würde, ahnte ich damals schon, aber überleben wollte ich in der Hetero-Hegemonie dennoch. Leider sprossen bei mir schon mit 9 die ersten Achselhaare und die im Intimbereich wuchsen gleich hinterher. Als meine Mitschüler:innen damals ein Bild von mir und meiner besten Freundin sahen, in dem meine braunen, lockigen Achselhaare vom Sonnenlicht ins Spotlight gedrängt wurden, war das Urteil über mich als haariges, pre-pubertäres Wesen gefällt. Nicht Lady-like! Heute käme ich damit auf ein Magazin-Cover.

Was ich damals um jeden Preis loswerden wollte, ist heute Trend. Monobraue, pinke Achselhaare à la Miley Cyrus, oder lange Stoppeln ganz nach Phoebe Bridgers – am besten kommt diese Behaarung allerdings an, wenn sie niedlich und blond ist. Und vorzugsweise von weißen Models wie ein Accessoire „getragen“ wird. Dabei schließt der Haar-emanzipatorischen Befreiungskampf der angeblichen westlichen Moderne mal wieder Frauen und nicht-binäre Menschen of Color aus, die schlichtweg als entweder „nicht feministisch genug“ oder von der rassistischen Mehrheitsgesellschaft abwertend als „unhygienisch“ wahrgenommen werden.

Alles schien besser als mein natürlicher Busch

Dass das koloniale Weltverständnis noch immer tiefe Wurzeln im unbehaarten Schönheitsideal der Frau schlägt, kann man schnell mal vergessen, wenn Gillette Venus verspricht, die Göttin in uns zu erwecken. Das Matriarchat klingt jedenfalls anders. Und ich fühle mich selten weniger spirituell, als nach dem rasieren, wenn sich kleine Pickel anschließend in den Stoff meiner Unterhose reinfressen und es meine ganze Willenskraft kostet, mich da unten nicht zu kratzen.

Trotz feministischen Kampfgeists (und all der Unannehmlichkeiten) dauerte es eine Weile, bis ich mich vom zwanghaften Drang des Rasieren verabschieden konnte. Stoppeln hin oder her, alles schien besser als mein natürlicher Busch. Doch mit jeder Rasur wurde das lästige, unaufhörliche Jucken schlimmer. Und eines Tages kam der der Ausschlag. Ausschlag? Meine Alarmglocken läuteten und meine Frauenärztin des Misstrauens warf leichtfertig eine lebensverändernden Diagnose in den Raum. Uff, was jetzt? Mein Leben, wie ich es kannte, zog an mir vorbei, bis ich einen ganzen dramatischen Tag später von einer anderen Frauenärztin meines Vertrauens die richtige Diagnose bekam: Eine Haarwurzelentzündung.

Ich war wohl noch nie so erleichtert über entzündete Haarwurzeln. Aber auch die tun verdammt nochmal weh. Die niederschmetternde Verordnung der Ärztin: Hände weg von der Rasierklinge, für mindestens 3 Monate. Halb so wild, merkte ich. Während der Zeit lernte ich meinen Körper lieben lernen in seiner vollen (Haar-)Pracht. Ich hab mich sogar mit dem Busch angefreundet, hab ihn gepflegt, gehegt, frisiert. Es stellte sich heraus, dass meine jahrelange Scham mit der Behaarung lediglich eine Haarwurzelentzündung und eine schockierende Falschdiagnose brauchte, um zu heilen.

Die neue Norm ist „Do what the fuck you want“

Zwei Jahre später juckt mich das Thema kaum noch. Je wohler ich mich in meiner Genderqueerness und meinem Körper ohne Scham fühle, je mehr Zeit ich zwischen wundervollen, queeren Menschen verbringe, die ihre Körper genauso zeigen, wie sie sind, desto selbstverständlicher ist die natürliche Behaarung für mich geworden. Die Schönheitsnorm, die mich so lange einnahm, interessiert mich nicht mehr. Die neue Norm ist: „Do what the fuck you want“. Ob man eine Frisur daraus macht, sich glatt rasiert, oder den Busch feiert, ist dabei ohne Wertung einem selbst überlassen. In meiner Welt jedenfalls.

Manchmal holt mich die heteronormative Realität aber dennoch ein, etwa, wenn ich mich aus meiner (un-)heiligen Bubble hinausbewege und mein nicht-binärer Hintern es sich auf dem Fußpflegestuhl meiner Mutter gemütlich macht. „Oh je, das ist ja ein Dschungel hier unten“, sagt sie dann mit Blick auf meine braunen Beinhaare und wieder überkommt mich die Scham. Dann halte ich meiner Mutter einen queer-feministischen TED-Talk. Vielleicht schließt sie sich mir bald an. Mein Vater wäre dagegen, aber müsste dann wohl damit leben.

Drei Monate später hab ich sie dann doch wieder abrasiert, nur weil ich manchmal ein Bedürfnis nach diesem weichen Gefühl nach dem Rasieren habe, nicht, weil ich Feminismus aufgegeben habe. Heute ist da wieder ein Dschungel. Rasieren, ja oder nein? Es juckt mich, ehrlich gesagt, nicht mehr.

 

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