Filmtipp „Die schöne Rebellin“: Gianna Nannini - Wie alles begann (und beinahe zu früh endete)
„Die schöne Rebellin“ erzählt das Leben der feministischen Rock-Ikone Gianna Nannini bis zu einem entscheidenden Wendepunkt in ihrem Leben. Das Biopic räumt dabei auch der Lovestory mit ihrer heutigen Frau Carla viel Raum ein. Ab 2. Mai bei Netflix.
Von Karin Schupp
1.5.2024 - Sie war in den 80er Jahren einer der wenigen weiblichen Rockstars - cool, selbstbewusst, mit provokanten sexuellen Gesten, wie man sie bisher nur von Männern kannte, und alles in allem ein feministisches Role Model: Gianna Nannini. Dass ihr Hit „America“ von Masturbation handelt, wussten wir auch ohne Italienisch zu können (und grölten den Refrain begeistert mit), und auch ihre Bisexualität sprach sich auch ohne Social Media schnell rum.
Doch damals, als es noch kein Internet und kaum Klatschmedien gab, kannten wir Stars hauptsächlich von der Bühne und ihren offiziell kuratierten Auftritten – und so werden selbst langjährige Fans in Die schöne Rebellin so einiges Neues über die italienische Ikone erfahren, die heute mit ihrer Lebenspartnerin Carla und ihrer Tochter Penelope (13) in Mailand lebt.
Der Film endet 1983, als Nannini „geboren wurde“
Das Biopic mit Letizia Toni in der Hautprolle endet allerdings schon viel früher: im Jahr 1983, als „ich geboren wurde“, wie Nannini in einem Promointerview erklärt: „Mit dem Jahr 1983 identifiziere ich mich, weil in diesem Jahr viele Dinge geschehen sind, die einen großen Einfluss auf mein Leben hatten.“
Die schöne Rebellin lässt sich aber viel Zeit, bevor er diesen Wendepunkt ansteuert und blendet dabei immer wieder in Giannas Kindheit in der Toskana zurück. Dort sehen wir, dass sie schon immer einen starken Willen hatte und ihre Leidenschaft für Musik gegen den strengen Vater durchsetzte, gegen den sie schon früh rebellierte.
Keine Kompromisse für einen Plattenvertrag
Kaum erwachsen zieht Gianna mit ihrer Gitarre nach Mailand, um dort als professionelle Sängerin durchzustarten. Mit ihren Demobändern trifft sie durchaus auf Gefallen, ein k.o.-Kriterium ist jedoch, dass sie in Jeans und Karohemd statt im Kleidchen auftreten will und darauf besteht, ihre eigenen Songs zu singen. Die zudem Titel wie „Morta per autoprocurato aborto“ (=Tod durch selbst herbeigeführte Abtreibung) tragen.
Nach vielen Absagen ist die Plattenproduzentin Mara Maionchi (Andrea Delogu) die Erste, die ihr Potenzial erkennt und 1976 ihr Debütalbum produziert.
Carla bleibt zunächst eine On-Off-Affäre
Während Giannas Karriere ganz langsam ins Rollen kommt, treten zwei Lover:innen in ihr Leben: Zuerst Marc (Stefano Rossi Giordani), den sie „Irgendwer“ und später „Sechzehn“ nennt, und wenig später Carla (Selene Caramazza) – ja, genau: ihre spätere Frau. Ihr gibt sie den Namen „Elf“, weil sie sich an einem 11. April kennen lernten (wobei sich das italienische „Undici“ deutlich romantischer anhört). Das Happy End ist hier noch fern: Gianna will keine Beziehung, und so bleibt die attraktive Frisörin zu deren Leidwesen zunächst eine dauerhafte On-Off-Affäre.
Und dann kommen endlich der musikalische Erfolg und volle Hallen - und im Schlepptau: Stress, Erfolgsdruck, Drogen. Gianna, jetzt mit fieser Vokuhila-Frisur, zieht auf einen idyllischen Bauernhof bei Köln, um ihr viertes Album „Latin Lover“ aufzunehmen - und dort implodiert plötzlich ihr Leben...
Ein bisschen blutleer, aber mit Happy End
Der Absturz ist hart, und Gianna Nanninis Karriere hätte an dieser Stelle ihr jähes Ende finden können. Aber – das wissen wir ja von Anfang an - es gibt ein Happy End, an dem auch Carla einen gehörigen Anteil hat. Trotz der vielen Höhen und Tiefen, durch die wir die Sängerin begleiten, wirkt der Film dennoch ein bisschen blutleer. Regisseurin Cinzia TH Torrini hakt ordentlich alle Themen der Reihe nach ab, bleibt dabei aber merkwürdig an der Oberfläche. Alle Nebencharaktere kreisen zweidimensional und ohne Eigenleben um Gianna, über die man auch nur das erfährt, was für die nächsten Szenen wichtig ist.
Das Drehbuch ist zwar eigentlich ganz nah dran – es basiert auf Nanninis Memoiren von 2016 (nicht auf Deutsch erschienen) und die Musikerin war auch selbst an der Produktion beteiligt -, aber manchmal ist es ja gerade der kritische Blick von außen, der dabei hilft, einen Charakter stärker zu zeichnen und dadurch besser zu erklären.
Letitizia Toni überzeugt - und Nanninis Musik sowieso
An Letizia Toni, die eine verblüffende Ähnlichkeit mit der Hauptfigur hat, liegt's nicht: Sie spielt ihre Rolle überzeugend. Und Nanninis Songs, die immer wieder eingestreut werden (plus ihren Inspirationsmomenten) stehen ohnehin für sich.
Am Ende sehen wir die inzwischen 69-Jährige selbst auf der Bühne singen - und wäre an dieser Stelle ein Button zur Bestellung von Konzerttickets eingeblendet worden: ich hätte draufgeklickt.
Nanninis neues Album „Sei nell’Amica“ (nach ihrem Hit von 2006 heißt auch der Film im Original) ist bereits erschienen, Ende November startet ihre Tour, die sie nach Deutschland und die Schweiz führen wird (Termine).
Die schöne Rebellin, Italien 2024, Regie: Cinzia TH Torrini, mit Letizia Toni, Selene Caramazza u.a., 112 Min., Netflix, ab 2. Mai
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