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10 deutsche Lesbenfilmklassiker aus 75 Jahren Filmgeschichte

Von Melodram bis Komödie, vom Underground-Streifen bis zum Filmpreis-Gewinner, vom verliebten Schulmädchen bis zur lesbischen Asylbewerberin: Wir stellen die zehn wichtigsten lesbischen Klassiker des deutschen Kinos vor.

Aimée & Jaguar: Lilly (Juliane Köhler) und Felice (Maria Schrader) mit ihren Freundinnen Erika (Desiree Nick, ganz links) und Klärchen (Heike Makatsch, 2.v.r.)

Von Karin Schupp

28.6.2020 - Das deutsche Kino ist bekanntlich keine Hochburg, was lesbische Filme angeht, auch wenn es zu Stummfilmzeiten sogar den Anfang machte. Noch bis in die Nullerjahre hinein gab es so wenige Lesbenfilme, dass jede lesbische Kinogängerin sie mühelos aufzählen konnte und sie unabhängig von Genre – etwa auch den in den Siebzigern bis Neunzigern beliebten Experimentalfilm – gesehen hatte. Es gab halt nichts anderes.

Das galt aber nur für diejenigen, die in der Nähe eines lesbischen Filmfestivals oder engagierten Programmkinos wohnten, denn in Mainstreamproduktionen war – und ist bis heute – nur wenig Platz für lesbische Storys, obwohl Aimee & Jaguar (1999) als der erste moderne deutsche Mainstream-Lesbenfilm sehr erfolgreich war.

Dass in den letzten fünfzehn Jahren die Zahl der Lesbenfilme zunahm, ist nur dem Independent- und Low Budget-Film zu verdanken, und ein Kino-Hit war bisher nicht dabei.

Wir werfen einen Blick zurück und stellen in chronologischer Reihenfolge die zehn wichtigsten lesbischen Klassiker aus den ersten 75 Jahren deutscher Filmgeschichte - genauer gesagt: von 1929 bis 2005 - vor:

 

1. Die Büchse der Pandora (1929)

Der erste Lesbenfilm der Filmgeschichte: Der Stummfilm über die verführerische Lulu, der die Männer und Frauen – darunter die lesbische Gräfin Geschwitz (Alice Roberts) - reihenweise verfallen, bot die erste lesbische Kinofigur und mit Lulu-Darstellerin Louise Brooks eine der ersten Lesbenikonen. Die Handlung basiert lose auf Frank Wedekinds Theaterstücken Erdgeist und Die Büchse der Pandora.

Gut zu wissen: Zunächst sollte Marlene Dietrich die Hauptrolle spielten, weil Pabsts Favoritin Louise Brooks an ein anderes Studio gebunden war und erst in letzter Sekunde zusagte. Dietrich sei ihm für die Rolle nicht unschuldig genug gewesen, erklärte Pabst später.

Regie/ Buch: G. W. Pabst, 133 min. – bei: Amazon, iTunes, Maxdome, Videobuster und als limitiertes Mediabook mit DVD/ Blu-ray und Bonusmaterial (unsere Filmkritik)

Louise Brooks (r.) und Alice Roberts, die die lesbische Rolle nur widerstrebend gespielt haben soll

2. Mädchen in Uniform (1931)

Die Mutter aller Schülerin-liebt-Lehrerin-Filme: Manuela von Meinhardis (Hertha Thiele) kommt nach dem Tod ihrer Mutter an ein strenges Internat und verliebt sich in die warmherzige Lehrerin Fräulein von Bernburg (Dorothea Wieck). Dass das Liebesdrama kein tödliches Ende nimmt, liegt sicherlich daran, dass der Film (und das zugrundeliegende Bühnenstück) von der lesbischen Autorin Christa Winsloe verfasst wurde, auch die Regisseurin Leontine Sagan war wohl lesbisch.

Gut zu wissen: Eine jüngere Version des Films (1958, steht bei Streamingdiensten) hat zwar mit Romy Schneider und Lili Palmer einen attraktiven Cast, ist aber viel braver als das Original.

Regie: Leontine Sagan, Buch: Christa Winsloe/ F.D. Andam, 98 min., bei Youtube

Fräulein von Bernburg (Dorothea Wieck) und Manuela (Hertha Thiele)

3. Die bitteren Tränen der Petra von Kant (1972)

Liebesfilm über Macht, Abhängigkeit und Egoismus: Die reiche, geschiedene Modeschöpferin Petra von Kant (Margit Carstensen) findet auch in ihrer Liebe zu dem verheirateten Model Karin Thimm (Hanna Schygulla) kein dauerhaftes Glück. 

Gut zu wissen: Der schwule Regisseur Rainer Werner Fassbinder verarbeitete Autobiografisches, wählte aber weibliche Charaktere, da man mit ihnen „mehr Dinge zeigen“ könne, wie er sagte. „Die Frauen haben mehr Verhaltensmöglichkeiten, Möglichkeiten zur Veränderung, die ich sehr viel interessanter finde. Männer sind so simpel.“ Petra von Kant wurde auf eine internationale Liste der „30 Besten LGBTQ-Filmen aller Zeiten“ gewählt (auch Mädchen in Uniform steht drauf).

Regie/ Buch: Rainer Werner Fassbinder, 124 min. – bei Amazon, iTunes, auf DVD und bei Youtube

Studiocanal Petra (Margit Carstensen) und Karin (Hanna Schygulla)

4. Madame X – Eine absolute Herrscherin (1978)

Klassiker des feministischen Experimentalfilms: Neun Frauen folgen dem Ruf der Piratin Madame X (Tabea Blumenschein, 1952-2020), um ihre neue Gefährtin zu werden, darunter eine glamouröse Diva, eine biedere Hausfrau, eine Psychologin, eine Buschpilotin und eine Künstlerin (gespielt von der lesbischen US-Choreografin/ Filmemacherin Yvonne Rainer). Augenzwinkernde Groteske mit feministischen Diskursen, unkonventionell erzählt und collagenhaft inszeniert.

Gut zu wissen: Die lesbische Regisseurin Ulrike Ottinger erhielt für ihre Filme etliche Auszeichnungen, zuletzt die Berlinale Kamera 2020 (wir berichteten). Ihr Dokumentarfilm Paris Calligrammes lief gerade im Kino.

Regie/ Buch: Ulrike Ottinger, 141 min. – zurzeit nicht verfügbar

5. Novembermond (1985)

Weltkriegs-Melodram: Die deutsche Jüdin November Messing (Gabriele Osburg) flieht kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nach Paris und verliebt sich in die Französin Férial (Christiane Millet). Als die Deutschen Frankreich besetzen, ist ihr auch dort die Gestapo auf den Fersen. Beide Frauen überleben, erleben aber Gewalt, Vergewaltigung und Folter.

Gut zu wissen: Alexandra von Grote drehte mit Gabriele Osburg 1982 bereits den Lesbenfilm Weggehen um anzukommen über eine Frau, die sich nach der Trennung von ihrer Freundin einen Selbstfindungstrip nach Südfrankreich macht.

Regie/ Buch: Alexandra von Grote, 100 min. – auf DVD (zzt. nicht verfügbar)

6. My Father is Coming (1991)

Komödie in der queeren Subkultur: Vicky (Shelley Kastner) lebt in New York mit einem Schwulen zusammen, hat eine Loverin (Mary-Lou Graulau) und findet den trans Mann Joe (Michael Massee) toll. Als ihr biederer Vater (Alfred Edel) überraschend aus Bayern zu Besuch kommt, kann sie ihr queeres Leben vor ihm auf Dauer nicht verbergen.

Gut zu wissen: Die lesbische Regisseurin Monika Treut lebte selbst einige Jahre in New York, die damals sehr populäre lesbische Sexperformerin und Ex-Pornodarstellerin Annie Sprinkle hat einen Gastauftritt.

Regie: Monika Treut, Buch: M. Treut/ Bruce Benderson, 82 min. – auf DVD

7. Aimée & Jaguar (1999)

Wahre Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg: In Berlin 1943 verliebt sich die brave Ehefrau und Mutter Lilly (Juliane Köhler) in die jüdische Widerstandskämpferin Felice (Maria Schrader) – eine Liebe, die im Nazi-Deutschland in jeder Sekunde in Gefahr ist. Der Film basiert auf den Lebenserinnerungen von Elisabeth „Lilly“ Wust (1913-2006), die Erica Fischer in ihrem gleichnamigen Buch dokumentierte.

Gut zu wissen: Bis heute der wohl erfolgreichste deutsche Lesbenfilm: Er landete 1999 auf Platz 4 der Besucher-Hitliste deutscher Filme, bekam den Deutschen Filmpreis und war für einen Golden Globe nominiert.

Regie/ Buch: Max Färberböck, 125 min. - bei: Amazon, Flimmit, iTunes, Magenta TV, Maxdome, Pantaflix, Rakuten TV, Videobuster und auf DVD

8. Nachbarinnen (2004)

Lebensbejahendes Kleine-Leute-Drama: Die Paketfahrerin Dora (Dagmar Manzel) lebt nach der Trennung von ihrem Mann alleine in einem Leipziger Plattenbau und will eigentlich nur ihre Ruhe haben. Als aber ihre Nachbarin Jola (Grazyna Skapolowska) bei ihr Unterschlupf sucht, weil sie glaubt, jemanden erschossen zu haben, gerät Doras monotones Leben aus den Fugen. Nach und nach wird Doras Zuneigung zu Jola so groß, dass sie sie am liebsten gar nicht mehr gehen lassen will. 

Gut zu wissen: Francis Meletzky wollte mit ihrem Debütfilm dazu aufmuntern, „‚ja‘ und ‚unbedingt‘ zum Leben [zu] sagen und nie die Hoffnung [zu] verlieren.“

Regie: Francis Meletzky, Buch: Elke Rössler, 88 min. – auf DVD

Salzgeber/ Screenshot TrailerJola (Grazyna Skapolowska, l.) und Dora (Dagmar Manzel)

9. Fremde Haut (2005)

Asylgrund Homosexualität: Die lesbische Übersetzerin Fariba (Jasmin Tabatabei) flieht aus dem Iran nach Deutschland, muss aber befürchten, dass ihr Asylantrag abgelehnt wird. Mit den Papieren eines männlichen Asylbewerbers wechselt sie ihre Identität und taucht als junger Mann in der schwäbischen Provinz unter. Als sie sich bei ihrer Arbeit in einer Sauerkrautfabrik in ihre Kollegin Anne (Anneke Kim Sarnau) verliebt, droht ihre Tarnung aufzufliegen...

Gut zu wissen: Der erste Kinofilm der lesbischen Regisseurin Angelina Maccarone, die damals schon durch die lesbischen TV-Filme Kommt Mausi raus?! (1995), Alles wird gut (1997) und Ein Engel schlägt zurück (1998) bekannt war, entstand unüblicherweise ohne TV-Gelder - den Sendern soll eine deutsche Identifikationsfigur gefehlt haben.

Regie/ Buch: Angelina Maccarone, 97 min. - nur auf DVD

10. Vier Minuten (2006)

Intensives Duell mit Klavier: Die strenge, konservative Klavierlehrerin Traude Krüger (Monica Bleibtreu) unterrichtet im Frauenknast die hochbegabte, aber aggressive Jenny (Hannah Herzsprung). Die beiden sperrigen Frauen reiben sich so sehr aneinander, dass die Emotionen Funken schlagen. Dabei outet sich Traude als Lesbe, in Rückblenden (mit Edita Malovčić als junge Traude) wird ihre tragische Liebesbeziehung mit Hannah (Kathrin Kestler) während des Nationalsozialismus erzählt.

Gut zu wissen: Chris Kraus fand für Vier Minuten erst einen Verleih, nachdem er mit dem Hauptpreis des Filmfestivals Shanghai 2006 ausgezeichnet worden war. 2007 bekamen der Film und Monica Bleibtreu den Deutschen Filmpreis.

Regie/ Buch: Chris Kraus, 111 min. – bei Amazon, iTunes und weiteren Streamingdiensten und auf DVD

Piffl Medien Hannah Herzsprung (l.) und Monica Bleibtreu

 

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