30 Jahre deutsche Einheit: Was gibt es aus feministischer Sicht zu feiern?
Anlässlich des runden Jubiläums widmet sich das Digitale Deutsche Frauenarchiv in einer lebendigen und diversen Online-Talkshow den Erfolgen und Misserfolgen der deutschen Einheit aus feministischer Sicht. Mit dabei: Bundesministerin Franziska Giffey.
Von Dana Müller
3.10.2020 - Alles traute Einheit? 30 Jahre ist es her, dass der Einigungsvertrag in Kraft trat. Mit der Auflösung der DDR 1990 gingen grundlegende gesellschaftliche und politische Veränderungen einher. Doch wo steht Deutschland heute? Ist die Grenze zwischen Ost und West wirklich verschwunden, auch in den Köpfen der Bevölkerung?
Anlässlich der historischen Wende wurden in jüngster Zeit allerlei Rückblicke und Reflexionen gewagt. Doch bei den medienwirksamen Diskussionen um Mauerfall und Einheit fallen nur all zu oft weibliche Perspektiven unter den Tisch, lesbische sowieso. Dabei waren an der friedlichen Revolution und dem anschließenden Umstrukturierungsprozess sowohl Frauen- als auch Lesbengruppen maßgeblich beteiligt.
Zeitzeuginnen beider Seiten kommen zu Wort
Das Digitale Deutsche Frauenarchiv (DDF) setzt dieser Lücke mit dem umfangreichen Dossier „30 Jahre geteilter Feminismus“ geballtes Wissen entgegen. Ein Jahr lang wurden auf der Webseite des „Fachportals zur Geschichte der deutschen Frauenbewegungen“ zahlreiche Texte und Zeitdokumente der Frauen- und Lesbenbewegung zum Thema veröffentlicht.
Zeitzeuginnen beider Seiten kommen zu Wort und geben dem breit aufgestellten Themenblock eine Tiefgründigkeit, die es so bisher noch nicht gab. Da neben heterosexuellen feministischen Stimmen, auch viele lesbische Erfahrungen einfließen, ist L-MAG Medienpartner.
Vier herausragende Akteurinnen mit DDR-Biografie
Als krönendes Highlight dieses Projekts war ursprünglich eine Podiumsdiskussion zum 3. Oktober geplant, in Zeiten von Covid-19 wurde daraus nun eine lebendige Online-Talkshow (siehe Video oben).
Darin diskutiert Bundesministerin Dr. Franziska Giffey mit Diversity-Trainerin Mai-Phuong Kollath, Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Peggy Piesche (Bundeszentrale für politische Bildung) und Historikerin Jessica Bock vom DDF. Eines haben die vier Frauen gemeinsam: Sie alle haben in der DDR gelebt, die dortigen Umwälzungen erlebt und sind laut DDF „heute sind sie herausragende Akteurinnen in Bildung, Kultur, Wissenschaft und Politik.“
Moderatorin Esra Karakaya geht eine Stunde lang folgenden Fragen nach: Was gibt es aus feministischer Sicht zu feiern? Wie haben Frauen diese Zeit damals erlebt? Wo stehen Frauen und die Frauenbewegung heute? Und was können Generationen – vor allem Feministinnen – voneinander lernen?
Auch Schwarze, lesbische und vietnamesische Perspektiven
So spricht Peggy Piesche über ihre eigenen Erfahrungen, Massenarbeitslosigkeit und ihren Weg zur Schwarzen feministischen Bewegung, während Mai-Phuong Kollath von ihrer Vergangenheit als Gastarbeiterin in der DDR berichtet. Immer wieder ergreift auch Ministerin Giffey engagiert das Wort und kritisiert unter anderem die nach wie vor anhaltende Unterpräsentation von Ostdeutschen und Frauen in Politik, Wissenschaft und in Führungspositionen in der Wirtschaft, die sich dringend ändern müsse. Und Jessica Bock stellt unter anderem Überlegungen zum „Mythos ,Ostfrau‘“ an.
Dabei wird der Blick auf die aktuelle Corona-Krise nicht vergessen. Gerade die Familienministerin kritisiert stark, dass angesichts der Pandemie von der „schwerste(n) Krise seit dem Zweiten Weltkrieg“ gesprochen wird, denn damit würden die Lebensrealitäten von Ostdeutschen, die bereits einen Umbruch und eine massive Krise erlebt haben, negiert.
Alles in allem eine wirklich gelungene Talkshow mit diversem Blick, der auch Schwarze, lesbische und vietnamesische Perspektiven mit in den Fokus rückt und besser als so manches bemühtes TV-Programm daherkommt - genau das richtige Programm zum 3. Oktober!
Mehr zum Thema „Lesben in der DDR“ gab es in unserer September/Oktober-Ausgabe 2019 - hier als kostenloses E-Paper erhältlich.
Weiterlesen:
Kinotipp „Uferfrauen“: Wo sind die Ost-Lesben?
Interview mit Barbara Wallbraun über ihren Film „Uferfrauen“
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