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Die queeren Kinocharts 2022

In deutschen Kinos tauchten 2022 in jedem zehnten Film LGBTQ-Charaktere auf, darunter mehr lesbische als schwule. 30 der 636 Filme hatten ein queeres Thema - und richtig schlecht sieht's im Fernsehen aus! Das ergab eine Zählung von Queermdb.

Warner Bros. „Einfach mal was Schönes“: Die Braut (Milena Tscharntke) ist lesbisch, aber selbst bei ihrer eigenen Hochzeit nur eine Nebenfigur - die Hauptfigur ist nämlich ihre Hetero-Schwester (Karoline Herfurth, l.)

Von Karin Schupp

6.5.2023 - In den USA veröffentlicht der einflussreiche queere Medienverband GLAAD jährlich ausführliche Statistiken über LGBTQ-Inhalte in seinen Kinofilmen und Serien (wir berichteten), in Deutschland macht sich die Mediendatenbank QUEERmdb seit 2010 die Mühe, alle Spielfilme im deutschen Kino, Fernsehen, auf Video und bei Streamingdiensten auszuwerten. Dabei werden nicht nur die deutschen Eigenproduktionen gezählt - da wäre man schnell fertig! -, sondern auch die ausländischen Filme. Ergebnis: Es ist ein leichter Anstieg an LGBTQ-Charakteren und -Themen zu beobachten. 

Erstmals mehr lesbische als schwule Kino-Charaktere

Von den 636 Filmen, die letztes Jahr im Kino liefen hatten 30 eine queere Hauptthematik, womit sich der Anteil auf 4,7 % erhöhte (2021: 3,9 %). Wenn man alle Filme mit „relevanten LGBT-Charakteren“ dazu zählt, kommt man auf 61 Filme (9,6 %), 2021 waren es noch 7,9 %.  

Interessant: Erstmals zählte QUEERmdb mehr lesbische (5,4 %) als schwule (3,6 %) Charaktere.

Walt Disney Company Immerhin nicht tot: Mrs. Bowers (Dawn French) und Marie Van Schuyler (Jennifer Saunders) in „Tod auf dem Nil“

Einen echten Filmhit mit LGBTQ-Charakteren gab’s 2022 nicht, und nur zwei  Filme lockten über 500.000 Besucher:innen an: In Einfach mal was Schönes von und mit Karoline Herfurth ist die Schwester der heterosexuellen Hauptfigur mit einer Fußballerin zusammen, Teile des Films spielen auf ihrer Hochzeit. Und die Agatha Christie-Neuverfilmung Tod auf dem Nil macht Marie Van Schuyler und Mrs. Bowers zu einem heimlich lesbischen Paar.

 

Die 10 erfolgreichsten Filme mit LGBTQ-Charakteren 2022*

1. Einfach mal was Schönes (576.000 Kinobesucher:innen)

2. Tod auf dem Nil (525.000)

3. Scream 5 (342.500) – eine von mehreren Hauptfiguren ist lesbisch

4. Liebesdings (290.000) – Liebesklamotte mit Elyas M'Barek und diversen LGBTQ-Nebenfiguren (unsere Filmkritik)

4. Strange World (270.500) – Familie mit schwulem Sohn 

6. Everything Everywhere All at Once (223.000) – Oscar-Gewinner mit lesbischer Tochter in wichtiger Rolle

7. Whitney Houston: I Wanna Dance with Somebody (122.000) – Hauptfigur ist bisexuell, was aber wenig zur Sprache kommt

8. Marry Me (208.000) –  die beste Freundin der männlichen Hauptfigur ist lesbisch

9. Oskars Kleid (186.500) - Forian David Fitz als allein erziehender Vater, dessen Kind sich als trans entpuppt

10. Lightyear (172.000) – Buzz Lightyears Commanderin ist lesbisch

* Quelle: FFA; Kinobesuche bis Ende 2022 (bei einigen Filmen, die erst Ende 2022 anliefen, ist die Zahl inzwischen deutlich höher) - Hinweis: hier ergeben sich Unterschiede zur Queermdb-Auswertung

Salzgeber „Tove“: Biopic über die queere Künstlerin Tove Jansson (Alma Pöysti, r.), die mit den Trollfiguren Mumins weltberühmt wurde

Queere Filme ohne großes Publikum

Die zwei erfolgreichsten Filme mit lesbischer Hauptthematik 2022 waren das Biopic Tove (20.000 Kinobesucher:innen) und der französische Spielfilm Der Sommer mit Anaïs mit nur 6.500 verkauften Tickets. Die Dokumentationen Nelly & Nadine und Loving Highsmith schafften es sogar mit nur 5.500 bzw. 3.500 Zuschauer:innen in die queere Top Ten. Der erfolgreichste Schwulenfilm war die romantische Komödie Bros (52.000).

Damit zeigt sich bei den Filmen mit queeren Themen, dass es nicht allein auf die Quantität ankommt, denn viele davon sind kleine Produktionen, die nur in wenigen Kinos laufen, also von vornherein keine Chance auf ein größeres Publikum haben. Dass es auch anders geht, zeigt Oskars Kleid, der sicherlich von einem Florian David Fitz-Bonus profitierte.

 

Die 10 erfolgreichsten LGBTQ-Filme 2022

1. Oskars Kleid

2. Bros

3. Tove (unsere Filmkritik)

4. Der Sommer mit Anaïs - die junge Titelfigur verliebt sich zunächst in einen älteren Mann und dann in dessen Frau

5. Peter von Kant - schwule Variante des Fassbinder-Dramas „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“

6. Nelly & Nadine (unsere Filmkritik) - Doku über ein lebenslanges Frauenpaar, das sich in einem KZ ineinander verliebte

7. Rex Gildo - Der letzte Tanz - Biopic über den versteckt schwulen Schlagersänger

8. Loving Highscmith (unsere Filmkritik) - Doku über die lesbische Schriftstellerin Patricia Highsmith und ihre zahlreichen Geliebten

9. Moneyboys - chinesischer Film über einen schwulen Stricher

10. Charlatan - wahre Geschichte über einen schwulen Heiler in der Tschechoslowakei der 1950er Jahre

 

Fernsehen 2022: Weniger als 1 Prozent der Filme waren LGBTQ

Für das queere Publikum, das - vor allem in kleineren Städten - leer ausgeht, was LGBTQ-Kinofilme angeht, bleibt häufig nur das Couch-Kino. Aber bei Streaminganbietern, im Home-Entertainment und insbesondere im TV-Programm sieht's noch schlechter aus:

Nur 7,8 % der Direct-to-Video-Filme hatten 2022 relevante LGBTQ-Charaktere, nur 4,7% eine queere Hauptthematik.

Bei den zwei größten Streaminganbietern, Netflix und Amazon Prime, lag der Anteil der LGBTQ-Filme und -Serien sogar nur bei rund 2 %, in gut 10 % der Neuveröffentlichungen gab‘s LGBTQ-Charaktere.

Unterboten wird das nur vom klassischen analogen Fernsehen: Hier hatten laut QUEERmdb nur 0,7 % aller ausgestrahlten Filme eine queere Hauptthematik. In 3,7 % der Filme gab es relevante queere Figuren, im Primetime-Programm waren es aber nur 0,7 %.

Arte war letztes Jahr mit 19 LGBT-Filmen der mit Abstand queerfreundlichste Sender. Am anderen Ende der Skala stehen die großen Privatsender RTL, Sat.1 und ProSieben sowie das ZDF: Ihr Spielfilmangebot war 2022 komplett heterosexuell.

QUEERmdb ist keine wissenschaftliche oder kommerzielle Webseite, sondern ein privates Projekt. Die Zahlen wurden den Angaben der Verleiher, der Filmförderungsanstalt (FFA), Media Control und Comscore entnommen.

 

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