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Anja Mittag: „Frauenfußball verdient mehr Aufmerksamkeit!“

Fußball-Weltmeisterin Anja Mittag spricht im L-MAG-Interview über die Euro 2022 und ihren Wunschgegner im Finale, ihre Karriere, Equal Pay, Homosexualität im Profifußball und: Wieso gibt es eigentlich nur so wenige kurzhaarige Spielerinnen?

Imago, Picture Point LE Anja Mittag beim WM-Qualifikationsspiel gegen Serbien im September 2021

Von Michael Lenz

25.7.2022 - Sie ist Rekordnationalspielerin, Weltmeisterin, Olympiasiegerin und dreifache Europameisterin im Fußball, im Vereinsfußball gewann sie mehrere deutsche und schwedische Meisterschaften und einen Champions League-Titel. Heute ist Anja Mittag Individualtrainerin beim RB Leipzig und plaudert in ihrem Podcast Mittags bei Hennings mit Ex-Nationalspielerin Josephine Henning aus dem Nähkästchen. Anlässlich der Euro 2022 baten wir die 37-Jährige zum Gespräch.

 

Die deutsche Nationalmannschaft liefert bei der EM ein furioses Bild und eine tolle Leistung. Jetzt ist der EM-Titel möglich, jubeln Medien hierzulande. Wer wäre dein Wunschgegner im Finale?

Anja Mittag: Mein Wunschgegner für das Finale wäre England. Gegen den Gastgeber diesen Klassiker vor einem ausverkauften Wembley-Stadion zu spielen, wäre ein absoluter Traum. Aber zuerst einmal muss die Mannschaft das schwere Halbfinale gegen eine Top-Mannschaft aus Frankreich überstehen.

Welche deutsche Spielerinnen haben dich an meisten beeindruckt oder überrascht?

Mich beeindruckt die gesamte Mannschaft. Ihr Auftreten und in aller erster Linie der Zusammenhalt zeigt, wie gut die Vorarbeit vor dem Turnier war. Nur so ist es möglich, eine so starke Europameisterschaft zu spielen. Da eine einzelne Spielerin herauszuheben, ist kaum möglich.

Bist du in England? Wenn ja, wie ist die Stimmung in den Stadien?

Nein, ich bin aktuell nicht in England. Wir sind mit dem Frauenteam von RB Leipzig gerade in die Vorbereitung gestartet, in der ich sehr stark eingebunden bin. Allerdings habe ich bereits häufiger gehört, dass die Stimmung überragend sein muss. Das gesamte Turnier ist eine großartige Werbung für den Frauenfußball.

Du selbst standest gute zwei Jahre nach dem Ende deiner Karriere als Profifußballerin und Nationalspielerin wieder als Spielerin beim Regionaligisten Eintracht Leipzig-Süd auf dem Platz. Warum?

Ich hatte noch ein wenig Lust zu kicken, aber ohne regelmäßig am Training und am Krafttraining teilnehmen zu müssen. Ich wollte einfach Fußball spielen ohne großen Druck. Ich versuche, einmal pro Woche mitzutrainieren, und wenn wir ein Heimspiel haben, kann ich in der Regel auch teilnehmen.

Was hat dich schon im Alter von sechs Jahren zum Fußball gebracht, der ja damals mehr noch als heute eine Männerdomäne war?

Mein älterer Bruder hatte Fußball gespielt. Das fand ich toll und bin mitgegangen. Ich habe dann recht bald gemerkt, dass ich durchaus Talent habe. Damals haben die Jungs ja oft noch auf dem Hof gespielt und ich war immer das einzige Mädchen. Das war für mich auch nicht komisch. Komisch fand ich es eher, wenn mal ein anderes Mädchen dabei war. Das war aber sehr selten. Ich habe mich dann im Verein meines Bruders angemeldet, der damals VfB Chemnitz hieß. Mit zwölf bin ich dann zur Frauenmannschaft des Chemnitz FC gewechselt, weil man ab dem Zeitpunkt nicht mehr bei den Jungs mitspielen durfte.

Was sind deine Ziele im Frauenfußball? Vielleicht gar Trainerin der Nationalmannschaft?

Oh Gott, ich weiß noch nicht, wo man Weg überhaupt hinführt. Im Moment macht es mir Spaß, als Individualtrainerin mit Spielerinnen zu arbeiten und als ehemalige Stürmerin auch Angreiferinnen zu betreuen. Als ehemalige Nationalspielerin will ich Frauen im Fußball unterstützen, ausbilden und fördern. Das ist für mich eine gute Möglichkeit, dem Sport erhalten zu bleiben, meine Erfahrung weiterzugeben und mich selbst weiter zu entwickeln.

Warum gibt es im Frauenfußball immer noch so viele männliche Trainer?

Es fehlt den Frauen meist an Vorbildern. Wenn man an einer Trainerausbildung teilnimmt, ist man meist die einzige Frau. Das ist ja nichts Schlimmes, aber das muss klar sein und man muss den Mut dazu haben, sich dort auch zu behaupten. Es gibt viele Frauen, die Bock auf Fußball und auch auf das Trainertum haben. Das wird sich weiterentwickeln und geht schon in die richtige Richtung. Frauenfußball ist ja noch relativ jung und deshalb braucht es Zeit.

Wie steht es in Deutschland mit der medialen Aufmerksamkeit für den Frauenfußball?

Frauensport nimmt in den Medien vielleicht zehn Prozent ein. Der Rest ist Männersport. Und an den zehn Prozent hat der Frauenfußball wahrscheinlich noch den größten Anteil. Zum Beispiel war vor ein paar Wochen das Champions-League-Finale der Frauen. Wollte man beim Kicker den Spielstand erfahren, musste man ganz weit nach unten scrollen, obwohl die zwei besten Teams Europas gespielt haben. Das verdient mehr Aufmerksamkeit. Andererseits werden jetzt nach der Reformierung der Frauen-Champions-League alle Spiele bei DAZN übertragen. Das ist ein Riesenschritt für den Frauenfußball.

Was hältst du von Equal Pay?

Faire Bezahlung ist perspektivisch wichtig, aber dass Frauen von jetzt auf gleich Millionen verdienen, wäre ja auch utopisch. Es geht vor allem um gleiche Bedingungen wie beispielsweise Trainingsausstattung, Infrastruktur, Kraftraum, usw.

Homosexualität ist im Männerprofifußball noch immer ein großes Tabu. Im Frauenfußball scheint es kein Problem zu sein, dass viele Spielerinnen lesbisch sind. Warum ist das Thema bei euch weniger brisant?

Wir haben einen offeneren Umgang und respektieren uns gegenseitig. Die Männer spielen in einem anderen Umfeld, einer Art eigenen Blase. Viele haben Angst vor Fan-Gesängen und Sponsoren, die abspringen könnten. Aber es tut sich was. Jetzt hat sich ja gerade ein 17 Jahre alter englischer Profispieler geoutet (Anm. d. Red.: Jake Daniels, der beim englischen Zweitligisten Blackpool spielt). Aber jeder muss selbst entscheiden, ob er ein Vorbild für die queere Community sein will oder eine Scheinfreundin haben will oder muss. Das ist zwar schade, aber das muss jeder selber wissen.

Die Medien sind ja auch am Privatleben der Promis interessiert. Über dich hieß es mal, du hast dich von Radrennprofi Max Levy getrennt? Dann hieß es, du seist mit Therese Sjögran (Anm. der Red.: ehemalige schwedische Fußballnationalspielerin) zusammen.

(Lacht) Das mit Max ist schon 15 Jahre her. Therese und ich waren ein Paar, aber das ist auch schon vorbei.

Eine Freundin hat mich gebeten, dich zu fragen, warum es so wenig kurzhaarige Kickerinnen gibt.

(Lacht) Als ich vor 20, 25 Jahren mit dem Fußball anfing, war es völlig normal, dass Frauen kurze Haare hatten. Die Generation hat sich gewandelt, und jetzt fällst du eher auf, wenn du kurze Haare hast.

Die Mode hat sich also geändert?

Ja, ich könnte mir aber auch vorstellen, dass die vielen Frauen mit kurzen Haaren damals im Frauenfußball einen schlechten Ruf als „Mannweiber“ hatten und sich davon lösen wollten. So haben sich vielleicht viele für lange Haare entschieden, weil sie nicht in diese Klischees passen wollten und sich lieber als feminine Frauen präsentieren, die Fußball lieben. Aber das ist nur eine Vermutung.

Klar, es gibt ja auch das Klischee, dass alle Frauenfußballerinnen Lesben sind.

Genau. Aber der Kosmos Frauenfußball spiegelt ja nur die Gesellschaft wider. Daher denke ich, dass der Anteil nicht größer ist als allgemein in der Gesellschaft. (Anm. d. Red: im Podcast „Busenfreundin“ schätzte Anja den Lesbenanteil noch auf 50 Prozent, K-Word #337)

 

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