L-Mag

50 Jahre Stonewall Riots - was bleibt vom ersten Aufstand?

Die Welt feiert 50 Jahre LGBT-Bewegung, und der Höhepunkt ist der World Pride am Wochenende in New York, wo mit einer Razzia in einer queeren Kneipe alles begann. Wir waren beim Warm-up in Chicago vor Ort und werfen einen Blick auf Gestern und Heute.

Rhododendrites, CC-BY-SAHier nahm alles seinen Anfang: Das Stonewall Inn in Greenwich Village wurde deshalb von Präsident Obama 2016 zum "National Monument" (nationale Gedenkstätte) erklärt

Aus Chicago von Dana Müller

26.6.2019 - „Die Tür ging auf, und die Polizei warf uns lauthals ein paar Beleidigungen an den Kopf. Sie befahlen uns zu verschwinden. Doch wir blieben. Sie öffneten die Tür ein zweites Mal, schrien uns an. Befahlen erneut, wir sollten verschwinden. Doch wir blieben - und diesmal schrien wir zurück.“ So begannen am frühen Morgen des 28. Juni 1969 die als Stonewall Riots bekannten mehrtägigen Straßenkämpfe in der Erinnerung von Mark Segal. Wie viele Ausgestoßene, Queers, Trans, Butches und People of Color hing der damals 18-jährige Obdachlose in dieser Nacht in der Mafia-geführten Bar Stonewall Inn in der New Yorker Christopher Street herum. 

„In dieser Nacht, als ich im Stonewall Inn stand, hätte ich mir nicht vorstellen können, dass das, was in den nächsten Stunden geschehen würde, die schwul-lesbische Bewegung weltweit verändern würde“, schreibt Segal heute in der Windy City Times, der LGBT-Stadtzeitung von Chicago. Damals Mitglied der Gay Liberation Front, ist er mittlerweile Verleger der Philadelphias Gay News, einige seiner Artikel und persönlichen Gegenstände aus der Zeit sind heute im American History Museum in Wahsington D.C. ausgestellt.

Condor Entertainment So männlich, weiß und clean wie in Roland Emmerichs Film "Stonewall" (2015) waren die Straßenkämpfe aber in Wirklichkeit nicht

Früher "Gay Liberation Front" - heute Promis und Kommerz

Bereits drei Wochen nach den Riots in der Christopher Street demonstrierte die Gay Liberation Front. Und schon im darauffolgenden Jahr zog der erste Gay Pride durch die Straßen New Yorks. Der erste Christopher Street Day in Deutschland fand im April 1972 in Münster statt, bevor die Bewegung 1979 in Bremen, Berlin und Köln ihren Anfang nahm. Heute sind allein in Deutschland jedes Jahr über 80 CSD-Demos in Erinnerung an die Aufstände angemeldet.

Fünfzig Jahre später eröffnen in New York Legenden wie Whoopi Goldberg, Cindy Lauper und Chaka Khan den World Pride. Die US-Kaufhauskette Macy's verkündet in einem offiziellen Statement: „Macy's ist extrem stolz, in Erinnerung an Stonewall 50 mit dem New York City Pride zu marschieren.“ In über 700 Filialen werden anlässlich des Pride Extra-Rabatte und jede Menge Regenbogenklamotten geboten; ein geringer Teil der Einnahmen geht an LGBT-Projekte.

L-MAG/ Dana Müller "Pride & Joy" im Kaufhaus Macy's

Bei der Abschlusskundgebung am Times Square stehen Stars wie Madonna, Melissa Etheridge und Margaret Cho auf der Bühne. „Über vier Millionen Leute werden für das größte Treffen von LGBTQIA+ unserer Geschichte in New York City einfallen“, verkündet Chris Frederick, NYC Pride’s Managing Director im Vorfeld.

Über 50 Events sind allein in der Millionenstadt geplant. Mit dabei: Der Dyke March und die Reclaim Pride Coalition, die am selben Tag die alternative politische Demonstration "Queer Liberation March" organisiert und die Forderung ausruft: „Wir demonstrieren gegen die gewinnorientierte Ausbeutung unserer Communities, und wir demonstrieren gegen Pinkwashing von Unternehmen und Staaten, wie sie bei den weltweiten Prides, einschließlich des New York City Prides, zu sehen ist.“

Nach 50 Jahren: New Yorker Polizei entschuldigt sich 

Beim World Pride marschiert mitten in der Parade die Polizei mit, und das New York Police Department lässt schon den ganzen Monat einen Regenbogen-Streifenwagen durch die Stadt fahren. „Die Beamten hoffen, dass das ungefährlich aussehende Auto auch Leute anzieht, die normalerweise Streifenwagen meiden würden, und dass es dabei hilft, in Kontakt mit der Bevölkerung zu kommen“, lautet die offizielle Erklärung des NYPD.

Und noch ein Clou: Am 7. Juni entschuldigte sich der Polizei-Chef des NYPD, James O'Neill, offiziell für die Nacht im Stonewall Inn. „Der damalige Einsatz des NYPD war ganz klar falsch“, erklärte er bei einem offiziellen Sicherheitsbriefing für den World Pride. „Ich denke es wäre unverantwortlich, den Pride Monat vorbeiziehen zu lassen, ohne von den Ereignissen im Juni 1969 im Stonewall Inn zu sprechen. Was damals geschah, hätte nicht geschehen dürfen!“

So sensationell die Entschuldigung klingt, hat sie dennoch einen schalen Beigeschmack. Denn ganze 50 Jahre hat es dazu gebraucht. Die Aufstände waren eine Folge von jahrelangen Schikanen und Verhaftungen von Schwulen, Lesben und Trans, die auch nach der Nacht nicht plötzlich aufhörten. In den USA ist daher für viele LGBT die Polizei noch immer eher eine Gefahr als Freund.

L-MAG ist bereits in den USA, wird sich in New York ins Getümmel stürzen und verschaffte sich am vergangenen Wochenende schon mal beim Pride-Fest in Chicago einen Einblick in das, was uns beim World Pride erwartet.

L-MAG/ Dana Müller Pride Fest Chicago am letzten Wochenende

In Chicago wurde schon am letzten Wochenende gefeiert

Zum Warm-up des Chicago Pride tobte am vergangenen Wochenende ein Straßenfest in der „Windy City“ (der windigen Stadt). 100.000 Besuchende drängten sich in der North Halsted Street (im Schwulen Ausgehviertel Boystown) zwischen Marken-gebrandeten Bühne. Nissan, Bud Light und die Pizzakette Papa Johns setzten sich auf den drei Bühnen in Szene. Unter den zahlreichen Ständen befanden sich zwischen Aids-Hilfe und einigen wenigen LGBT-Vereinen vor allem Banken, Schönheitschirurgen und Kinderwunsch-Kliniken. Regenbogen-Merchandise wartete an jeder Ecke. Macy's Pride Edition war auch hier präsent. Lewis,Tommy Hilfiger, Nike – jede erdenkliche Marke mischte mit bunter Kleidung mit. Man könnte den Eindruck bekommen, dass die Welt nur aus LGBT und deren Unterstützenden besteht.

Vor dem "LGBT-Center on Helsted" liefen kreischende Teenies, seelige Regenbogen-Familien und feierfreudige Schwule. „Wir sind hier, um das Leben zu feiern, denn jede Liebe ist gleich“, erklärte Maria mitten im Getümmel gegenüber L-MAG. Sie war das erste Mal dabei und absolut begeistert. „Die ganze Musik, das Tanzen, es fühlt sich einfach so frei an“. Auch ihre Freundin Brenda fand: „Ich bin hier, weil ich die Atmosphäre einfach großartig finde. Ich bin bisexuell. Ich und meine Verlobte, genießen unsere Zeit hier.“

L-MAG/ Dana Müller In Chicago gibt's sogar einen Hunde-Pride!

Von politischen Forderungen keine Spur

Von politischen Forderungen auf dem Fest keine Spur. Überall erklangen die immer gleichen Songs zwischen Kommerz und Marken-Werbung. Keine Kritik am Schönheitswahn und Massenkonsum. Auch in Chicago wird die große Pride-Parade am nächsten Wochenende Tausende anziehen.

Vorneweg wird die neue Bürgermeisterin der Stadt Lori Lightfoot gemeinsam mit ihrer Frau laufen. „Ich bin so stolz für alles, wofür unsere Community steht, und dass sie weiter kämpft. Vielen, vielen Dank für alles, was ihr getan habt“, erklärte die offen lesbische Demokratin bei einer Pressekonferenz.

Pride-Gäste und Baseball-Fans begegneten sich freundlich

So kommerziell und partyfreudig viele Events in den USA und auch in Deutschland nun sind, so viel Hoffnung macht das ganze Getrubel dennoch. Während das Pride Fest in Chicago tobte, fand direkt nebenan ein Baseball Spiel im Stadion statt. Pride-Besuchende und Baseball-Fans begegneten sich friedlich und freundlich.

Und im Jahr 2019 kann die Bürgermeisterin einer der größten Städte in den USA den Pride mit anführen. Was einst mit einem wütenden Kampf von Verfolgten und Ausgestoßen begann, scheint nun in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Doch lasst uns dabei nicht unsere inhaltlichen Forderungen vergessen, lasst uns feministisch und solidarisch sein mit LGBT überall in der Welt, die eben nicht mit ihrer Regenbogenfahne über die Straßen laufen können. Lasst uns gemeinsam weiter kämpfen! Happy Pride!

Aktuelles Heft

Metamorphosen - queeres Leben und Sterben

Genderneutrale Erziehung - Elizabeth Kerekere, Aktivistin aus Neuseeland - Internationales FrauenFilmFestival - LGBTIQ* Community in Armenien mehr zum Inhalt




Deine online-Spende

 

Ganz einfach, und doch so wirkungsvoll:

Unterstütze uns, damit l-mag.de weiter aktuell bleibt!

Vielen Dank!
Dein L-MAG Online-Team

 

 


L-MAG.de finde ich gut!

Deine online-Spende

 

Ganz einfach, und doch so wirkungsvoll:

Unterstütze uns, damit l-mag.de weiter aktuell bleibt!

Vielen Dank!
Dein L-MAG Online-Team

 

 


L-MAG.de finde ich gut!
x