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(Un)Sichtbar? Queeres Leben in Kambodscha

In dem südostasiatischen Land trauen sich viele LGBT nicht, offen gegenüber ihrer Familie zu sein. L-MAG sprach mit einigen Lesben über Leben und Lieben zwischen Offenheit und Verstecken

Foto: Screenshot Film Rattanak (re.) und Annika halten seit 2015 ihre Geschichte filmisch fest – mit allen Höhen und Tiefen.

Von Jana Schulze


16.12.2020 – 11.000 Kilometer sind es, die Annika Franke (27) und Rattanak Sovan Dyna (27) trennen. Dazu kommt im Sommer fünf Stunden Zeitverschiebung, im Winter noch eine mehr. Ihre Sprachen, ihre Kulturen, ihre Lieblingslieder, ihre Religionen, ihre Familien – alles könnte kaum unterschiedlicher sein. Und dennoch oder vielleicht gerade deshalb 
haben sich die beiden Frauen vor fast sieben Jahren in einer Kirche, in der Annika als Freiwillige arbeitete, gesehen und verliebt. „Gleich am ersten Abend hat sie mich auf dem Rücksitz ihres Mofas mit zurück in die Stadt genommen“, erinnert sich Rattanak, die in einem Dorf mitten in Kambodscha aufwuchs. „Es war ihr erstes Mal Rollerfahren mit einer Mitfahrerin: Ich habe Todesängste ausgestanden.“ Dennoch hat es sofort gefunkt zwischen der Kambodschanerin und der Deutschen.


„Als ich Rattanak näher kennenlernte, dachte ich: ‚Ein Mann mit ihren Charaktereigenschaften und ihrem Wesen wäre der Richtige für mich‘“, erinnert sich Annika, die in der Nähe von Heidelberg groß wurde. Es habe dann noch einige Wochen gedauert, bis sie merkte, dass „auch eine Frau mit diesen Charaktereigenschaften eben genau die Richtige“ für sie sein kann. „Ich habe mich einfach in sie als Mensch verliebt“, weiß sie heute. Mit ihr habe die studierte Filmemacherin 
viele „erste Male“ erlebt: „Gerade, weil wir an zwei verschiedenen Enden der Welt aufgewachsen sind.“
Das Leben in dem asiatischen Land, die 
Kultur der Khmer (die größte Ethnie in Kambodscha) habe sie von Beginn an bereichert. Mit Rattanaks gesamter Familie habe sie sich sehr verbunden gefühlt. „Die Gesetzeslage zu Homosexualität kannte ich damals nicht. Aber mit der Zeit lernte ich zu schätzen, dass es zumindest religiös keine Einschränkungen gibt“, erinnert sich Annika.

Die rechtliche und gesellschaftlche Lage in Kambodscha

Denn das Land ist hauptsächlich buddhistisch geprägt und der Buddhismus schreibt keinerlei Regeln oder Verbote in Bezug auf Homosexualität vor. Das hatte Annika zuvor in Deutschland anders erlebt bei einer evangelikalen Freikirche. Laut einer Umfrage von 2015 (mit rund 1.600 Befragten) der Rainbow Community Kampuchea sind Diskriminierungen sexueller Minderheiten Alltag. Lesbische Paare würden demnach auf Basis eines Gesetzes gegen Menschenhandel festgenommen. 
Familien verstießen immer wieder homo- und transsexuelle Söhne und Töchter oder zwingen sie zur Heirat mit Heteropartnern. In der Umfrage heißt es aber auch: „Es ist nicht mehr so schlimm wie früher.“


Die Regierung, die sonst für Menschenrechte wenig Verständnis hatte – so gab es unter 
anderem im Vorfeld der Wahlen 2018 immer wieder starke Repressionen gegenüber politischen Gegenspielern – ist in LGBT-Fragen verhalten offen (L-MAG November/Dezember 2016).
Offiziell steht keine Strafe auf Homosexualität und es gibt kein Gesetz, das gleichgeschlechtlichen Paaren die Ehe ausdrücklich erlaubt, aber auch keines, dass es verbietet. In der Khmer-Sprache gibt es zudem kaum neutrale Begriffe für Homosexuelle. Die meisten Ausdrücke sind eher Schimpfwörter. Andererseits hat die Sprache auch ein drittes Geschlecht.

Foto: Jana Schulze Im Hinterzimmer des Krousar-Cafés hat ein junger Australier einen Anlaufpunkt geschaffen. Auch Bros Toch (3. v. li.) und Meas (1. v. re.) kommen gern hierher.

 

LGBT-Treffpunkt im Hinterraum


Diesen Spagat zwischen Offenheit und Verstecken bestätigen auch die acht Frauen, die sich im Hinterraum des Krousar-Cafés in der touristischen Stadt Siem Reap treffen. Bros Toch ist 28, trägt einen burschikosen Haarschnitt, redet sehr leise und ernst – anders als viele Kambodschanerinnen, die viel 
lächeln. Sie ist in einem Vorort der Hauptstadt Phnom Penh aufgewachsen, erzählt sie im Gespräch mit L-MAG, „und wollte schon immer Mädchen und Frauen nahsein“, hat sich selbst nie als lesbisch gesehen. Ihre 
Eltern wollten, dass sie sich femininer kleidet und verprügelten sie als Kind sogar dafür.

Mit 22 heiratete sie schließlich einen Mann, zog mit ihm auf ein Dorf, wo die Alten ihr mitteilten: „Lesbisch ist gegen die Natur.“ Es brauchte viel Mut, viele Diskussionen, bis sie sich letztlich von ihm scheiden ließ. Ein Jahr später traf sie ihre heutige Ehefrau. Die beiden betreiben ein Geschäft in Siem Riep und leben zusammen. Bros’ Eltern sind mittlerweile verstorben. Die jungen Frauen sind froh, dass es diesen Ort hinterm Krousar-Café gibt: Es ist ein LGBT-Treffpunkt, die der schwule Australier Jason 
Argenton vor gut einem Jahr geschaffen hat, „wo jeder so sein kann, wie er ist, auch wenn er sich keinem Geschlecht zugehörig fühlt“. Er selbst kam vor fast acht Jahren in das süd-ost-asiatische Land und blieb. Heute hat er hier eine Beziehung und ist froh über jede neue Lesbe, jeden neuen Schwulen, der zum LGBT-Treffpunkt kommt. Es ist ein heller, gemütlicher Raum mit Lampen in Regenbogenfarben, Sitzpaletten, bunten Kissen und zwei Ankleidepuppen, die schräge T-Shirts tragen.

„Niemand von uns läuft hier Hand in Hand“


Meas hingegen ist heute das erste Mal hier, eine kräftige Frau mit langen, dunklen Haaren und offenem Blick. „Niemand von uns läuft hier Hand in Hand oder zeigt Körperkontakt zu seiner Freundin, wenn sie mit bei der eigenen Familie ist“, erzählt sie. Ihre Freundin sei immer wieder bei ihr Zuhause, sie hätten sogar gemeinsam im gleichen Raum geschlafen – was in Kambodscha offiziell nur Eheleute dürfen. Vorgestellt hat sie ihre Liebste jedoch nie als Partnerin. „Sollen meine Eltern mich doch fragen“, kommentiert sie ihre Strategie. Auch Rattanak, die als Naturschützerin im Dschungel forscht, erzählt: „Ich hatte Angst, dass sie mich mit anderen Augen sehen könnten, aber meine drei Schwestern haben mir Halt gegeben. Meiner Mama auf dem Land habe ich es erst letztes Jahr erzählt. Sie war geschockt. Sie träumt seit Jahren von einer großen Hochzeit in ihrem Haus auf dem Land. Dass diese Hochzeit mit einer Frau sein könnte, hatte sie sich nicht vorgestellt.“


Und auch Annikas Eltern aus Heidelberg baten die Tochter, die Beziehung zu ihrer Freundin geheim zu halten: „Das war für mich sehr verletzend, nachdem ich endlich den Schritt der Offenheit gewagt hatte. Aber das Wichtigste war: Sie haben sich mit der Zeit mit dem Thema gleichgeschlechtlicher Liebe auseinandergesetzt.“ Jason Argenta und sein kleines Team vom LGBT-Jugendtreff in Siem Riep sind viel-seitig aktiv. Sie organisierten (vor Corona) Boxnachmittage, einen kleinen CSD, Auf-klärungskampagnen im Netz – immer als gemischtes Angebot für Schwule, Lesben und Trans. In der Touristenstadt gibt es ein paar Bars, Clubs und Saunen für Schwule, so wie in der Hauptstadt Phnom Penh. Zudem sind einige Organisationen aktiv, die sich um schwullesbisches Leben kümmern und etwa den Gay Pride organisieren.


Doch Rattanak und Annika haben nur wenige homosexuelle Freunde, erzählen sie. Sie müssen vor allem den Spagat zwischen zwei Welten und über zwei Kontinente meistern: „Einerseits ist es ein Wunder für mich und ich bin sehr dankbar, dass unsere Beziehung so stark ist, die Distanz und das lange Warten zu überstehen. Das ist einer der größten Liebesbeweise für mich. Andererseits raubt es viel Kraft. Wann sehen wir uns? Wann kommt der nächste schmerzvolle Abschied?“ Nach sieben Jahren wollen die beiden 2021 in Deutschland heiraten, mit allen Urkunden – und dann in Kambodscha die große Hochzeit feiern, so wie es die Tradition verlangt. „Ich hätte am Anfang nie gedacht, dass unsere Beziehung sieben Jahre dauern würde. Nun habe ich unsere gemeinsame Zukunft vor Augen – dafür würde ich auch noch mal sieben Jahre warten!“, schwärmt Rattanak.

Dieser Text erschien zuerst in der Print-Ausgabe von L-MAG November/Dezember 2020.

 

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Kolumne von Karin Schupp

Jeden Freitag hier auf l-mag.de: K-WORD, News aus der Lesbenwelt. Gefunden, ausgewählt und geschrieben von L-MAG Klatschreporterin Karin Schupp.
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