L-Mag

Lesbische Pastorinnen: Ach, du heiliges Landleben

Das Pastorinnen-Paar Steffi und Ellen Radtke gewährt mit dem YouTube-Kanal „Anders Amen“ Einblick in ihren lesbischen Familienalltag und versucht damit unterschiedliche Vorurteile abzubauen

Von Ulrike Raimer-Nolte

22.5.2021 – Queersein, Kirche, Dorf – das sind die Themen von Ellen und Stefanie Radtke. Als Pastorinnen-Ehepaar haben sie im winzigen Eime bei Hildesheim einen YouTube-Kanal gestartet. Der erste Trailer zeigte die beiden knutschenden Frauen im Talar auf dem Kirchturm. Die quirligen Lesben wollen vor allem bei jungen Userinnen und Usern mit Vorurteilen aufräumen, sowohl mit solchen gegenüber Homosexuellen, als auch gegenüber Christentum und Dorfleben. Jeden Mittwochabend erscheint bei „Anders Amen“ ein neuer Beitrag, der Einblick in ihren Alltag zwischen Scheunen­fest und Kinderwunschbehandlung gibt.

Der erste Film mit dem Titel „Spießersonntag“ wurde inzwischen über 40.000 Mal angeklickt. Besonders stolz sind die beiden auf den „Smart Hero Award“ von Facebook, den sie für ihr außergewöhnliches Projekt gewonnen haben. Nach einer kurzen Babypause im letzten Winter sind sie nun wieder mit einem neuen Trailer am Start. In dem reichen sie ihren Regenbogennachwuchs von einem Kirchturmfenster zum anderen. Wegen der Fallhöhe wurde allerdings eine Puppe als Double benutzt …

L-MAG: Ellen und Steffi, unser Titelthema „Landleben“ liegt euch ja besonders am Herzen. Dabei habt ihr früher beide im trendigen Berlin gelebt – ein ziemlicher Kontrast! War der Umzug aufs Dorf eine bewusste Entscheidung?

Steffi: Also, ich wollte unbedingt als Großstadtgöre mal eine Phase lang auf dem Dorf leben. Die erste Pfarrstelle kann man sich aber nicht aussuchen, die bekommt man. Wenn man dann sagt, ich geh freiwillig aufs Land, ist man quasi die Heilige.

Ellen: Hätte ich mir meine erste Stelle selbst aussuchen können, wäre es garantiert in Berlin gewesen. Ich habe wirklich lange gebraucht, um die Vorteile hier schätzen zu lernen. Aber Steffi ist ins Dorfleben in jeder Hinsicht einbezogen, bei jedem Verein unterwegs, bei jedem Dorffest auf der Bühne … äh … oder an der Theke …

Steffi: … manchmal auch auf der Tanzfläche!

Ellen: Lustig ist es, wenn wir mit dem Kinderwagen durchs Dorf laufen. Steffi hat sich vorgenommen, dass sie bei jedem Haus sagen kann, wer darin lebt, und sie ist schon nah an ihrem Ziel dran.

Wie sieht denn euer privater Freundeskreis inzwischen aus? Seid ihr mit anderen Landlesben verknüpft?

Ellen: Insgesamt ist unser Freundeskreis recht divers. Es befinden sich sogar Heteros darunter (lacht), denn die meisten queeren Leute leben unserer Erfahrung nach eher in den Städten. Leider.

Steffi: Aber durch „Anders Amen“ kriegen wir jetzt immer Zuschriften von anderen homosexuellen Landleuten. Das ist schön. Wir sind kein Unikum, wir haben nur in den Medien diesen Seltenheitswert.

Euer YouTube-Kanal hat ziemlich viel Staub aufgewirbelt. Mal wird er als „Zukunft der Kirche“ gefeiert, mal angefeindet. Ihr selbst habt ihn als Pionierprojekt bezeichnet, um eine neue Form von Gemeindeleben im Netz auszuprobieren. Wie seid ihr auf die Idee gekommen?

Ellen: Wir haben uns ständig darüber aufgeregt, dass man bei YouTube nur ein ziemliches Zerrbild von Kirche bekommt. Kanäle von Leuten, die propagieren: „Keinen Sex vor der Ehe, sonst Hölle!“ Aber dann haben wir uns immer gesagt, dass wir mit 35 eigentlich schon zu alt dafür sind und auch zu wenig wissen. Wie macht man das? Wie schneidet man Videos? Und dann kam ein kirchlicher Empfang mit reichlich Apfelwein, wo wir die Leute vom evangelischen Kirchenfunk kennengelernt haben. In Schnapslaune haben wir rumgesponnen, eine Daily Soap namens „My Crazy Holy Life“ an RTL 2 zu verkaufen. Na ja, und am nächsten Morgen hatten wir eine E-Mail im Postfach, in der stand: „Hey, lasst uns mal ernsthaft darüber reden.“ Innerhalb von sechs Wochen entstand auf einmal – Zack – das Konzept. Wir hatten gar keine Chance, uns zu wehren. (lacht)

Und jetzt habt ihr sogar einen Preis gewonnen. Noch dazu gehört ihr im Dorf durchs Pastorinnenamt zu den Honoratiorinnen. Wie lebt es sich damit?

Ellen: Der größte Vorteil der Stadt war für mich immer die Anonymität. Das vermisse ich. Hier im Dorf habe ich mir ein einziges Mal gedacht: „Och, um 6.30 Uhr kann ich mal so zum Bäcker laufen, wie ich bin.“ Hah! Ich verlasse jetzt das Haus nicht mehr in totaler Schlumpikleidung.

Wie stellt ihr euch eure Zukunft vor? Wollt ihr als Regenbogenfamilie auf dem Land bleiben? Ihr habt ja gerade eine kleine Tochter bekommen.

Steffi: Gerade in Coronazeiten sind wir super­glücklich, dass wir hier sind. Klar, wenn Fides mal irgendwann in der Pubertät ist, wird sie uns einen Vogel zeigen, aber bis dahin ist es für sie toll, hier aufzuwachsen. Ellen hat auch eine gute Mischung für sich gefunden, in der Stadt zu arbeiten und auf dem Land zu leben.

Ellen: Hier wird Fides vieles selbst erkunden können und eben dieses typische Dorfleben haben. Von den vier Häusern um uns rum leben in dreien auch Kinder in ihrem Alter. Da kann sie selbstständig ohne Mama mal schnell rüber zu den Freunden und Freundinnen laufen.

Steffi: Tja, und außerdem habe ich hier gerade den Zehnjahresvertrag unterschrieben. Die Gemeinde hat mich wiedergewählt …und unser kleines Dorf ist auch ein bisschen stolz auf seine Regenbogenfamilie.

Das Interview erschien zuerst in der Print-Ausgabe von L-MAG Mai/Juni 2021.

 

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Kolumne von Karin Schupp

Jeden Freitag hier auf l-mag.de: K-WORD, News aus der Lesbenwelt. Gefunden, ausgewählt und geschrieben von L-MAG Klatschreporterin Karin Schupp.
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