Ohne Ersatzflüssigkeit: Menstruation und Empowerment
Die Gründer:innen von „The Blood“ versprechen feministisches Empowerment, meinen aber eine Geschäftsidee: Sie untersuchen Menstruationsblut. Was steckt dahinter?
Erschienen in der L-MAG-Ausgabe 1-2024 (Jan./ Feb.)
Von Katrin Kämpf
Mit dem Slogan „Dein Zyklus, Deine Macht“ traten die Gründer:innen Isabell Guenou, Miriam Santer und Lucas Mittelmeier im September in der Vox-Start-Up-Show Die Höhle der Löwen an, um ihr Projekt „The Blood“ mit mehr Startkapital zu versorgen. „The Blood“ möchte den „Gender Data Gap“ in der Gesundheitsforschung mit Hilfe von Menstruationsblut schließen, indem sie Test-Sets anbieten, mit denen Biomarker im Blut analysiert werden können. Diese Analysen werden den Nutzer:innen per App zugestellt und soll außerdem auch an die Forschung gehen.
Zwar kam der Höhle der Löwen-Deal letztendlich nicht zustande, stattdessen sorgt nun aber „Rox Health“, eine Tochterfirma von „Roche Pharma“, für die nötige Finanzierung, die für die Entwicklung der Analysesets und die Zulassung als Medizinprodukt gebraucht wird.
Menstruationsblut hat keine Priorität in der Forschung
Idee hinter dem Start-Up ist die Feststellung, dass Menstruationsblut bis heute kaum als medizinisch interessante Körperflüssigkeit betrachtet und für Diagnostik im Regelfall nicht zu Rate gezogen wird. Dabei ist es eine einfache, nicht-invasive Möglichkeit der Blutentnahme. Der Wunsch, einen nicht-invasiven Bluttest zu entwickeln, entstand als die ehemalige Leistungssportlerin Guenou für ihre starken Menstruationsbeschwerden lange keine Hilfe fand und beobachtete, dass Menstruation in der Forschung oft keine Priorität darstellt.
Momentan ist das Projekt allerdings noch nicht marktreif. Für eine Zulassung als richtiges Medizinprodukt fehlen noch weitere Studien. In Zukunft sollen Hormon-, Vitamin- und Entzündungswerte aus dem Blut ausgelesen werden.
Das Testkit, das auf der „The Blood“-Webseite erhältlich sein wird, besteht aus einer Menstruationstasse, einem Laborröhrchen und Versandmaterial, mit dem die Probe an ein Labor geschickt werden kann. Die Auswertung wird den Nutzer:innen per App verkündet. Bei Einwilligung der Einsender:innen sollen die so gewonnenen Analysen auch für weitere Forschung Daten liefern. Welche Forschungsinstitute oder Unternehmen hier zukünftig beteiligt sein werden und wie das Blut – das ja schließlich DNA enthält – komplett anonymisiert werden kann, ist noch unklar.
Momentan gibt es auf der Webseite lediglich die verschlankte Version des Analyse-Kits, den sogenannten „Zyklus Check“, Proteinshakes und Merchandise-Klamotten zu erwerben. Beim „Zyklus Check“ wird Farbe, Viskosität und Koagulation des Menstruationsblutes untersucht – wie genau diese Begutachtung aussieht, ist leider nicht transparent. Der Check sei nur für „Lifestyle- und Wellness-Zwecke gedacht“ und ersetzt laut Webseite keinen Arztbesuch.
Die Macht über die Erforschung des weiblichen Körpers
Dass Zyklusbeobachtungen oder die Analyse von Vaginalsekret und Menstruationsblut Auskunft über allerlei körperliche Vorgänge geben können, dürfte unter Feministinnen kein Geheimnis sein. In den 1970er/80er Jahren etablierte die feministische Frauengesundheits-Bewegung Gesundheitsbildung als Selbstermächtigungsstrategie und versuchte, bewaffnet mit Spekulum und Handspiegel, meist männlichen Gynäkologen die Macht über die Erforschung des weiblichen Körpers zu entreißen.
Resultat waren damals unter anderem Gesundheitsbücher wie „Hexengeflüster“ oder „Our Bodies ourselves“, die Selbstuntersuchungen und die Untersuchung von Vaginalsekret und Blut popularisierten. Heute sind es insbesondere transfeministische Aktivist:innen, die mit medizinischen Selfcare-Praktiken, Hormontauschbörsen und selbstorganisierten Bildungsinitiativen ärztliche Wissensmonopole in Frage stellen.
Grundsätzlich ist es also eine interessante Idee, Menstruationsblut in diagnostische Verfahren einzubeziehen. Dass die Initiative dafür jedoch von einem Start-Up kommt und nicht aus wissenschaftlichen Einrichtungen und somit wiederum – zumindest vorerst – sicherlich keine Krankenkassenleistung darstellen wird, ist Symptom einer gefährlichen Tendenz: So wird Gesundheitsfürsorge in den letzten Jahren nicht mehr aus Empowerment-Gründen auch im Privaten praktiziert, sondern zunehmend privatisiert und kommerzialisiert und somit zum Luxusgut für Begüterte.
Dabei sollte doch die „Macht“ über Informationen zum eigenen „Zyklus“ selbstverständlich Kassenleistung sein. Und dass sich die Konsistenz und Farbe von Menstruationsblut auch im Do-it-yourself-Verfahren zu Hause untersuchen lässt, haben uns die gesundheitsbewegten Feministinnen bereits vor Jahrzehnten gelehrt.
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