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„Ich brauchte zwei Coming-Outs – als Lesbe und als Schwarze Frau”

Katharina Oguntoye ist aus der der deutschen Frauen- und Lesbenbewegung nicht wegzudenken: Sie veröffentlichte ein Standardwerk zu Rassismus und war Vertraute von Audre Lorde. L-MAG traf die heute 59-Jährige in Berlin Kreuzberg.

Tanja Schnitzler Katharina Oguntoye in ihrer Wohnung mitten in Berlin Kreuzberg

Katharina hat ein verschmitztes Lächeln im Gesicht. „Ich war eine sehr hübsche Frau und trotzdem haben es die Ladys geschafft, mich übrig zu lassen“, scherzt sie, während wir in ihrer Küche sitzen und Kaffee trinken. Vor uns auf dem Tisch liegen ihr Buch „Farbe bekennen“, das sie gemeinsam mit Dagmar Schultz und May Ayim herausgebracht hat, und Flyer ihres Vereins Joliba. Seit den 1980ern lebt Katharina in der Kreuzberger Wohnung im vierten Stock, ein Glück, denn trotz der steigenden Wohnungspreise in der Hauptstadt ist der Mietvertrag noch günstig. Ihre Partnerin Carolyn ist gerade zur Haustür raus. Die beiden haben sich vor 30 Jahren  kennengelernt und schon Einiges zusammen erlebt: Konflikte bei der Berliner Lesbenwoche, den Rückzug aus der Szene, neue Berufswege und die Geburt und Erziehung eines gemeinsamen
Kindes.

Noch vor Carolyn hat es mit den Beziehungen nicht so ganz funktioniert, sagt Katharina: „Ich musste mir meine Partnerin erst importieren“, erklärt sie leicht ironisch. Denn in einem Punkt war die Kanadierin den deutschen Frauen voraus: „Sie hatte sich schon einige Jahre mit Rassismus auseinandergesetzt und ich denke, das war eine Voraussetzung für mich.“ Die Diskussionen um Rassismus gegen Schwarze Menschen kam in der westdeutschen Frauen- und Lesbenbewegung erst Mitte der 1980er ins Rollen – und ohne das Zutun von Katharina wären sie wohl langsamer verlaufen.

Die Tochter einer deutschen Mutter und eines nigerianischen Vaters wurde 1959 in Zwickau in der ehemaligen DDR geboren. Nur drei Wochen nach ihrer Geburt zog die Familie nach Leipzig. Die beiden Jahre zwischen sieben und neun verbrachte sie in Nigeria, einem Ort, den Katharina nachher als „Paradies der Freiheit“ beschreibt. Später zogen sie und ihre Mutter zurück nach Deutschland, ins baden-württembergische Heidelberg. Schon mit 16 nannte sie sich Feministin, die Erkenntnis, dass sie lesbisch war, kam erst später. 1982, mit 23 Jahren, ging sie nach Berlin. Zur Hochzeit der Zweiten Frauenbewegung.

„Eine intensive Zeit“, erinnert sie sich. Sie holte an der Schule für Erwachsenenbildung (SFE) ihren Abschluss nach und studierte Geschichte. Aber es gab auch einen anderen Grund für ihren
Umzug: „Ich bin nach Berlin gegangen, um unbewusst, wie viele andere auch, mein Coming-out zu leben.“ In der Frauen-WG, in der sie bald wohnt, ist ein Teil ihrer Mitbewohnerinnen „ziemlich radikallesbisch“, wie sie es nennt.

Das zweite Coming-out

So ist sie schnell mittendrin in der Berliner Lesbenszene. Die Frauen der Bewegung schaffen sichere Räume gegen gesellschaftliche Stigmatisierung, vernetzen sich und tauschen sich aus. Frauenveranstaltungen, Frauenläden, Treffpunkte – Orte der Community also, auch für Katharina. Doch an einem Punkt gab es immer wieder Reibereien: Rassismus wurde entweder  totgeschwiegen oder ihr begegneten Vorurteile und Stigmata. „In dem Moment, in dem ich das Thema einbrachte und sagte, dass bestimmte Sachen nicht gehen, zum Beispiel dass Schwarze Menschen geringere Bildungschancen haben, erwiderte das Gegenüber: ‚Vielleicht haben
die nicht den Intellekt.’”

Ähnlich wie bei unbekannten Frauen in Wissenschaft und Co., welche die Frauenbewegung erst aus den Tiefen der Geschichte holen musste, waren die Leistungen und Lebensrealitäten von Schwarzen Menschen weitgehend unbekannt. Mit der Erkenntnis, andere Erfahrungen als ihre weißen Freundinnen gemacht zu haben und dem Bedürfnis, sich zu positionieren, entschloß sich die Aktivistin als Schwarze Lesbe „rauszukommen“. Ihr zweites Coming-out sozusagen. „Es ging darum, ob ich die anderen Leute konfrontiere oder nicht. Ich war immer Schwarze Lesbe in der Community und habe den Rassismus schon vorher erlebt, aber es war nicht mein ‚Hauptthema‘ und ich hatte nicht die Worte dafür.“

Die richtigen Begriffe finden – gar nicht so einfach in einem Deutschland, das keine positiven Bezeichnungen für Afrodeutsche kannte. „Besatzungskinder”, „Mischling” oder schlimmere Wörter hat Katharina oft gehört. „Mischling war für mich normal, weil ich in der DDR aufgewachsen bin und es dort gängig war.“

Wendepunkt in der Frauenbewegung

Es mussten positive Selbstbezeichnungen her. Prominente Unterstützung dafür kam aus den USA: Die Schwarze, feministische und lesbische Professorin, Dichterin und Autorin Audre Lorde hielt 1984 ihren ersten Vortrag an einer Berliner Universität und faszinierte das Publikum. „Es ist schwer zu erklären – sie strahlte solch eine Magie und Charisma aus. Und sie hat ein Modell vertreten, das hier niemand kannte: Eine ältere Schwarze Frau, die etwas zu sagen hat. Dieses Modell gab es in Deutschland nicht. Kompetente, erwachsene Schwarze Menschen kannte man nicht.”

Katharina erinnere sich noch, wie sie an einer Straßenbahnhaltestelle einem Schwarzen Mann begegnete, was sie ganz aus der Fassung brachte. „Das war ein richtiges Phänomen. Ich denke, das hat auch die Begegnung mit Audre ausgelöst. Es hat bei vielen ,Klick‘ gemacht, denn man wurde sich bewusst: sie kann ja nicht die Einzige sein.” Lordes Anwesenheit leitete einen Wendepunkt in der deutschen Frauenbewegung ein. Sie half Schwarzen Frauen eine Stimme und ein Bewusstsein für die eigene Identität zu finden. Die „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD)” und „Adefra e.V. – Schwarze Frauen in Deutschland”, gründeten sich und existieren bis heute. Zusätzlich wurde in Anlehnung an den Begriff „afroamerikanisch”, „afrodeutsch” eingeführt und vom Vorbild der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA, die den Slogan „Black is beautiful” verwendete, „Schwarze Deutsche” abgeleitet.

Der deutsche Wortschatz war auf einen Schlag um zwei Begriffe reicher. Und das war eine aktive Entscheidung: „In der ersten Sitzung der ISD haben wir im Konsens darüber abgestimmt, in einer Runde von 30 bis 40 jungen Menschen“, berichtet Katharina, die live dabei war. Eine kleine Runde also, die die deutsche Sprachwelt für immer veränderte – heute sind die beiden Begriffe im deutschen Sprachgebrauch angekommen. Audre Lorde wurde bald ihre Mentorin und ermutigte die junge Studentin und ihre Freundin May Ayim mit den Worten „Stellt euch gegenseitig vor und präsentiert euch der Welt“, ein Buch über die Erfahrungen Schwarzer Frauen in Deutschland zu schreiben.

Die Geburtsstunde von „Farbe bekennen“. Warum ist es bis heute ein Standardwerk? „Das liegt daran, dass diese Art von Buch, in dem es um Lebenserfahrungen geht, das Einzige dieser Art ist. Unter anderem erzählen darin zwei ältere Schwarze Frauen von ihrer Kindheit in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus, das war bahnbrechend. Vorher hatten wir keine Geschichte und wussten nicht, wie Afrodeutsche damals gelebt haben.“

Konflikte bei der Lesbenwoche


Während das Buch in der afrodeutschen Community gut ankam, begegneten den Autorinnen bei feministischen Veranstaltungen, zum Beispiel auf den Berliner Lesbenwochen, die sich seit 1986 auch mehr mit Rassismus auseinandersetzten, oft kritische Nachfragen. Anfang der 1990er kam es dann zum Konflikt. „Unser Coming-out als Schwarze Deutsche hat dazu geführt, dass weiße
Feministinnen mehr reflektieren mussten und klar wurde: Das sind Privilegien. Die weißen Deutschen hatten die ,Check-card of Privileges‘: Arbeitsrecht, Niederlassungsrecht, Reisefreiheit.

Wir als Afrodeutsche haben die zwar mit dem deutschen Pass auch ein stückweit, es wird uns aber immer wieder abgesprochen.“ Im Programmheft und den Protokollen der Lesbenwoche taucht Katharinas Name immer wieder auf. Sie war mittendrin, hat mitorganisiert und mitgestritten. Doch der Streit zehrte an ihr und auch an ihrer Partnerin. „Carolyn hat nach dieser Lesbenwoche zum Thema Rassismus, die ja relativ heftig auseinandergegangen ist, gesagt, sie wolle erst einmal nicht mit mehr als drei Lesben in einem Raum sein“, erzählt sie und muss bei der Erinnerung daran dennoch schmunzeln.

Die Lesbenwochen waren bekannt für ihre vehementen Auseinandersetzungen. Und es gab noch einen anderen Grund, weshalb sich Katharina aus der Lesbenbewegung zurückzog. Die Generation nach ihr beschäftigte sich mit anderen Themen – Queer-Theorie und Diskussionen um Geschlechtsidentität nahmen die Debatte ein, während der Dialog um Rassismus aus ihrer Sicht in den Hintergrund rückte. Ein Generationenwechsel, der wohl nicht geklappt hat. Wegen misslungener Kommunikation und fehlendem Verständnis auf beiden Seiten haben sich zwei Generationen ausgetauscht, ohne wirklich aufeinander aufzubauen.

Sehen wir uns heute Diskussionen um Rassismus in queeren Kreisen an, merken wir, dass bestimmte Dinge genauso schon vor dreißig Jahren diskutiert wurden: Die Sichtbarmachung von Privilegien, die Bezeichnung „Schwarz” als politischer Begriff, der Umgang mit der eigenen Positionierung und mit weißer „Scham” – heute gerne „white tears” (weiße Tränen) genannt. Auch führen wir in Deutschland immer noch verbitterte Kämpfe um die Nichtverwendung des N-Worts in Kinderbüchern und dafür, dass Schwarze Stimmen und Meinungen ernstgenommen werden. Wahrscheinlich hat Katharina Recht: „Wir hätten damals weitermachen sollen. Rassismus war noch nicht zu Ende diskutiert.”

// Hannah Geiger

Dieser Artikel erschien zuerst in der September/Oktober-Ausgabe von L-MAG, erhältlich als E-Paper.

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