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Schatz, du nervst!

Liebe in Pandemie- und Krisenzeiten: Das ist nicht einfach, insbesondere dann nicht, wenn man sich einen kleinen Raum teilt. Frust und Streitereien können zunehmen. Wie damit am besten umgehen?

Henna Räsänen

Von Sarah Stutte

19.07.2022 – Seit 20 Jahren lebt die L-MAG-Autorin Karoline Schaum mit ihrer Freundin zusammen – fast immer teilten sie sich Zweizimmerwohnungen. Vor kurzem beschlossen sie nun, dass jede von ihnen einen eigenen Raum braucht. Dafür wird das gemeinsame Wohnzimmer in ihrer derzeitigen Würzburger Wohnung aufgelöst – ein Schritt, der ihren Erfahrungen in der Pandemie geschuldet ist. "Wir haben w hrend dieser Zeit zu eng aufeinandergehockt", erz hlt Karoline, die beim Bayrischen Rundfunk arbeitet. "Am Anfang ging es, weil wenigstens eine von uns teilweise noch auswärts arbeiten konnte. Irgendwann war aber nur noch Homeoffice für uns beide möglich, was dann wirklich anstrengend wurde. Wir kennen uns einfach zu gut, jeden Blick und jede Geste – auch davon ist manchmal einfach Abstand nötig."

Kleinigkeiten, die aufregen

Zunehmend hätten sie kleine Eigenheiten an ihrer Freundin aufgeregt, sagt Karoline. Die habe sie zwar vorher schon gekannt, aber sie seien durch das tägliche Erleben stärker in den Vordergrund gerückt – auch weil es viel schwerer gewesen sei, den "Ticks" der anderen aus dem Weg zu gehen. "Aufgrund unseres Platzmangels hat sie in der Küche gearbeitet. Wenn ich dort kochen wollte, lagen ihr Laptop und ihre Unterlagen noch auf dem Tisch. Es hat mich gestört, immer erst alles wegräumen zu müssen."

Auch beim Essen habe es Reibereien gegeben, da Karoline dabei gern Radio hört, um "nervige Kaugeräusche" zu übertönen. Ihre Freundin isst dagegen lieber in Ruhe. "Das ging früher gut aneinander vorbei", sagt Karoline. "Doch während der Homeoffice-Zeit haben wir natürlich auch viel  öfter zusammen gegessen." Eigentlich unwesentliche Tatsachen, etwa Gläser, die zu nah am Tischrand standen, empfand die eine oder die andere bereits als unangenehm – und reagierte entsprechend.

"Krisenzeiten stellen Beziehungen stärker auf die Probe", best tigt Constance Hoppmann, Sozialarbeiter:in und Leiter:in der Lesbenberatung bei der HAZ Queer Zürich. Das liege auch daran, dass durch das enge, isolierte Zusammenleben die beteiligten Individuen vollends "zu einer Partnerschaft" würden. "Die Möglichkeit, den eigenen Rhythmus und das eigene Leben zu leben, fällt ein Stück weit weg. Genauso wie alles, was von au en in die Beziehung getragen wird. Paare hängen sehr viel aufeinander und drehen sich immer wieder im Kreis", so die Berater:in.

In diesen speziellen Zeiten seien viele Beziehungen mehr aufeinander angewiesen, weil es wenig Ausweichmöglichkeiten gebe und sich die sozialen Kontakte, zumindest bei einem harten Lockdown, auf ein Minimum beschränkten. Das führe automatisch dazu, dass die Beteiligten reizbarer werden und schneller streiten. "Oft hängen sich Partner:innen dabei an Kleinigkeiten auf, weil sie sich geballt mit allem konfrontiert sehen, was schon vorher problematisch war", sagt Constance Hoppmann.

Ausdruck eigener Unzufriedenheit

In einem solchen Moment die Schuld für die eigene Reizbarkeit im Außen zu suchen, sei dabei ein einfacher Reflex. Nicht alle Menschen könnten gut damit umgehen, sich, wie etwa während einer Zeit der Isolation, mehr mit sich selbst auseinandersetzen zu müssen. Die an der Anderen wahrgenommenen Störfaktoren seien oft Ausdruck einer eigenen Unzufriedenheit, die es zu hinterfragen gelte: Stimmt mein Lebenskonzept noch? Wie steht es um meine Wünsche? "Eine Beziehung bedeutet stets, Kompromisse einzugehen und von Zeit zu Zeit neu zu beurteilen, was an Abstrichen ernstgemeint war und wo vielleicht dem lieben Frieden zuliebe damals nichts gesagt wurde", gibt die Sozialarbeiter:in zu bedenken.

 Neue Harmonie dank Putzplan

Wichtig sei, in einem angespannten Augenblick bei sich zu bleiben und einen Ausgleich zu schaffen. "Die Anderen ver ndern k nnen wir nicht. Aber uns überlegen, in einer brenzligen Situation gelassener zu reagieren, anstatt noch  Öl ins Feuer zu gießen".

Das haben sich auch Patricia Pollinger und Angela Grande aus Winterthur bei Zürich zu Herzen genommen. Während der Pandemie haben sie nach Lösungen für die Reibungspunkte in einem Alltag der besonderen Art gesucht. "Unsere Arbeit unterscheidet sich sehr voneinander", erzählt Angela. "Ich sitze viel am Computer, schreibe Berichte und Analysen. Patricia telefoniert den ganzen Tag. Das während des Lockdowns unter einen Hut zu bringen, war herausfordernd." Ebenso sei das Aufräumen ein Streitthema gewesen: "Ich mag Ordnung, brauche Struktur und bin ungeduldiger. Meine Freundin hat mehr die Ruhe weg – was unweigerlich Konflikte birgt. Wir haben aber dann darüber gesprochen, in der Folge die Arbeitsplätze getauscht sowie einen Putzplan eingeführt", sagt Patricia. Das habe geholfen, die Harmonie wieder herzustellen.

Eine gute Entscheidung sei au erdem gewesen, sich mehr und mehr unabhängig voneinander zu beschäftigen, aber trotzdem bewusst Zeit miteinander zu verbringen. Das best tigt auch Constance Hoppmann: "Gerade in Krisenzeiten ist Abgrenzung genauso wichtig wie gemeinsame Begegnungen, in denen man sich zu einer bestimmten Zeit zum Kochen oder Spazierengehen verabredet. Dabei kann miteinander geschwiegen werden, wenn man sich nicht unbedingt mitteilen möchte, oder man kann auch einmal darüber sprechen, was toll läuft."

Daran versuchen sich Patricia Pollinger und Angela Grande zu halten. Sie erzählen beide, dass ihre Beziehung während der Pandemie enger geworden sei, weil sie für sich Klarheit in der Kommunikation über ihre jeweiligen Bedürfnisse schaffen konnten. Die Dinge beim Namen zu nennen und zu versuchen, mehr Rücksicht aufeinander zu nehmen – das hat auch Karoline Schaum und ihrer Freundin geholfen. "Vorher waren wir immer super eng. Durch die Pandemie habe ich jedoch ein wenig mehr meine Freiheit gesucht", sagt Karoline. "Für mich wurde dadurch offensichtlicher, wo ich mich stärker abgrenzen muss und warum es für mich wichtig ist, einen eigenen Bereich zu haben, auf den sie keinen Zugriff hat." Für Constance Hoppmann ist das der wichtigste Punkt: "Der Trick ist am Ende, die Zufriedenheit in sich zu suchen. Je näher ich an der besten Version von mir selbst bin, umso weniger rege ich mich über andere auf."

 

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