Höhepunkt am Arbeitsplatz: Masturbation Breaks
„Masturbation Breaks“, also Pausen zur Selbstbefriedigung während der Arbeitszeit, sind der letzte Schrei in der kreativen Selbstoptimierung. Wir haben den Trend kritisch unter die Lupe genommen.
Erschienen in der L-MAG-Ausgabe 6-2024 (Nov./ Dez.)
Von Katrin Kämpf
Kürzlich bewarb Xconfessions, die Onlineplattform der Regisseurin und Sexpertin Erika Lust, zwei ihrer neuesten Produktionen mit einer Werbemail, in der sie dazu anregte, neben Kaffee- und Frühstückspausen doch auch Masturbationspausen am Arbeitsplatz einzulegen. Alleinlebende Homeofficearbeiter:innen werden hier womöglich schmunzeln: Wer nicht unter Arbeitnehmer:innenüberwachungssoftwarebeobachtung steht, ist sicherlich schon mal in Versuchung gekommen.
Wobei wohl vor allem Leute mit Sorgeverpflichtungen die kleinen Freiheiten des Homeoffice zwischen Zoom-Call und Excel-Tabelle eher nutzen werden, um Wäsche zu waschen oder einem Kind mal eben etwas Schnodder aus dem Gesicht zu wischen. Insgesamt ist für viele Beschäftigte ihre Arbeit an sich wohl sexuell eher ein Turn-off.
Masturbationspausen nutzen auch der Firma
Anders verhält es sich angeblich für die Angestellten von Lusts Firma. Dort wurden bereits vor einigen Jahren halbstündige Masturbationspausen etabliert. Sogar eine Masturbationskabine wurde als neue Art von Büromöbel in den Arbeitsalltag integriert. Natürlich kriegt im Kapitalismus auch in masturbationsfreundlichen Unternehmen niemand uneigennützig irgendetwas geschenkt. Bei Erika Lust sollen die Masturbationspausen auch einen Nutzen für die Firma haben, Masturbation mache nämlich nicht nur „glücklicher, entspannter und konzentrierter“, sondern sei auch kreativitätsfördernd und steigere den „Antrieb, Dinge zu erledigen“.
So entpuppt sich die vermeintliche kleine Annehmlichkeit als weiterer Baustein des neoliberalen Selbstertüchtigungsterrors und als feministisch getünchter Nachfolger der berühmt berüchtigten Firmenkicker in Werbeagenturen der 1990er Jahre. Diese sollten Angestellte motivieren, Arbeit und Freizeit nicht mehr als Gegensätze wahrzunehmen und normalisierten so unbezahlte Überstunden und Nachtarbeit.
Seitdem wurden immer mehr Aspekte des Lebens in den Dienst der Arbeit gestellt und Freizeit zunehmend als diejenige Lebenszeit definiert, in der man sich zu bemühen hat, eine fittere, erholtere, tüchtigere Arbeitskraft zu werden.
Kleine Sabotage oder stiller Streik
Freilich, selbstgenehmigte Masturbationspausen, mithin also Arbeitszeitdiebstahl, könnten auch als erfreuliche kleine Sabotage oder als eine Form des stillen Streiks gedeutet werden. Zu den stillen Streiks werden sonst beispielsweise die Verweigerung von Höchstleistungen und Mehrarbeit, Massenkrankschreibungen oder Arbeitsverlangsamungen gezählt.
Das reaktionäre und arbeitnehmer:innenfeindliche deutsche Streikrecht macht das laute Streiken nämlich ganz schön kompliziert und für manche unmöglich. Formal korrekt können in Deutschland nur tariffähige Gewerkschaften einen Streik beschließen, und Abschlüsse von Tarifverträgen gelten als einziges legitimes Streikziel. Beamt:innen dürfen gar nicht streiken. Und politische Streiks – wie z.B. in Frankreich gegen die Rentenreform – sind im deutschen Streikrecht nicht vorgesehen.
Oder doch lieber nur eigennützig in der Freizeit?
Noch schwieriger wird das Streiken in prekären Arbeitsverhältnissen: Wer als Freelancer:in, Schnorrer:in, Künstler:in, in Zeitarbeit oder in befristeten Verträgen arbeitet, bestreikt sich im Zweifelsfall immer auch selbst. Wer von Auftrag zu Auftrag hofft, dass es am Monatsende reicht oder in der Liefer- und App-Ökonomie scheinselbstständig schuftet, kann vom Streiken – ob masturbierend oder mit Megaphon auf der Straße – im Regelfall nur träumen. In den Grauzonen des Arbeitsrechts sind hier ganze Sektoren entstanden, deren Arbeitskämpfe systematisch verunmöglicht werden.
Insofern käme es in Sachen Masturbation am Arbeitsplatz dem Streiken im Zeitalter der Prekarisierung vielleicht näher, unter gar keinen Umständen zur Selbstertüchtigung zu masturbieren. Masturbation nur eigennützig in der Freizeit und die hat gefälligst pünktlich anzufangen und auf gar keinen Fall arbeitgeberfreundlich gestaltet zu werden. Am Arbeitsplatz lieber einen Betriebsrat gründen und Kolleg:innen zum Gewerkschaftsbeitritt motivieren.
PS: Und was das Streiken angeht: Es gibt seit einiger Zeit eine Kampagne für ein umfassendes Streikrecht.
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