Beschimpft, angespuckt, rausgeworfen - #MeQueer: Ein Hashtag geht um die Welt
Unter dem Hashtag #MeQueer machen Menschen auf Twitter öffentlich, welche homo- und transphoben Diskriminierungen sie erlebt haben. Wie weit wir noch von echter Akzeptanz entfernt sind, zeigen auch viele negative Reaktionen darauf.
Von Lena Schneider
26.8.2018 - Zuerst #MeToo, dann #MeTwo und jetzt #MeQueer. Hinter dem Hashtag, der seit letztem Wochenende in der Twitter-Gemeinde kursiert, verbirgt sich eine neue Bewegung, die die Herabsetzung der LGBTIQ-Community in Deutschland aufzeigen soll. In den Tweets zu #MeQueer berichten seitdem tausende Twitter-Nutzer von ihren persönlichen Erlebnissen mit Homo- und Transfeindlichkeit im Alltag.
14, erste Liebe. Mutter: "Die triffst du nicht mehr oder du fliegst!"
— Sister B. (@DubeAteo) August 16, 2018
Warum ich mit knapp 15 von zuhause ausgezogen bin/wurde#MeQueer
"Ich hab nichts gegen Schwule und Lesben, soll doch jeder leben wie er will. Aber Kinder adoptieren sollten sie nicht dürfen, sonst denken die Kinder noch, dass das normal ist... so wie Kinder, die von ihren Eltern vergewaltigt werden." #MeQueer
— Anne Mäander (@AnneMaander) 18. August 2018
Wir haben jetzt ein #MeQueer Hashtag und ich weiß derweil gar nicht, wo ich da überhaupt anfangen sollte. Ich meine, verflucht, ich wurde zu Priestern geschleppt, um mir "den bösen Geist" auszutreiben. Und ja, für mich war das Jahrelang "Alltag".
— Nela Nequin #LitcampHH (@KaenKazui) August 17, 2018
Ins Leben gerufen wurde #MeQueer von Autor Hartmut Schrewe, der mit diesem Tweet vom 13. August den Stein ins Rollen brachte:
Mein Mann ist mein Ehemann und nicht mein Kumpel. Wann hört das endlich auf#Homophobie#MeQueer
— (((HartmutSchrewe))) (@HartmutSchrewe) 13. August 2018
Betroffene äußern sich auf Twitter daraufhin sowohl zu Reaktionen auf ihr Coming Out als auch zu unangebrachten Bemerkungen, die sie sich häufig anhören müssen. Wie absurd diese Kommentare eigentlich sind, bemerken einige offenbar erst, wenn ihnen auf ihre unangebrachten Fragen eine dumme Antwort entgegen geschmettert wird.
Fragte uns vor Jahren so ein Depp: "Wer ist von euch beiden der Mann?"
— GwenDragon ♀ (@GwenDragonTek) August 17, 2018
Ich antwortete: "An geraden Tagen ich, an ungeraden sie."#MeQueer
"Und wie habt ihr Sex?"
— Nina Jaros (@Ninchen_ohne_Ka) August 18, 2018
"nackt."
War auch nicht recht. #MeQueer
„Du bist mit einer Frau zusammen? Die Cousine meiner Nachbarin, deren Studienkollegin ist auch lesbisch!“
— Meichy (@meichy_) August 19, 2018
Darauf sollte man eigentlich immer mit „Cool, meine Großtante ist auch hetero!“ antworten, um zu zeigen wie absurd diese Reaktion ist. #MeQueer
Doch viele Geschichten lassen sich nicht mit einer schlagfertigen Antwort relativieren. Die Mehrheit der Tweets unter #MeQueer erzählen von subtilen oder offenen Beleidigungen und schlichtweg brutalen Gewalterfahrungen aufgrund ihrer eigenen Sexualität.
Ich wollte mich nicht zu #MeQueer äußern. Gerade habe ich keine Kraft dafür, wieder von Trollen überrannt und beleidigt zu werden.
— Kitten (@Flusswoelfin) August 17, 2018
Aber mein 14-jähriges Ich, das wegen ihrer Sexualität in Müllcontainer (die man von innen nicht öffnen kann) gesteckt wurde, will gehört werden.
Ausflug mit der Schulklasse ins KZ Sachsenhausen.
— Zesyra (@Zesyra) August 17, 2018
Uns wird erzählt, dass hier viele Homosexuelle inhaftiert waren.
Alle gucken mich an. Einer sagt: "Hier gehörst du hin."#MeQueer
Ich wurde (ohne mich je geoutet zu haben!) angespuckt, schlecht geredet, physisch wie auch psychisch schlimm verletzt, eingesperrt und das alles nur, weil ich "lesbisch aussehe".
— Gaylord (@Amaliuiuiuiui) August 18, 2018
Lasst mich mich doch bitte erstmal selbst finden. Es ist schon so schwer genug.#MeQueer
"Der Polizeiwagen sollte mal rückwärts setzen!"
— Lisarrr (@Lisarrriot) August 19, 2018
- Passant*in kommentiert unseren Dykemarch, an dessen Spitze ein Polizeiwagen fährt. #MeQueer
Der Backlash ließ nicht auf sich warten
Wie auf Twitter üblich, gab es trotz des sensiblen Themas einen großen Backlash auf die Aktion. Als Resonanz auf ihre emotionalen Beiträge erhielten die Verfasserinnen und Verfasser oftmals erschreckend negative Reaktionen. Dass das Verweisen auf Diskriminierung einer Randgruppe gesellschaftlich keine allzu hohe Relevanz habe, ist dabei noch das Harmloseste. Sätze wie „Kann man dich noch abtreiben?“ oder „Das tut weh? Hungersnöte, Verkriegung, Versklavung, DAS tut weh“ zeigen immer deutlicher, wie weit Deutschland nach wie vor von ausnahmsloser Akzeptanz aller Menschen entfernt ist.
Sprüche gehört wie:
— Juhulia (@Herbstwindkind) August 16, 2018
"Seid doch froh, das ihr jetzt heiraten dürft! Was wollt ihr denn noch? Gibt doch wichtigere Probleme auf der Welt als euer Rumgejammer!!"#MeQueer
Wieso noch ein weiteres Hashtag?
Viele Twitter-Nutzer stellten zudem die Notwendigkeit eines weiteren Hashtags neben #MeToo und #MeTwo in Frage. Argumentiert wird dabei, dass bei immer häufiger auftretenden Hashtags dieser Art die ernsten Hintergründe ihre Bedeutung verlieren würden. Dass eine Aufklärung Unwissender jedoch bitter nötig ist, zeigen die Schilderungen der #MeQueer-Teilnehmer, die von tagtäglichem Hass und Gewalt sprechen, weil sie nicht der gesellschaftlich anerkannten Norm entsprechen.
Die Tweets unter #MeQueer stehen dafür, dass auch trotz der Einführung der Ehe für Alle nicht überall Friede, Freude, Eierkuchen herrscht. Darüber zeigten sich auch viele Unbeteiligte geschockt, was noch deutlicher macht, wie sehr die täglichen Anfeindungen gegen die LGBTIQ-Community in Deutschland unter den Teppich gekehrt werden.
Ich finde es ja immer faszinierend, wie schockiert viele von dem sind, was sie unter #metoo, #metwo und #mequeer lesen, weil es ihnen noch nie so aufgefallen ist.
— Zesyra (@Zesyra) August 17, 2018
In welcher Welt lebt ihr?
Ich würde da nämlich gerne hin, scheint nett zu sein.
Ich lese #mequeer und bin fassungslos und traurig. Ich habe nie für möglich gehalten, dass es HEUTE noch so schlimm ist, da mir selbst dieses Denken völlig fremd ist. Es tut mir so leid und meine eigene Ignoranz und die Grausamkeit meiner Mitmenschen beschämt mich.
— marzipania (@schokoschocker) 25. August 2018
#MeQueer kursiert inzwischen auch in anderen Sprachen
Knapp zwei Wochen nach dem ersten #MeQueer-Tweet stellt sich nun die Frage: Ist die Wirkung des Hashtags bereits abgeflaut oder geht es jetzt erst richtig los? Tatsächlich scheint das Thema nach wie vor brandaktuell und niemals ausgeschöpft zu sein (in Berlin wurde neulich beispielsweise ein lesbisches Pärchen grundlos angegriffen).
Wie brisant die Debatte ist, lässt sich auch daran erkennen, dass viele deutsche Medien wie BuzzFeed, Vice oder die Frankfurter Allgemeine über #MeQueer berichten. Und auch international hat das Hashtag Wellen geschlagen. So schrieben etwa die weltweite Nachrichtenagentur Reuters, die französische Webseite Komitid, das Gay Social Network Hornet und die spanische Huffington Post über die Bewegung, und mittlerweile kursiert #MeQueer auch schon in Englisch und Spanisch. In Spanien schickten inzwischen schon Politiker wie der Bürgermeister von Barcelona und das Innenministerium Gruß-Tweets an die LGBT-Community.
When your mom tells you she loves you no matter what but you just KNOW she wants you to marry a guy and live a straight 'normal' life. #MeQueer#biphobia
— Enna Lovecraft (@EnnaLovecraft) 26. August 2018
Ir por la calle con tu pareja con miedo a que te den una paliza, que te llamen putas bolleras de mierda por besarte en público, que te miren con cara de asco, que te digan que no te beses delante de sus hijas... #MeQueer
— Frias #AltsasukoakASKE (@AngelaFrias5) 26. August 2018
Zwar löst ein einziges Hashtag nicht alle Probleme, aber wir sind dadurch zumindest einen Schritt weiter auf dem Weg der Besserung. Doch solange keine volle Akzeptanz herrscht, wird immer jemand etwas zu #MeQueer sagen können.
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