Regenbogenfamilien: „Unsere Grundrechte werden mit Füßen getreten“
Lesbische und queere Familien sind in Deutschland immer noch nicht gleichgestellt. Wie geht es jetzt weiter? L-MAG sprach mit Christina Klitzsch-Eulenburg von der Initiative für Regenbogenfamilien #nodoption.

Erschienen in der L-MAG-Ausgabe 2-2025 (Mrz./ Apr.)
Von Franziska Schulteß
Die Initiative für Regenbogenfamilien #nodoption setzt sich seit mehr als vier Jahren dafür ein, dass das deutsche Abstammungsrecht reformiert und der Zwang zur „Stiefkindadoption“ bei lesbischen und queeren Familien abgeschafft wird. Obwohl die Ampel-Regierung versprochen hatte, das Gesetz zu ändern, steht die Reform nach wie vor aus – und auch das Verfassungsgericht bewegt sich in der Sache derzeit nicht. Was bedeutet dies für die betroffenen Familien – und was kann jetzt weiter passieren, um deren Rechte endlich abzusichern? L-MAG sprach mit der Juristin Christina Klitzsch-Eulenburg, die #nodoption gegründet hat.
L-MAG: Christina – wie wütend seid ihr?
Christina: Ich bin wechselnd unfassbar wütend und sehr frustriert. Ich kann nicht für alle sprechen, die bei #nodoption aktiv sind, aber ich denke, bei ihnen wird es ähnlich sein.
SPD, Grüne und FDP hatten 2021 in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, lesbische Eltern endlich gleichzustellen. Das ist nicht passiert. Die Koalition ist zerbrochen, bevor das Abstammungsrecht reformiert werden konnte. Woran ist es denn gescheitert?
Dafür gab es aus meiner Sicht mehrere Gründe. Auf uns hat es so gewirkt, als würden Themen innerhalb der Koalition hin- und hergeschoben und eines gegen das andere ausgespielt. Und das, obwohl bei der ungleichen Behandlung queerer Familien Grundrechte verletzt werden, das ist nicht etwas, das nur „nice to have“ ist. Das Justizministerium, damals noch unter Herrn Buschmann von der FDP, hat zudem Gruppen angehört, die versuchen, unwahre Zusammenhänge zwischen den Rechten von Vätern und den Rechten unserer Familienkonstellationen herzustellen. Es sollte hier der Eindruck entstehen, dass das eine das andere ausschließt, was aber einfach eine Lüge ist. Es wurde auch immer wieder der Eindruck erzeugt, dass das Ganze schwer zu regeln sei, was aber auch nicht wahr ist – wie wir in unseren „Leitplanken“ für eine Reform des Abstammungsrechts klar dargestellt haben. Ich hatte bei keiner Partei den Eindruck, dass sie sich stark dafür einsetzt, dass unsere Kinder geschützt und unsere Grundrechte nicht mehr mit Füßen getreten werden.
Kannst du noch mal erklären, was das Problem an der momentanen Gesetzeslage ist?
Kinder werden benachteiligt, deren zweiter Elternteil – also der, der das Kind nicht geboren hat – nicht den Geschlechtseintrag „männlich“ hat. Anders als alle anderen Kinder haben sie nicht ab Geburt zwei rechtlich anerkannte Elternteile.
Sind ein Mann und eine Frau miteinander verheiratet und die Frau bekommt ein Kind, gelten beide automatisch vor dem Gesetz als Eltern. Auch wenn ein Hetero-Paar nicht verheiratet ist, können sie nach der Geburt eines Kindes zum Standesamt gehen und dort die „Vaterschaft” einfach anerkennen lassen…
Genau. Bei Paaren, bei denen der zweite Elternteil kein Mann ist, ist dies anders: Damit beide Eltern auch rechtlich als Elternteile gelten, muss die Person, die das Kind nicht geboren hat, dieses erst mit einer „Stiefkindadoption“ adoptieren. Eine Adoption ist keine Kleinigkeit und die Adoptionsverfahren laufen sehr unterschiedlich ab. Dadurch entstehen viel Unsicherheit und auch große Risiken für die jungen Familien. Verstirbt einer der Elternteile vor Abschluss des aufgezwungenen Adoptionsverfahrens, hat das gravierende Folgen für den hinterbliebenen Elternteil und das Kind. Und das gilt nicht nur für Frauenpaare, sondern auch, wenn der zweite Elternteil den Geschlechtseintrag „divers“ oder keinen Geschlechtseintrag hat. Dann ist das Kind nicht ab Geburt abgesichert, da es eben nur einen Elternteil hat anstatt zwei.

Ihr fordert, beide Eltern von Beginn an rechtlich anzuerkennen, egal, welches Geschlecht sie haben. Kann es aber nicht tatsächlich in manchen Fällen Konflikte um die Frage geben, wer ein „Recht“ auf das Kind hat – zum Beispiel, wenn ein lesbisches Paar mit Hilfe eines Samenspenders ein Kind bekommt?
Klar kann es da unterschiedliche Interessenlagen geben. Genau deshalb ist es ja so wichtig, zu regeln, wer in welcher rechtlichen Beziehung zum Kind steht. Alle Beteiligten, Eltern wie Spender, sollen sich verbindlich auf etwas einigen und sich dann darauf verlassen können. Und das ist mit der jetzigen Regelung eben gerade nicht der Fall – weil bis zum Abschluss der „Stiefkindadoption“ nicht sicher ist, wer der zweite rechtliche Elternteil ist. Im Übrigen gibt es auch viele Hetero-Paare, die aus medizinischen Gründen eine Samenspende in Anspruch nehmen. Da fragt aber hinterher keiner, ob der Vater wirklich der genetische Vater ist, sondern der wird einfach als zweiter Elternteil eingetragen und ihm wird kein Adoptionsverfahren aufgezwungen.
Eine Reform des Abstammungsrechtes hätte dafür gesorgt, dass lesbische oder queere Familien in diesem Punkt nicht mehr schlechter behandelt werden als hetero Familien. Nun ist die Reform ja nicht gekommen und mit der neuen Regierung ist völlig unklar, wie es weitergeht. Bist du vor allem wütend auf die Politik?
Mehr als das. Die Idee hinter #nodoption war ja ursprünglich, sich ans Verfassungsgericht zu wenden. Familien, die über uns vernetzt sind, haben gleiche Anträge bei verschiedenen Gerichten gestellt. Die meisten dieser Gerichte haben die Fälle dann direkt selbst dem Verfassungsgericht vorgelegt, weil sie überzeugt sind, dass das geltende Recht verfassungswidrig ist. Seitdem liegen die Verfahren aber bei dem zuständigen Richter, der sie seit nunmehr fast vier Jahren nicht bearbeitet. Dazu kann ich schon gar nicht mehr Frustration sagen ... ich weiß nicht, ob ich in einem Land leben will, wo ich vom Obersten Gericht nicht einmal angehört werde! Ich finde, das ist ein ganz gefährliches Zeichen, wenn man mit Minderheiten in einer Demokratie so umgeht.
Könnt ihr da jetzt Druck auf das Verfassungsgericht machen?
Eine Familie hat einen Befangenheitsantrag gegen den betreffenden Richter, Henning Radtke, gestellt. Außerdem haben wir Verzögerungsrügen in allen noch anhängigen Verfahren eingeleitet. Irgendetwas wird sich im nächsten Jahr schon bewegen. Das Problem ist aber, dass der Schaden dann womöglich schon entstanden ist. Die Familien, die diese Gerichtsverfahren führen, oder diejenigen, die in den letzten Jahren keine Stiefkindadoption eingeleitet haben, weil sie darauf vertraut haben, dass das Verfassungsgericht oder die Politik die Sache endlich vernünftig regelt: Was ist mit deren Kindern? Wenn sich zum Beispiel ein Paar trennt, man also nicht mehr adoptieren kann, weil man nicht mehr zusammen ist. Oder es passiert einem Elternteil etwas. Ob da jemand die Verantwortung für übernehmen möchte, frage ich mich ... und kenne die Antwort leider schon.
Diese Unsicherheit betrifft auch deine eigene Familie …
Ja, unser Verfahren wurde ausgesetzt,weil das Gericht abwarten will, was das Verfassungsgericht entscheidet. Das heißt, ich bin weiterhin kein rechtlicher Elternteil unserer Kinder. Falls meiner Frau jetzt was passiert, können sie schlimmstenfalls in staatliche Obhut genommen werden. Meine beiden Kinder, die ich liebe und mit auf die Welt gebracht habe, die nachts mit mir im Bett schlafen. Ich möchte nicht erleben, wie die reagieren, wenn sie von wildfremden Leuten mitgenommen werden. Eine Horrorvorstellung! Oder wenn mir etwas passieren würde, hätten unsere Kinder zum Beispiel keinen Anspruch auf Halbwaisenrente. Auch dieser Punkt wird von uns mit voller Kraft weiterverfolgt: Welche Nachteile den Familien in dieser Zeit entstehen, weil niemand unsere Grundrechte schützt, obwohl es die Pflicht von Politik und Justiz wäre. Das werden wir nicht stillschweigend hinnehmen.
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