Soll der Staat bei der Kultur und queeren Community kürzen?
Der Berliner Senat will in den nächsten Jahren drastisch sparen, ausgerechnet bei Kultur und queerer Community. Ist das bitter, aber nötig - oder wird unfair gespart auf Kosten derer, die ohnehin schon kaum über die Runden kommen? Ein Pro und Contra.

Update, 24.3.2025:
Am 20. Februar wurde bekannt, dass die Senatsverwaltung für Bildung zum 1. April die Finanzierung mehrerer LGBTIQ*-Bildungs und Beratungsprojekte streichen will. Die Entscheidung wurde federführend von der Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) getroffen. Zwar hat die Verwaltung von Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) einen Notfalltopf aufgesetzt, der die Kürzungen jedoch nur zum Teil und nur bis 2026 auffängt.
Betroffen sind in Berlin folgende queere Initiativen: Queerformat – Fachstelle Queere Bildung, die Inter*Trans*Beratung der Schwulenberatung, das Konsultationsangebot des LSVD Berlin-Brandenburg, der Queer History Month des Spinnboden-Archivs, die Kompetenzstelle intersektionale Pädagogik (i-PÄD). Gekürzt werden soll auch bei weiteren Projekten, darunter die Initiative gegen häusliche Gewalt BIG Prävention, das Projekt meet2respect und die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus e.V.
Die Organisationen kritisieren scharf, dass die Senatsverwaltung ihnen die Entscheidung ohne vorherige Kommunikation mitgeteilt habe. Bleibe es bei den Kürzungen, bedeute dies für viele Projekte das Aus für ihre Arbeit. Ein offener Brief der Inter*Trans*Beratung zum Fortbestand des Projektes wurde am 25. Februar mit mehr als 2500 Unterschriften an die Bildungssenatorin Günter-Wünsch sowie die Staatssekretär*innen Christina Henke und Falko Liecke überreicht.
Hier geht es zum offenen Brief
Erschienen in der L-MAG-Ausgabe 2-2025 (Mrz./ Apr.)
Für viele progressive und queere Berliner:innen war der Berliner Marathon im September 2021 ein Schicksalslauf. Da die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und der Marathon am gleichen Sonntag stattfanden, kam es zu Unregelmäßigkeiten. Schließlich musste die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im Februar 2023 wiederholt werden. Daraus ging die CDU nach Jahren der rot-roten Regierung als stärkste Kraft hervor. Seither bilden CDU und SPD eine große Koalition und die Prioritäten haben sich verschoben.
Mitte November 2024 wurden die Haushaltspläne verhältnismäßig spät offengelegt. Die Kürzungen traten ab dem 1. Januar in Kraft. Daraufhin kam es zu einer selten dagewesenen Mobilisierung von Kultur- und Bildungsinstitutionen. Tausende gingen gegen die Kulturkürzungen auf die Straße. Im sogenannten Nachtragshaushalt vom 19. Dezember wurde daraufhin etwas zurückgerudert: Queere Jugendprojekte sollten nun verschont werden.
Was tun, wenn kein Geld da ist?
Doch was tun, wenn kein Geld da ist (und Berlin ist bekannt dafür, notorisch pleite zu sein)? Ein Argument ist häufig, dass anders, umsichtiger gespart werden sollte, dass auf die Expert:innenkreise nicht gehört wurde und die Kultur nach dem Rasenmäherprinzip kaputtgespart würde. Einsparungen ja, aber nicht so, ist vielleicht die Kurzversion des Konflikts, der nun nach dem Willen von SPD und CDU entschieden ist.
Doch die nächsten Haushaltsdebatten stehen an und die werden, auch anderswo in Deutschland, nicht weniger hart geführt. Wir haben bei zwei Abgeordneten, Lisa Knack und Klaus Lederer, nachgefragt: Muss der Staat bei der Kultur kürzen?

Klaus Lederer: Es geht an die Substanz
Queere Errungenschaften stehen unter Druck. Die CDU attackiert das Selbstbestimmungsgesetz, die AfD will gleich noch die Öffnung der Ehe zurückdrehen. Das Klima für uns wird auch in Berlin rauer. Was hier geschieht, hat Signalwirkung über Berlin hinaus. Immerhin, der CDU-SPD-Senat bekennt sich zum Schutz aller queeren Menschen. Darüber bin ich froh, weil das in der CDU leider keine Selbstverständlichkeit ist.
Aber können wir wirklich darauf vertrauen, dass derSenat aktiv dafür kämpft, vor allem bei heftiger werdendem Gegenwind? Auch queere Projekte und Safer Spaces stehen unter dem Druck brutaler Haushaltskürzungen. Kulturelle und soziale Infrastruktur wurden davon komplett ohne Vorwarnung getroffen. Alle queeren Jugendzentren Berlins sollten nach der Kürzungsliste des Senats vom vergangenen Herbst gestrichen werden. Nur Protest und viel Solidarität aus der Stadtgesellschaft konnten diesen kaltschnäuzigen und ignoranten Plan abwenden. Aber insgesamt blieben die Kürzungen in der Summe stehen.
„Herzlos und geistlos“ nannte das, auf die Kultur bezogen, die frühere Berliner CDU-Chefin und Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Von einem auf den anderen Tag sollen manche Kulturorte Summen einsparen, die nahezu ihr komplettes künstlerisches Budget ausmachen – etwa das Jugendtheater FELD am Winterfeldtplatz im Nollendorf-Kiez. Die Wohnungsnotfallhilfe, die ohnehin prekäre Unterstützung für wohnungs- und obdachlose Menschen, ist gefährdet. Eine aktuelle Studie schätzt für Berlin die Zahl der betroffenen LGBTIQ* auf etwa 10.000 Menschen.
Zum Glück werden aktuell viele der queeren Projekte – Dank der Umsicht in der Senatsverwaltung für Antidiskriminierung – 2025 noch in gleicher Höhe weitergefördert. Angesichts steigender Kosten ist das trotzdem hart und die nächste Streichungsrunde ist schon angekündigt. Bis zum Sommer muss der Haushaltsentwurf des Senats für 2026/27 stehen. Weitere Milliarden sollen wegfallen.
Für das laufende Jahr 2025 hat die CDU-geführte Bildungsverwaltung Förderbescheide an queere Bildungs- und Jugendprojekte nur für drei Monate ausgestellt, mit der ominösen Ankündigung und kaum verhohlenen Drohung, ihre „Wirksamkeit“ prüfen zu wollen. Aber woran bemisst sich der Schutz queerer Menschen? Die Beschäftigten in den Projekten arbeiten in permanenter Unsicherheit. So lässt sich kaum Fachpersonal halten, geschweige denn gewinnen. Das lässt sich dann auch nicht mit Runden Tischen, Plakatkampagnen und Regenbogen-Toren kompensieren, mit denen sich CDU und SPD gern als „queerfreundlich“ selbst beweihräuchern.
Ja, die Berliner Haushaltssituation ist auch der Steuersituation und bei Investitionen der absurden Schuldenbremse geschuldet. Aber gerade deshalb ist es so unverständlich, dass CDU und SPD vor gut einem Jahr noch mal ordentlich die Schleusentore geöffnet haben, um ihre Prestigeprojekte zu finanzieren. Warum 2025 nicht alle Spielräume ausgeschöpft werden, stattdessen 11,5 Millionen für drei Spiele der US-Football-League ausgegeben werden, lässt sich nur mit falschen Prioritäten erklären.
Es fehlen positive Ideen, welche Entwicklung Berlin nehmen soll. Eher wird Kürzungsjahr um Kürzungsjahr ein wenig mehr die soziale und kulturelle Infrastruktur der Stadt geschliffen werden. Es fällt auf, dass es (besonders in CDU-Ressorts) vor allem Projekte und Themen trifft, die im Senat – dem reaktionären Zeitgeist folgend – als irgendwie „grün“ oder „links“ gelten. Investitionen in den klimagerechten Umbau verfallen im Kürzungsfuror, der Autoverkehr aber wird regelrecht hofiert.
Berlin war lange Zeit nicht nur eine kulturelle Hauptstadt Europas, sondern auch Vorreiterin für queere Emanzipation. Hier haben wir 2009 die „Initiative für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt“, den ersten queeren Aktionsplan eines Bundeslands, gestartet. Außer in Bayern gibt es das jetzt überall! Was hier passiert, strahlt positiv wie negativ auf das Leben queerer Menschen in ganz Deutschland und darüber hinaus aus. Deshalb müssen wir gegen den Abbau unserer Infrastruktur laut zu sein. Das nimmt uns niemand ab!

Lisa Knack: Warum wir in Berlin auch bei Kultur und Sozialem sparen müssen!
Die zuletzt geführte Haushaltsdebatte hat Spuren bei Trägern und Akteuren im kulturellen und sozialen Bereich hinterlassen. Einsparungen in Höhe von 3 Milliarden Euro haben zu vielen schweren Entscheidungen geführt. Auch der soziale und der kulturelle Bereich wurden in die Verantwortung genommen. Diese Entscheidung hat zu viel Protest geführt, und trotzdem war es richtig, auch in diesen Bereichen zu sparen. Ich möchte gerne näher erläutern, warum ich dieser Meinung bin.
Die Bereiche Kultur (also Soziales, Bildung, Jugend und Familie) sind im letzten Jahr stark gewachsen und feingliedriger geworden. Kleine Finanzierungsbudgets haben dazu geführt, dass viele Projekte und kleinere Träger einen überproportionalen Anteil ihrer Zeit in Antragsstellungen, Dokumentationen und Lobbyarbeit investieren mussten. Viele Beschäftigungsverhältnisse waren bzw. sind prekär. Dass ein solches Finanzierungsmodell dauerhaft nicht zu halten ist und endlich sein muss, steht für mich außer Frage.
Anders als in der Kultur sind die Kürzungen im Sozialbereich nicht so enorm. Es wurden keine konkreten Träger ausgeschlossen oder Projekte beendet. Dank einer guten Ausgangslage war es der Senatorin möglich, in einem sehr übersichtlichen Bereich Kürzungen vorzunehmen. Im Bereich „Queer“ sind bisher keine Kürzungen zu erwarten. Das ist auch das erklärte Ziel der Koalition für die Haushaltsaufstellung 2026/2027. Da lesbische Sichtbarkeit ein gemeinsamer Schwerpunkt der Koalition ist, soll das Angebot eher ausgeweitet werden. Besonders erfreulich ist für mich persönlich das Engagement vor Ort, auch in den Außenbezirken. Was ich jedoch auch bei den queerpolitischen Frühstücken der CDU-Fraktion und der SPD-Fraktion immer wieder sage, ist, dass die Art der Finanzierung so nicht dauerhaft tragfähig ist.
Queerpolitik hat in den letzten Jahren in fast alle Senatsverwaltungen hineingewirkt. Dennoch sind Mikro- und Kleinstprojekte weiterhin die Regel – nicht nur im sozialen und kulturellen Bereich, sondern auch im Bereich Bildung. Obwohl die Kürzungen jetzt nicht so gravierend waren, bin ich überzeugt, dass die Art und Weise, wie wir in Berlin Angebote finanzieren, neu gedacht werden muss. Es ist zwingend notwendig, die Projekte stärker zu evaluieren. Dahingehend müssen sich auch Projekte kritisch hinterfragen: Ist die Art und Weise, wie momentan Angebote – beispielsweise in der Beratung – organisiert sind, wirklich optimal? Könnten sie nicht doch besser aufgestellt werden und eine größere Breitenwirkung entfalten? Wäre es nicht möglich, in gemeinschaftlichen Beratungsräumen ein aufeinander abgestimmtes Angebot zu implementieren?
Unsere Aufgabe in der Koalition wird es sein, die Finanzierung neu zu gestalten. Hierzu sind im Hintergrund bereits viele Gespräche geführt worden, und wir sind seit geraumer Zeit im Austausch mit Trägern, umeine neue Finanzierungsstruktur zu entwickeln. Eine tragfähige Lösung zu finden, muss eine Priorität unserer Koalition sein.
Dabei geht es nicht nur um kleinere Träger und Projekte. Auch die Millionen an Subventionen für Tickets – selbst für große Häuser – sind mindestens diskussionswürdig. Anstatt hier gemeinsam neue Wege zu gehen, wird jedoch pauschal alles verteufelt. Diese Haltung halte ich für fatal, denn ohne Weiterentwicklung kann auch die Kultur – und damit Berlin – nicht vorankommen. Auch die Häuser müssen sich kritisch mit den eigenen Programmen auseinandersetzen und regelmäßig hinterfragen.
Aber die Proteste gingen teilweise weit über ein angemessenes Maß hinaus. Ich erwarte noch viele harte Entscheidungen im kulturellen Bereich. Ich wünsche mir, dass hier sowohl von politischer Seite als auch vonseiten der Kulturschaffenden ehrlich und konstruktiv an Lösungen und Neustrukturierungen gearbeitet wird. Mein Wunsch und meine Einladung an die Community bleibt: Lasst uns gemeinsam Wege finden, um Angebote wirksamer zu gestalten.
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