"Lesbenfeindlichkeit in neuem Gewand"
Lesben sind immer auch Frauen? Von wegen: lesbische Identitäten sind vielfältig – eine Tatsache, die in aktuellen Debatten oft ignoriert wird. Ein Kommentar von Stephanie Kuhnen
Der Kommentar ist zuerst erschienen in der Juli/August-Ausgabe von L-MAG
12.07.19 – Gerade wird die Nachfolgeserie von "The L Word" unter dem Subtitel "Generation Q" beworben. Damit sind wir bereits mitten im großen Missverständnis, das hegemoniale Sichtbarkeit und Teilhabe anrichten kann. So bahnbrechend die Serie in ihrer Zeit gewesen sein mag, so mangelte es ihr dennoch an Diversität. Gezeigt wurden Lesben, wie man sie für "darstellbar" hielt, um überhaupt Anerkennung und das Interesse der Zuschauenden zu finden: im größtmöglichen Abstand zu dem gefürchteten Klischee der "vermännlichten", "hässlichen", "männer- und kinderhassenden" Frau.
Die Serienmacherinnen nutzten erfolgreich die visuelle Tarnkappe der Hyperfemininität, um vielfältige Geschichten zu erzählen. Doch letztlich zählte vor allem das Aussehen und ein Bekenntnis zur gesellschaftlich festgeschriebenen Weiblichkeit. Denn Sichtbarkeit ist immer auch normativ. Das heißt, was gesehen wird, wird als Realität empfunden. Und daran richtet sich die Vorstellung, was eine Lesbe ist. Eine beförderte Sichtbarkeit geht immer auch zulasten anderer Sichtbarkeiten.
Queer=cool, Lesbisch=uncool?
Im Fall einer geskripteten Serie: Das Leben imitiert die Kunst. Gemäß der Annahme einer Fortschrittlichkeit soll es nun eine neue Generation namens "Queer" geben, die mehr Unterschiedlichkeit inkludiere. Diese Legende impliziert, die "Lesbe" sei jetzt altbacken, subaltern (im wörtlichen Sinne: unbedeutend, Anm. d. Red.), in ihren Ausdrucksformen beschränkt und vor allem gebunden an nur eine Körperlichkeit. Dieses aufgestellte Konkurrenzverhältnis von "Lesbe" zu "Queer" ist schlicht die alte Lesbenfeindlichkeit in neuem Gewand - und ahistorisch noch dazu.
Lesben sind traditionell die Personen, denen spätestens seit dem 19. Jahrhundert eine "echte Weiblichkeit" abgesprochen wurde. Gemessen an der hierarchisierten Norm sind sie immer minderwertig. Denn diese "echte Weiblichkeit" misst sich an Mutterschaft, Heterosexualität, (kostenloser) Fürsorge-Arbeit zu einem hetero- und cis-normativen Allgemeinwohl. Aufwertung in diesem System ist nur durch die Bestätigung der eigenen Benachteiligungsstruktur erreichbar, in der Hoffnung, sie zum eigenen Vorteil verändern zu können. Eine Strategie, die unter anderem mit dem paradoxen Kampf um Ehe und Mutterschaft versucht wurde. Oder auch dem Einswerden mit der Strukturkategorie "Frau".
Lesbischsein umfasst viele Dinge
Das klingt wie ein unentrinnbares, antifeministisches Hamsterrad. Tatsächlich war das Annehmen des Begriffes "Lesbe" als positive und empowernde Eigenbezeichnung in den 1970ern der Versuch, aus dieser Mühle von Machtproduktion und Zugehörigkeit auszusteigen. Lesbischsein bedeutete die weitmöglichste Bewegung aus dem androzentrischen Homosexuellsein und dem Perversenstatus im Frausein.
Damit "queerte" sich die Lesbe - lesbischer Feminismus wurde queerer und intersektionaler. Und gleichzeitig wurde es immer komplexer, weil "Lesbe" auch niemals ein starrer Containerbegriff war, sondern ein dynamisches Konzept, zu dem homosexuelle und frauenliebende Frauen, bisexuelle lesbisch lebende Frauen, trans- und inter Lesben, sich als lesbisch identifizierende trans Männer, Femmes, Butches, non-binäre Lesben gehörten. Lesben hatten schon immer viele Namen: conträsexuelle Frauen, Tribadinnen, Halbfrauen, Hermaphroditen, Transvestiten, Invertierte - alle sprechen für eine sich queer, oder besser, quer zu Staat und Gesellschaft verhaltende Existenz.
Stachel im Fleisch des Patriarchats
Wenn also jetzt von einer "Generation Queer" gesprochen wird, dann ist das eine Rückbesinnung und kein Fortschritt. Fun Fact: "The L Word" geht zurück auf den Film "Go Fish" von 1994, der Lesbischsein weit queerer als die Serie erzählt und auch Herkunft und Klasse diskutiert, aber eben nicht die Reichweite der nur ausschnitthaften Lipstick Lesbians aus Los Angeles erreichen konnte. Dabei ist Lesbischsein immer mehr als eine "sexuelle Orientierung", als dass es isoliert in die machtblinde LGBT-"Buchstabensuppe" eingegliedert werden kann.
"Queer" als moderner und "gerechter" gegen "Lesben" zu setzen, wie es derzeit in vielen Debatten geschieht, ist auch nur eine neoliberale Selbstoptimierung zum "neuen Menschen" und gewaltvolle Überschreibung von lesbischer Vielfalt. Lesbischleben ist ein historisch konstantes Work-in-Progress, ein lebendiges Experiment voller Ambivalenzen, eine sich stetig wandelnde Utopie in einer patriarchalen Dystopie. Queerer kann's kaum werden.
Stephanie Kuhnen
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