Filmtipp „Marinette“: Das erste Biopic über einen lesbischen Fußballstar
Ehrgeiz, Emanzipationsgeschichte und Coming-out: Der Film „Marinette“ schildert, wie sich Frankreichs Fußballstar Marinette Pichon aus schwierigen Verhältnissen hochkämpft und zur Torjägerin des Nationalteams wird. Jetzt im Streaming, ab 5. Sept. auf DVD.
Von Karin Schupp
25.8.2024 - Megan Rapinoe, Marta, Sam Kerr - das sind offen lesbische Fußballstars, die nicht nur Sport-Nerds ein Begriff, sondern international bekannt sind. Erschreckenderweise ist es noch gar nicht lange her, dass das anders war: Frauenfußball war ein Nischenprodukt, nur wenige kannten die Namen der Nationalspielerinnen, selbst aus dem eigenen Land, vom Thema Homosexualität ganz zu schweigen: Noch bei der WM 2015 traten nur 18 offen lesbische Spielerinnen und Trainerinnen an (im letzten Jahr waren es 120).
Dass der Film Marinette mit seinem Untertitel „Kämpferin, Fußballerin, Legende“ überdeutlich darauf verweisen muss, um wen es sich bei der Titelfigur handelt, beweist genau das. Dabei war die Französin Marinette Pichon bis 2006 die Top-Torjägerin ihres Landes. Mit 81 Länderspieltreffern führte sie lange die Tor-Hitliste der Frauen und Männer an (erst 2020 wurde sie von Eugénie Le Sommer überholt), und sie war der erste französische Profi – ebenfalls Frauen wie Männer – mit einem Vertrag bei einem US-Club.
Fußballprofi? Hirngespinst!
Im Film spielt Garance Marillier die ehrgeizige Fußballerin, deren Leben alle Zutaten für ein gutes Biopic bietet. Geboren 1975 in einem nordostfranzösischen Dorf, wächst sie in ärmlichen Verhältnissen mit einem brutalen Säufervater (Alban Lenoir) auf und hat schon als kleines Kind nur eins im Sinn: Fußball. Dank der Unterstützung ihrer Mutter (Émilie Dequenne) und eines freundlichen Trainers (Fred Testot) darf sie bald im Jungsteam spielen und macht sich dort mit ihrer Torgefährlichkeit unersetzlich.
Dass Marinette nichts anderes als Fußball im Kopf hat und Profi werden will, erscheint in diesem Umfeld und dieser Zeit jedoch als Hirngespinst. Und als sie mit 16 nicht mehr bei den Jungen spielen darf, gibt es keinen Plan B für sie – bis die Trainerin (Sylvie Testud) des Frauenteams Saint-Memmie Olympique sie anheuert.
Mit 18 wird die torgefährliche Stürmerin in die Nationalelf berufen und muss sich gegen die fies mobbenden Stammkräfte durchsetzen. Und schließlich bekommt sie beim US-Frauenclub Philadelphia Charge den lang ersehnten Profi-Vertrag und wird auch dort Torschützenkönigin.
Lesbische Biografie mit doppeltem Happy End
Der Film, der auf Pichons Autobiografie basiert, schildert nicht nur Marinettes sportliche Karriere, sondern erzählt auch ihre Emanzipationsgeschichte vom scheuen Kind zur entschlossenen Frau, die ihren Vater hinter Gitter bringt und ihr Karriere-Ende 2006 mit heftiger Kritik am französischen Fußballverband verbindet.
Über den ganzen Film hinweg wird auch Marinettes lesbische Biografie gezeigt - von der heimlichen Teenie-Affäre im Dorf bis zu einer Beziehung mit Gewalterfahrung. In die Tiefe geht das leider nicht, aber immerhin gibt's ein doppeltes Happy End: Sie trifft ihre heutige Frau, die erfolgreiche Rollstuhlbasketballerin Ingrid Moatti, und steht in einer Pressekonferenz öffentlich zu ihrer Homosexualität (tatsächlich tat sie das erst drei Jahre nach ihrem Rücktritt).
Marillier drückt Marinettes Wut und Verletzlichkeit überzeugend aus
Die Regisseurin/ Drehbuchautorin Virginie Verrier erzählt all das ohne Melodramatik, sondern - im Gegenteil – eher nüchtern, fast schon wie eine Dokumentation. Dass sie dabei offensichtlich keinen Aspekt vergessen wollte, ist eine Schwäche des Films.
All zu schnell klappert der Film die Stationen von Marinettes Lebens ab, ohne dass wir in ihren Charakter so richtig eintauchen können. Wie verkraftete sie die permanenten Beleidigungen als Mädchen und Frau (und Lesbe) im Fußball? Wie wurde sie zur Vorkämpferin für faire Bezahlung und professionelle Trainingsbedingungen? Wie überwand sie ihre verinnerlichte Homophobie, über die sie später in Interviews sprach?
Da hilft es auch nicht, dass Garance Marillier die Wut und die Verletzlichkeit ihrer Rolle überzeugend ausdrückt – sie bekommt einfach nur selten die Zeit, länger in einer Situation zu verweilen.
Faszinierende Frauenfigur in einem männlich besetzen Genre
Dennoch: Verrier trägt mit ihrem Film ein Stück zur Bewahrung der Frauenfußball-Geschichte bei und besetzt damit ein Genre, das bisher fast ausschließlich Männern vorbehalten ist. In einer Zeit, in der Biopics über Sportlerinnen immer noch eine Rarität sind (selbst das Oscar-nominierte Drama King Richard von 2021 fokussierte sich auf den Vater von Venus und Serena Williams und nicht etwa auf die beiden Tennisstars!), ist der erste Spielfilm über einen lesbischen Fußballstar ein wichtiger Meilenstein - und Marinette Pichon ist eine faszinierende Kämpferin, Fußballerin und Legende, die ein Biopic und viele Zuschauer:innen verdient hat.
Marinette – Kämpferin, Fußballerin, Legende, F 2023, Regie/ Buch: Virginie Verrier, mit Gavance Marillier u.a., 93 min., jetzt bei Streamingdiensten und ab 5. Sept. auf DVD
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