Mit Herzklopfen vor der Klasse: Lesbisch im Lehrberuf
Was erleben lesbische Lehrerinnen nach dem Coming-out in der Schule, auf welche Probleme stoßen sie – und was können sie verändern?
Von Florian Bade
24.06.2022 - Wir erinnern uns alle an das Gedrängel und Geschreie auf dem Schulhof; an Ranzen, die durchs miefende Klassenzimmer fliegen; an zugewandte und indifferente Lehrer:innen.
Für Lesben und andere LGBTIQ* ist die Schulzeit nicht selten ein Spießrutenlauf, bei dem sie sich ungeoutet wegducken oder geoutet als Zielscheibe für Bullys herhalten müssen. „Es war für mich die Hölle“, erinnert sich die heute 33-jährige Gymnasiallehrerin Kara-Arietta Lissy an ihre eigene Schulzeit. Nachdem sie einer Freundin in der neunten Klasse anvertraut hatte, dass sie sich in ein Mädchen aus der Parallelklasse verguckt habe, verbreitete sich die Neuigkeit wie ein Lauffeuer. „Sie erzählte es anderen Freundinnen, die sitzengeblieben waren, und die trugen es in weitere Jahrgänge. Ab dann hatte ich das L-Wort auf meine Stirn tätowiert.“ Die Anfeindungen nahmen bis zu Kara-Ariettas Abitur kein Ende. Lehrer:innen, die Beleidigungen auf dem Flur mitbekamen, halfen ihr nicht.
Die Motivation: es besser machen!
Aber warum dann nochmal freiwillig an die Schule zurückkehren und den Lehrberuf ergreifen? „Mich hat meine schlimme Erfahrung in meiner Schulzeit angetrieben“, erklärt Kara-Arietta. „Ich hatte dadurch die Motivation, es anders und besser zu machen.“
Bei Gun Overesch war es ähnlich. Die Lehrerin für Französisch und evangelische Religion an einer Gesamtschule in Braunschweig outete sich gegenüber Freund:innen und Familie mit 28 Jahren, als sie bereits im Referendariat war. Im Ausbildungsseminar verschwieg sie ihre sexuelle Orientierung aber lieber. „Im Referendariatsjahrgang über mir gab es eine Frau, die offen lesbisch lebte. Sie bekam deshalb massive Probleme. Man sagte ihr, dass sie damit nicht so hausieren gehen solle.“
Besonders lesbische Lehrerinnen mit dem Fach Religion sehen sich oft noch großem Druck ausgesetzt. Bei einem Coming-out befürchten einige nach wie vor, ihren Arbeitsplatz zu verlieren: Lehrerinnen für katholische Religion machten dies Anfang des Jahres deutlich: In der ARD-Doku „Wie Gott uns schuf“ sprachen Angestellte im Dienst der katholischen Kirche über Diskriminierung.
„Der Druck ist groß“, berichtet Gun. „Und ich dachte mir während meines Referendariats: Okay, ich bin noch nicht so safe mit meinem Lesbischsein, dann halte ich das jetzt auch noch anderthalb Jahre ungeoutet aus.“ Heute sieht es bei der 32-Jährigen zum Glück anders aus: Sie ist an ihrem Arbeitplatz out und ihr geht es gut damit. Vor Guns Schule hängt inzwischen eine Regenbogenfahne.
Schüler:innen zeigen großes Interesse
Annika Sanner, 44, Grundschullehrerin in Rheinland-Pfalz, möchte auch authentisches Vorbild sein: „Ich hatte zu meiner Jugendzeit keine Rolemodels in meiner Schule. Vielleicht wäre ich mir dann über meine Gefühle früher im Klaren gewesen.“
Wie bei Gun und Kara-Arietta zeigte sich das Kollegium auch bei Annika sehr offen, sobald sie ihre erste feste Stelle nach dem Referendariat angetreten hatte. Ihr Lesbischsein war kein Thema mehr.
Das Coming-out vor der Klasse war ein größerer Schritt. „Mein Herz klopfte bis ins nächste Klassenzimmer“, erinnert sich Annika und lacht. „Als ich es den Kindern gesagt habe, war die Stille erst mal ganz laut, aber dann prasselten die Fragen auf mich ein.“ Die Reaktionen erlebte Annika als durch die Bank weg positiv: „Es war einfach Interesse.“ Die Schüler:innen kamen die Tage darauf auch mit verschiedenen lesbischen und queeren Storys aus ihrem Umfeld zu Annika. Ihr Coming-out wurde für die Kinder zum Türöffner.
Kara-Arietta und Gun arbeiten bei ihren älteren Kids gerne mit Symbolen wie einem Regenbogenschlüsselband oder einer Regenbogenmaske, um klar Flagge in der Schule zu zeigen. „Die Schüler:innen fragen dann nach und so kommt man ganz natürlich ins Gespräch“, sagt Kara-Arietta. Ein Sich-Offenbaren vor der ganzen Klasse sei gar nicht nötig, die Info fällt einfach beiläufig in einem Nebensatz. Und Neuigkeiten sprechen sich in der Schule schnell herum.
Darüber hinaus sind alle drei Lehrerinnen sehr drauf bedacht, ihre Unterrichtsinhalte LGBTIQ*-freundlich zu gestalten – was etwa heißen kann, den oft heteronormativen Beispielen in Schulbüchern andere Inhalte entgegenzusetzen, zum Beispiel wenn es um Familien- oder Lebensmodelle geht. Das Ziel ist ähnlich wie beim eigenen Coming-out am Arbeitsplatz: Es geht darum zu vermitteln, dass andere Lebensentwürfe normal sind.
Leider gibt es auch unter den Schüler:innen immer wieder Einzelne, die andere diskriminieren. Das krasseste Beispiel schildert Gun: In einer Klasse drangsalieren einige Schüler ihre queeren Mitschüler:innen. „Viel läuft über Social Media, wo die Jugendlichen sich aufs Übelste beleidigen.“ Die Peiniger posteten sogar Bildmontagen, auf denen Regenbogenflaggen verbrannt wurden, nur weil die queeren Schüler:innen ihre gewählten Pronomen einforderten.
Gun versuchte „als inoffizielle Queerbeauftragte der Schule“ in dem Konflikt zu vermitteln. „Es hat sich danach kurz beruhigt, aber dann ging es wieder von vorne los“ – und sogar so weit, dass homophobe Sprüche auf ihr Pult gekrakelt wurden. Allein konnte Gun dieses Konfliktpotenzial nicht nachhaltig auflösen.
Zu wenig Anlaufstellen an Schulen
Das Hauptproblem: In Bildungseinrichtungen wird am falschen Ende gespart. Sozialpädagog:innen und Schulpsycholog:innen sind häufig für mehrere Schulen gleichzeitig zuständig und haben oft nur Zeit, sich um die Opfer zu kümmern und nicht um die Täter:innen. Expert:innen von außerhalb des Schulbetriebs einzuladen und zurate zu ziehen, wie es zum Beispiel die LGBTIQ*-Organisationen „Schlau“ oder „Querformat“ anbieten, ist bei Konflikten zwar eine Option – reicht aber nicht aus.
Deswegen sind sich Gun, Kara-Arietta und Annika einig, dass sich in den Schulen strukturell etwas ändern muss. Sie schlagen vor, dass queere Antidiskriminierungsarbeit ein verpflichtender Teil der Ausbildung aller Lehrkräfte wird. „Statistisch gesehen haben wir etwa eine Million queere Schüler:innen“, sagt Kara-Arietta dazu. „Deshalb brauchen wir offizielle Funktionsstellen für queere Themen.“ Schule müsse allgemein „einen Weg der Akzeptanz gehen“ und sich das Wort nicht immer nur als hübsches Label geben. „Wir müssen Akzeptanz in der Schulkultur leben. Das können wir queere Lehrkräfte nicht allein.“
Gun pflichtet Kara-Arietta bei: „Es muss noch ganz viel sensibilisiert werden, damit nicht nur wir es sind, die einschreiten.“ Annika wünscht sich auch, dass die Schulbuchverlage marginalisierte Gruppen inkludieren und nicht in Genderklischees verhaftet bleiben.
Die gute Nachricht ist: Das Engagement von Pädagogik-Pionier:innen, die selbst out sind, sowie ein genereller Shift im gesellschaftlichen Bewusstsein tragen Früchte. So wissen die drei Lehrerinnen auch von einer Fülle von Positivbeispielen zu berichten – Annika zum Beispiel erzählt von einem Mädchen, die erst sehr skeptisch Annikas Lebenspartnerschaft gegenüber stand und später auf dem Schulhof anderen Kindern gegenüber deutlich machte, dass jede Form der Ehe und Partnerschaft gut und okay sei. Kara-Arietta und Gun haben erlebt, wie Schulklassen bei Outings von trans Mitschüler:innen geschlossen hinter den Betroffenen standen. Und mit ihrem eigenen, selbstbewussten Umgang schaffen Annika, Gun und Kara-Arietta eine höhere Sensibilität und eine verbesserte Sichtbarkeit in ihren Schulen – eine Sichtbarkeit, die dann von den Schüler:innen multipliziert wird.
Lesbische Lehrerinnen vernetzen sich
Neben ihrem anspruchsvollen Job helfen alle drei Lehrerinnen noch ehrenamtlich dabei mit, Netzwerke für Kolleg:innen aufzubauen und zu verbreiten. „Unsere Angebote richten sich von Förderschule bis Gymnasium, von Refi bis Studi“, sagt Kara-Arietta über die Gruppe „Queer Teachers“ in Braunschweig, die sie gemeinsam mit anderen gegründet hat und die sich einmal im Monat trifft. „Einige Betroffene wissen nicht, wie sie mit ihrer
Sexualität im schulischen Rahmen umgehen sollen und haben Angst davor, sich zu outen. Dann sprechen wir mit den Personen und sind für sie erst mal eine Gemeinschaft. Das kann helfen, im pädagogischen Kontext mit seiner Sexualität klarzukommen und Unterstützung zu finden.“
Neben lokalen Gruppen gibt es mittlerweile auch einige bundesweite Zusammenschlüsse wie die Initiative #TeachOut. Gun hat sie mitbegründet und sagt: „Ein breiteres Netzwerk bietet die Möglichkeit, sich auszutauschen, besonders wenn es vor Ort keine Ansprechgruppen gibt.“ Empowerment speziell für lesbische Lehrerinnen liegt auch Annika am Herzen: „In diesen Netzwerken gibt man sich gegenseitig Kraft und Unterstützung.“ Sie hat nun schon zum dritten Mal beim Bundestreffen „Lesbisch-queerer Lehrerinnen*“ in der Akademie Waldschlösschen bei Göttingen mitgewirkt, das zuletzt im Mai stattfand und bei dem auch Pädagog:innen aus anderen Berufskontexten willkommen sind.
Schüler:innen und Lehrer:innen stehen also zusammen. Das macht Hoffnung! Und Kara-Arietta hat noch einen persönlichen Wunsch: Sie möchte nächstes Jahr auf dem Abiball ihres Leistungskurses mit ihrer jetzigen Freundin tanzen. Da sie und ihre erste Freundin damals aufgrund des Mobbings nicht öffentlich zu ihrer Beziehung stehen konnten, war ihnen ein gemeinsamer Tanz beim Abiball nicht möglich. „Ich will, dass diese Wunde nach 14 Jahren endlich heilt.“
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Dieser Text erschien zuerst in der Print-Ausgabe von L-MAG Mai/ Juni 2022.
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