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„Bedrückend und beschämend“: Studie zum Sorgerechtsentzug bei lesbischen Müttern

Lesbischen Müttern konnte bis in die 1990er Jahre das Sorgerecht entzogen werden. Diesem weitgehend vergessenen Unrecht widmet sich erstmals ein Forschungsprojekt aus Rheinland-Pfalz. Ministerin Spiegel entschuldigt sich bei den Betroffenen.

Canva [bearb.]

Von Franziska Schulteß

16.1.2021 - Bekannt ist das Thema bis heute kaum – obwohl es vermutlich Tausende Frauen in der Bundesrepublik betraf. Noch bis in die neunziger Jahre hinein entzogen Familiengerichte Müttern das Sorgerecht, wenn im Zuge eines Scheidungsprozesses bekannt wurde, dass die Mutter lesbisch lebte. Eine Pilot-Studie aus Rheinland-Pfalz der Historikerin Kirsten Plötz hat dieses Unrecht zum ersten Mal erforscht.

Ministerin entschuldigt sich

Die Studie „…in ständiger Angst…“, mit der das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin und die Bundestiftung Magnus Hirschfeld beauftragt worden war, widmet sich der Situation in Westdeutschland unter besonderer Berücksichtigung von Rheinland-Pfalz von 1946 bis 2000. Die Ergebnisse wurden am Donnerstag auf einer digitalen Pressekonferenz vorgestellt.

In diesem Rahmen äußerte sich auch die Frauen- und Familienministerin von Rheinland-Pfalz, Anne Spiegel. Sie entschuldigte sich ausdrücklich bei den Betroffenen für das erlebte Unrecht und appellierte an die Bundesregierung: „Es ist wichtig, dass sich auch der Bundestag entschuldigt, denn das Unrecht wurde ja nicht nur in Rheinland-Pfalz begangen, sondern bundesweit.“ Auch auf die Kontinuitäten, die es bis heute gibt, machte sie aufmerksam: Immer noch bestünden Vorurteile gegenüber gleichgeschlechtlich lebenden Elternpaare, wie sich z. B. in der Diskriminierung lesbischer Paare im Abstammungsrecht (Link/ Do.) zeige.

Schweigen aus der Vergangenheit besteht fort

Das Familienministerium Rheinland-Pfalz hatte die Forschungsarbeit 2017 in Auftrag gegeben. Als ein erstes Ergebnis beschrieb Ministerin Spiegel das „Vorherrschen von Schweigen“ – ein Schweigen aus der Vergangenheit, das sich bis heute fortsetze. Zeitzeug*innen zu finden, die bereit waren, über das Erlebte zu sprechen, gestaltete sich als sehr schwierig. Kirsten Plötz sei es dennoch gelungen, mit ihrer Studie erstmals in den Fokus zu rücken, wie die Diskriminierung lesbischer Frauen „in dieser Zeit aussah“. Ihre Forschung zeige auch, welches Leid die Betroffenen ertragen mussten. Das sei „bedrückend und beschämend zugleich“.

Aus Angst versteckten viele Frauen ihre lesbische Identität

Eine Scheidung konnte sich fatal auf das Leben einer lesbischen Mutter und ihrer Kinder auswirken. Entsprechend den Moralvorstellungen der Zeit, galten gleichgeschlechtliche Beziehungen generell als „bedenklich“ für das Kindeswohl. „Die Rolle der Frau in den 50er, 60er und 70er Jahren war die einer Ehefrau“, beschrieb Spiegel. „Gleichgeschlechtliche Beziehungen waren nicht denkbar.“

Noch bis 1977 galt im Scheidungsrecht außerdem das so genannte Schuldprinzip: das Elternteil, das vom Gericht als „schuldig“ an der Trennung betrachtet wurde, erschien als nicht geeignet für die Kindererziehung und bekam in der Regel nicht das Sorgerecht für das gemeinsame Kind. Aus Angst davor, die Kinder zu verlieren, versteckten viele Frauen ihre lesbische Identität oder gingen andere für sie nachteilige Kompromisse ein. Aufgrund der schwierigen Quellenlage ließe sich das Ausmaß dieser strukturellen Diskriminierung zwar nicht bestimmen. Es sei jedoch davon auszugehen, dass es tausende Betroffene gab, „in der Bundesrepublik, wenn nicht allein in Rheinland-Pfalz.“

MFFJIV Entschuldigte sich bei den betroffenen Frauen: Anne Spiegel, Ministerin für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz in Rheinland-Pfalz

Leid der Mütter und Kinder wurde ignoriert

Auf der Pressekonferenz zitierte Kirsten Plötz exemplarisch ein Urteil eines Gerichts in Mainz von 1981: das Kindeswohl wurde darin deutlich daran festgemacht, „ob die Eltern konservativer Geschlechterrollen folgten.“ Laut Argumentation des Gerichtes sollte das Kind vor dem „Außenseitertum der Mutter geschützt werden“. Die Wünsche und das Leid der Kinder, ebenso wie Berichte über Gewaltausübung seitens der Ehemänner, was laut Plötz nicht selten zur Sprache kam, blieben dabei „nebensächlich“.

Insgesamt sprach Plötz für die Studie mit 23 Zeitzeug*innen. Darunter waren 12 Mütter, denen entweder die Kinder weggenommen wurden, oder die dies befürchteten und deshalb Angst davor hatten, ihre lesbischen Beziehungen oder ihre lesbische Neigung sichtbar zu machen.

Wie Plötz 2018 in einem Interview mit unserem Schwestermagazin Siegessäule ausführte, betraf die Problematik ja „nicht nur jene, die tatsächlich das Sorgerecht verloren. Allein die Drohung konnte schon erhebliche Auswirkungen haben: etwa wenn eine Frau bei einer Scheidung alle Bedingungen ihres Mannes akzeptierte, damit dieser vor Gericht nichts von ihren lesbischen Beziehungen verriet.“ Einige lesbische Paare, mit denen sie für die Forschung sprach, hätten berichtet, sich bewusst dafür entschieden zu haben, ihre Beziehung geheim zu halten. „Das heißt, das muss eine gängige Praxis der Gerichte in der jungen BRD gewesen sein.“

Mehr Forschungsarbeiten gefordert

Jörg Litwinschuh-Barthel, geschäftsführender Vorstand der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, betonte auf der heutigen Pressekonferenz, dass Plötz` Studie nur ein Anfang sein dürfe. Die Bundesregierung sei gefragt, sich diesem „Skandal unserer Gesellschaft“ anzunehmen. Andere Bundesländer sollten dem Beispiel von Rheinland-Pfalz folgen und ähnliche Forschungsarbeiten in Angriff nehmen. Auch müsse man der Frage nachgehen, wie es eigentlich in der DDR aussah, wo die Gesetzeslage noch mal eine andere war.

Zur Frage nach einem eventuellen Entschädigungsfonds verwies Ministerin Spiegel auf die Bundesebene. Entschädigungen seien eine „komplexe Angelegenheit“, gerade weil in vielen Fällen das geschehene Unrecht nur schwer zu belegen ist. So kamen in Akten von Gerichten und Jugendämtern Begriffe wie „homosexuell“ oder „lesbisch“ oft gar nicht vor – selbst dann nicht, wenn die lesbische Lebensweise der Mutter entscheidend für den Sorgerechtsprozess war.

Einen politischen Anstoß hin zu mehr Aufarbeitung hatte bereits im letzten Januar die Bundestagsfraktion der Grünen geliefert: Auf einem Fachgespräch unter dem Titel „Wenn die Mutter lesbisch lebt(e) – Fälle von Sorgerechtsentzug bei Müttern, die in Beziehungen mit Frauen lebten“ war das Thema erstmals öffentlich diskutiert worden (wir berichteten).

 

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