„Es geht um das Hier und Jetzt“
Für unsere Titelgeschichte im Mai zu „Lesben und Religion“ sprach L-MAG unter anderem mit der US-amerikanischen Atheistin Camille Beredjick. Diese findet: säkulare und LGBTIQ*-Bewegungen sind gute Verbündete im Kampf gegen Diskriminierung
Von Sarah Stutte
Die Amerikanerin Camille Beredjick veröffentlichte 2017 ein Buch mit dem Titel „Queer Disbelief: Why LGBTQ Equality Is an Atheist Issue“. Darin geht sie – selbst Atheistin – der Frage nach, inwiefern säkulare und LGBTIQ*-Bewegungen zusammenhängen und warum es wichtig ist, dass sich beide Gruppierungen im Kampf um Antidiskriminierung verbünden. Mit L-MAG sprach die in Chicago lebende Aktivistin darüber, was sie an religiösen Überzeugungen gefährlich findet und was sie sich für die Zukunft wünscht.
L-MAG: Camille, aus welchen Gründen bist du selbst Atheistin?
Camille Beredjick: Ich wurde von einer katholischen Mutter und einem jüdischen Vater erzogen. Meine Eltern wollten meinem Bruder und mir jedoch nicht den einen oder anderen Glauben aufbürden. Stattdessen sollten wir Religion und Spiritualität für uns selbst ergründen. Doch je mehr ich über diese beiden Religionen und über andere in der Welt lernte, desto mehr wurde mir klar, dass das einfach nichts für mich war. Ich fand den Gedanken abwegig, dass meine Handlungen eines Tages zu etwas außerhalb dieses Lebens führen sollten, zu einer Art Erlösung durch eine höhere Macht. Vielmehr ging es mir um das Hier und Jetzt und darum, die bestmöglichen Entscheidungen für das Leben zu treffen, das ich auf der Erde habe. Dazu benötige ich keine Religion, die mich leitet, oder einen Glauben – außer denjenigen an mich selbst.
Warum ist es für dich logisch, dass man als Atheistin für LGBTIQ*-Rechte kämpfen muss?
Für mich sind diese beiden Gruppen natürliche Verbündete. Sie leben im Großen und Ganzen nach ähnlichen Moralvorstellungen, kämpfen für dieselben Ziele und sehen sich oft mit denselben Gegner:innen konfrontiert. Religiöser Extremismus ist häufig ein auf dem Glauben basierendes Argument für die Abschaffung der Rechte von LGBTIQ*-Menschen. Weltweit sollten sich Atheist:innen wirklich mehr darüber aufregen, dass religiöse Motive dazu benutzt werden, eine bestimmte Gruppierung herabzusetzen, zu verletzen und einzuschränken, indem ihnen grundlegende Menschenrechte verweigert werden. Zusammen können sich beide Bewegungen für die Aufhebung diskriminierender LGBTIQ*-Gesetze stark machen, dafür, dass der Einfluss der Religion in Schulen abnimmt – und für die Trennung von Kirche und Staat.
Muss man denn als queere Person unbedingt Atheist:in sein?
Definitiv nicht. Ich habe eine Menge queerreligiöser Menschen für mein Buch interviewt, aus deren Glauben eine starke Verbindung zu Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit erwachsen ist. Daneben gibt es zum Beispiel in denUSA auch viele progressive Christ:innen, die sich für Themen wie queere und trans Sichtbarkeit, Black Lives Matter und Immigration einsetzen. Deshalb denke ich auch, dass der eigentliche Feind nicht die Religion selbst ist. Gefährlich wird es dann, wenn religiöse Motive dazu benutzt werden, Andersdenkende ins Visier zu nehmen.
Gibt es etwas Spezifisches, das du an bestimmten Weltreligionen kritisierst?
Ich bin ganz klar gegen religiöse Praktiken wie Proselytismus, Bekehrung oder Konversionsmaßnahmen. Ich kritisiere alles, was von einem Menschen verlangt, etwas an sich zu ändern, das ihn im Wesentlichen ausmacht und darüber entscheidet, wer er ist. Diese Praktiken lassen sich in fast allen Religionen finden, sowohl im Christentumwie auch im Judentum und im Islam. Doch die Bibel, der Tanach und der Koran haben im Grunde nur gewisse Grundgedanken vorgegeben. Letztendlich entscheiden die Menschen darüber, wie sie diese verstehen und in der Praxis ausüben wollen. Manche legen sich und anderen daraufhin sehr strenge Regeln und Vorschriften auf. Daneben gibt es aber auch viele Anhänger:innen jeglicher Konfession, die offen, liberal und fortschrittlich sind und ihren Mitmenschen erlauben, ihr wahres Ich zu zeigen.
Was sagst du zu religiös erzogenen, queeren Menschen, die oft daran verzweifeln, ihren Glauben und ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität unter einen Hut zu bringen?
Ich wünsche ihnen Liebe und Frieden bei der Entscheidung, die sie für sich selbst treffen. Für manche LGBTIQ*, die in einem konservativeren Umfeld aufgewachsen sind, ist es manchmal wirklich schwierig, das zu vereinbaren. Du bindest dich in der Kindheit und Jugend stark an etwas und erfährst dann, dass du als Mensch in dieser Gemeinschaft nicht länger willkommen bist. Das ist hart. Deshalb finde ich auch queere Bewegungen innerhalb von Religionsgemeinschaften großartig, weil sie zeigen, dass es auch anders geht.
Inwiefern hängen die LGBTIQ*-Bewegung und die säkulare Bewegung historisch zusammen?
In der Gesellschaft der USA war – und ist bis heute – die ideale Person jemand, der heterosexuell, weiß, männlich und christlich ist. Im Umkehrschluss waren alle anderen, die es wagten, dieser Norm zu trotzen, soziale Abweichler:innen und somit Ausgestoßene. Historisch betrachtet wurden sowohl Atheist:innen wie auch queere Personen ausgegrenzt, weil sie nicht dem religiösen Ideal folgten, das die Mehrheit von ihnen erwartete. Beide Gruppen haben darunter gelitten. Doch natürlich ist die Verfolgung von Atheist:innen in den USA nicht mit derjenigen von LGBTIQ* vergleichbar. Obwohl Atheist:innen hierzulande immer noch diskriminiert werden, gibt es heute keine Gesetze mehr, die sich explizit gegen sie richten. Ganz anders erlebt es die LGBTIQ*-Community.
Wie sieht eine Welt ohne indoktrinierte Religion für dich aus?
Ich hoffe: freier. Ich würde mir wünschen, dass wir liebevoller und friedlicher miteinander umgehen, als wir es bis dato getan haben.
Dieses Interview erschien zuerst in der Mai/Juni-Ausgabe der L-MAG
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