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Wenn Alltag zum Horror wird: Die neue Staffel von „American Horror Story“

In „American Horror Story: Cult“ spielt Sarah Paulson eine lesbische Frau, die von ihren Ängsten terrorisiert wird und bald nicht mehr weiß, was wahr ist und was nicht. Unsere L-MAG-Gruselexpertin sagt: Verdammt spannend und erschreckend aktuell!

Screenshot/ FX Machtlos gegenüber ihrer Angst: Ally (Sarah Paulson, l.) und ihre Frau Ivy (Alison Pill) in Staffel 7 von "American Horror Story"

Von Simone Veenstra

7.11.2017 - Horror war eines meiner Prüfungs-Themen im Studium. Ich analysierte alte Klassiker, kultig-trashige Hammer-Filme und damals aktuelle Teenie-Schockern oder Slasher-Movies. Vor allem ging es mir darum, wie Angst entsteht und welche Gesetzmäßigkeiten und Strukturen in den Filmen zu finden waren. Wenn ich jemand dazu überreden konnte, mit mir zu gucken, unterwarfen wir die Filme meist unserem eigenen, angepassten Bechdel-Test: Wie viel Frauen segneten das Zeitliche, und was musste das Final-Girl mitbringen, um zu überleben? Schnell stellte ich fest: Ein System zu haben, hilft dabei, den Horror in Schach zu halten. Denn immer greifen Regeln, wie man überleben würde: Nicht nach oben flüchten, nicht in den dunklen Keller und immer schön moralisch integer bleiben.

Als vor sechs Jahren American Horror Story anlief, war auch hier schnell klar, dass sie sich auf vieles stützte, was das Genre ausmacht: Haunted House, die Hexen von Salem, Freakshow, Frankenstein, Blair Witch, gruselige Nervenheilanstalten und Exorzismus. Die Serie änderte aber auch Bekanntes ab und überraschte. Und Überraschung ist etwas, von dem Horror lebt.

Staffel 7 geht über alles hinaus, was 'AHS' bisher ausmachte

In der neuen siebten Staffel aber geht American Horror Story einen unvermuteten und extrem großen Schritt über alles hinaus, was die Serie bisher ausmachte. Der Untertitel „Cult“ mag zunächst verwirren, könnte er doch auch „Manipulation“ oder vielleicht „Lügenpresse“ heißen. Doch nach und nach entschlüsselt sich, was damit gemeint ist: Der Zusammenschluss jener Menschen, die einem Rattenfänger folgen, der vor nichts zurückschreckt, um sein eigenes Ziel zu erreichen.

Damit beweist die Serie erschreckende Aktualität – und kommt das allererste Mal gänzlich ohne übernatürliche Bedrohungen aus. Die gesellschaftlichen reichen völlig und beweisen einmal mehr: Horror ist unabdingbar mit Angst verknüpft. Angst hat jede und jeder von uns, und sie kann – man blicke nur auf die letzten Wahlergebnisse - verdammt schnell reell werden und in den Alltag eingreifen.

Spielt sich das wirklich alles nur in Allys Kopf ab?

Sarah Paulson, die in bisher jeder Staffel in ganz unterschiedlichen Rollen zu sehen war, übernimmt die Rolle von Ally. Gemeinsam mit ihrer Frau Ivy (Alison Pill) und dem gemeinsamen Sohn Oz lebt sie in einer gemütlichen, sicheren Wohngegend von Michigan. Dass Donald Trump die Wahl gewann, besorgt Ally zu Recht.

Denn dass die allgemein zur Schau getragene Toleranz einer diversen Gesellschaft gegenüber nur oberflächig und extrem brüchig ist, bekommen die verzweifelt gegen ihre Phobien kämpfende Ally und ihre Frau persönlich zu spüren. Geschickt lässt die Serie dabei zunächst offen, wie viele der seltsamen Angriffe und veränderten Realitäten tatsächlich echt und welche womöglich einer übertriebene Angstvorstellung Allys geschuldet sind.

Ally selbst vertraut ihren Erfahrungen immer weniger, denn auch Ivy geht offenbar davon aus, dass Paranoia ihre Sicht auf die Realität zersetzt. Ally ist gefangen. Die Einnahme ihrer Medikamente machen sie ebenso machtlos wie ihre Angstzustände. Und die Bedrohungen kommen immer näher – bis direkt vor ihre Haustür. Leidet sie also unter Verfolgungswahn, oder sind die auftretenden Morde tatsächlich ein politisches Komplott? Und welchen perfiden Plan verfolgt die neue Babysitterin (Billie Lourd), oder spielt Allys Kopf ihr nur einen Streich?

Fragen, die auch das Publikum nicht klar beantworten kann. Können wir dem vertrauen, was wir mit – der manchmal fast schmerzhaft inaktiven – Ally erleben? Und wie sieht es mit jenen Szenen aus, die uns portionsweise einen Einblick darüber hinaus geben? In den ersten beiden Folgen belässt American Horror Story dies in der Schwebe. Dann wechselt die Perspektive und sorgt dafür, dass wir plötzlich alles hinterfragen müssen, was bisher zu sehen war.

Wir werden mitten in ein großes Komplott gezogen

Das ist ebenso perfide wie geschickt, verdammt spannend und wirklich erschreckend. Wir werden mitten in ein derart großes Komplott gezogen, dass der Kopf schwirrt. Kaum etwas ist vorhersehbar und wirft jene Frage auf, die schon lange nicht mehr so aktuell war wie heute: Was ist echt, was manipulativ, und wie fundiert sind unsere eigenen Reaktionen?

Selten führt eine ja dann doch auch zur Unterhaltung gedachte Serie so klar vor Augen, wie angeblich recherchierte Informationen für egoistische Ziele benutzt werden können und selbst die Wahrheit Mittel zum Zweck wird; wie wichtig Kontext ist und wie leicht Gefühle das eigene Moralempfinden außer Kraft setzen können.

Viel davon hat mit Angst zu tun. „Vor was fürchtest du dich?“, verlangt das selbsternannte Kult-Oberhaupt Kai Anderson (Evan Peters) auch von den Anwärtern seiner mörderischen Gemeinschaft zu wissen und besteht auf absolut unzensierte Antworten. Diese werden zur Einstiegsdroge, gefährlicher Motivation und zugleich zum Druckmittel. Und so kann aus Angst in nur wenigen Sekunden echter Horror werden.

American Horror Story: Cult (Staffel 7), 11 Folgen, mit Sarah Paulson, Alison Pill, Billie Lourd, Evan Peters, Emma Roberts u.a. - ab 9. Nov. beim Pay-TV-Sender FOX

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