Wilhelmine: „Ich balanciere mit Schwere und Leichtigkeit“
Wilhelmine hat mit ihrer ersten Single „Meine Liebe“ das eigene Coming-out zum Thema gemacht. Auf ihrem zweiten Album würdigt die Sängerin auch die queere Community. Im L-MAG-Interview spricht sie über Erfolg, Druck und die neue Frau in ihrem Leben.
Dieses Interview erschien zuerst in der L-MAG-Ausgabe 3-2024 (Mai/ Juni) - erhältich an diesen Kiosks, als E-Paper oder im Abo.
Von Leila van Rinsum
Wilhelmine tritt in schwarzer Lederjacke vor die Laptop-Kamera. Es ist früh morgens in Los Angeles, wo sie gerade ein Video zu ihrem neuen Album dreht. Die Berliner Sängerin spricht ruhig, nimmt sich Zeit zum Nachdenken und singt auch mal spontan.
L-MAG: Dein neues Album heißt „Meere“. Wie kam es zu dem Titel?
Wilhelmine: Das Album heißt „Meere“, weil ich mich manchmal in Meeren total verloren fühle und mich damit aus meiner Komfortzone begebe, indem ich mich den Wellen stelle. Es gibt ganz viele verschiedene Ebenen, auch, dass wir ein Meer sind aus vielen Menschen. Das steckt in dem Lied „Viele“ mit drin.
Der Song „Viele“ ist eine Art Hymne auf die queere Community. Wie wichtig ist sie dir?
Ich versuche, dass meine Konzerte etwas ganz Besonderes sind, auch für die Community. Im Mai spiele ich in 26 verschiedenen, auch kleineren Städten. In manchen gibt es kaum Sichtbarkeit der Community. Dort ist das sehr wertvoll, was an dem Abend entsteht. Ich bekomme oft gesagt, dass meine Konzerte ein Schutzort sind. Das ist mir ganz, ganz wichtig.
In „Viele“ geht es auch um einen homophoben Angriff, den du erlebt hast.
Es war auf einer Rolltreppe in einem Kaufhaus. Ich lief mit meiner Freundin, wir haben Händchen gehalten, und dann wurden wir mit einer Flasche beworfen und bespuckt.
Deine Lieder kommen ohne LGBTIQ*-Label aus. Warum nutzt du sie nicht?
In den Texten rede ich sehr inklusiv, das ist mir auch total wichtig. Ich versuche zeitgemäß zu sprechen, so wie ich mit meinen Freund:innen rede. Bisher haben die Lieder, die aus mir geflossen sind im Schaffensprozess, nicht nach Kürzeln gefragt.
Hast du einen Begriff für dich selbst?
Nee, eigentlich nicht. Wenn ich gefragt werde, wie ich mich definiere, dann sage ich manchmal, dass ich mich jetzt gerade als Frau identifiziere und auch fühle und mit einer sich als Frau identifizierenden Person zusammen bin. Ich finde lesbisch klingt nicht so schön, aber ich versuche es zu reclaimen. Ich sage auch „queer“.
Du hast zu Beginn deiner Musikkarriere entschieden, dich Frauen liebend zu zeigen. Würdest du sagen, es war der Grund für den Durchbruch? Sehr viele offen queere deutsche Sängerinnen gibt es ja dann doch nicht.
In dem Jahr dachte ich mir, wie soll ich sonst weitermachen mit all den Liebesliedern, die ich eventuell schreiben wollen würde, wenn ich nicht erzähle, dass ich queer bin. Es war mir wichtig, damit man die Lieder richtig verstehen und fühlen kann. Ich würde nicht sagen, dass der Grund des Durchbruchs war, eine Nische zu besetzen, sondern es vielleicht in die Zeit gepasst hat, in der Popmusik authentisch, nahbar und sehr transparent mit den Themen zu sein.
Das ist jetzt schon eine Weile her, wie war deine Erfahrung danach? Gab es Kritik, Zuspruch oder spielt es keine Rolle mehr, out zu sein?
Ich fand es einfach interessant, dass ich tatsächlich eine der Ersten war, die das so offen gesagt haben. Aber ich habe auch erfahren, dass mir das abgesprochen wurde, mir nachgesagt wurde, ich hätte das nur genutzt.
Wie hat sich dein Leben sonst verändert, seitdem du berühmter bist?
Es hat sich insofern verändert, dass, egal zu welcher Zeit in Berlin, Menschen mich erkennen. Das ist verrückt. Letztens in der Bahn kam ein kleines Mädchen zu mir und sagte: „Du bist Wilhelmine, oder? Meine Mamas sind auch lesbisch. Ich liebe deine Musik.“ Das war super süß und einfach sehr bewegend.
In „Keine Luft“ singst du aber auch vom Druck. Ist der größer geworden?
Das zweite Album hat mir Druck gemacht, ob das genauso gut performt. Ich hatte das Gefühl, dass ich versuchen muss, hinter irgendwas herzukommen, das nicht mal klar definiert ist. Das raubt mir manchmal die Gegenwart, weil ich dann zu sehr in der Zukunft oder in der Vergangenheit denke. Dann muss ich mich wieder dran erinnern, dass ich in der Gegenwart bleibe.
Wie viel Gestaltungsraum hast du bei deinem Plattenlabel? Kann immer noch eine befreundete Youtuberin dein Musikvideo drehen?
Eine Freundin von mir hat das Musikvideo von „Viele“ gedreht: Malwine Zeiseler. Sie ist auch aus der queeren Community, das war mir schon wichtig. Jetzt gerade sind wir in einem Haus in L. A. mit Freundinnen. Wir haben gute Kameras, aber auch eine Reise voller echter Momente.
Du schreibst deine Lieder selbst. Wie läuft das ab?
Meistens entstehen Melodien in mir und Texte. Den Refrain von „Viele“ habe ich geschrieben, als ich auf der Rückreise von Barcelona war. Dann mache ich einen Termin im Studio mit meinem Pro-duzenten und meiner Produzentin und sage, seit Wochen begleitet mich das Lied. Ich habe es noch nicht geschrieben, aber ich stelle mir das ungefähr so vor (singt): „Wir sind sooooo viele.“ Einer von den beiden hat sich ans Klavier gesetzt und Akkorde gespielt, die wir genau so von dem Tag genommen haben.
Deine Texte sind sehr persönlich. Es gehört Mut dazu, das preiszugeben. Überlegst du dir manchmal, etwas nicht aufzuschreiben?
Nö, das ist eigentlich keine Option. Meistens schreibe ich es auf und guck danach, wie es mir geht damit, und zeige das vielleicht den engsten Menschen. Es gab selten Sachen, die ich im Nachhinein noch verändert habe.
In dem Lied „Am Ende“ geht es um Alkoholsucht. Warum ist dir das Thema wichtig?
Ich will den Menschen damit sagen (singt): „Am Ende wird alles gut sein, du kannst bei mir deine Wut zeigen.“ Das ist für mich das rohste Lied, das entstanden ist. Egal, was du erlebt hast, egal, wie alleine du dich fühlst: Du schaffst es raus, du kriegst es irgendwie hin. Ich balanciere immer mit Schwere und Leichtigkeit, aber ich will vor allem Mut machen.
Und wovor bist du weggerannt?
Vor mir selbst am meisten und der Konfrontation mit dem, was hinter Dingen steht. Es ist so leicht, Dinge zu beenden, Beziehungen zu verändern oder jemand anderem die Schuld zu geben für die eigenen Ängste oder für die eigenen Baustellen. Das möchte ich nicht mehr machen.
Vor vier Jahren, sagtest du L-MAG, du denkst über „Nestbau“ nach und möchtest eine eigene kleine Familie. Danach gab es eine Trennung. Jetzt gibt es eine neue „sie“. Und eine Familie?
(grinst) Auf jeden Fall sind Pläne, Ideen und Visionen und ein kleines Gartenhaus dazugekommen.
Mehr willst du nicht verraten?
Wir tauschen uns darüber aus, wie was passieren kann. Also, ich glaube, wenn wir einfach so biologisch ein Baby bekommen könnten, dann wäre das wahrscheinlich schon passiert. (lacht)
Wilhelmines zweites Album „Meere“ erschien Anfang Mai, die Termine ihrer aktuellen Tour stehen hier.
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