Frauen, die auf Dachdeckerinnen stehen
Sex pur: Zwei Frauen begegnen sich und können ein Wochenende lang nicht mehr voneinander lassen. Der erotische Lesbenfilm “Below Her Mouth”, gedreht von einer komplett weiblichen Crew, läuft jetzt in der Queerfilmnacht und kommt bald ins Kino und auf DVD.
Von Karin Schupp
l-mag.de, 15.3.2017 - Dachdeckerin Dallas (Erika Linder) hat sich gerade von ihrer Freundin getrennt, Moderedakteurin Jasmine (Natalie Krill) hat sturmfreie Bude, weil ihr Verlobten verreist ist. Dallas ist eher nicht so der Beziehungstyp, Jasmine ist hetero. Glauben sie jedenfalls beide. Schon bei ihrer ersten Zufallsbegegnung treffen sich ihre Blicke, und auch wenn Jasmine sich anfangs gegen Dallas’ recht aufdringliche Baggerei wehrt, tut sie das doch so halbherzig, dass sie schnell im Bett landen. Und auf dem Tisch. Und am Kühlschrank. Und in der Badewanne…
Und dass aus der stürmischen Affäre auch mehr werden könnte, wird während einer kleinen Sexpause am Ufer des Ontariosees – der Film spielt in Toronto –, klar. Aber auch wenn Jasmine während dieses gemeinsamen Wochenendes keine Zeit für ihre Hochzeitsvorbereitungen findet: Sie ist, wie gesagt, mit einem Mann verlobt…
Die Kamera schwenkt nicht auf wehende Vorhänge um...
Below Her Mouth wird gerne mit Blau ist eine warme Farbe verglichen, weil er ebenfalls lange und explizite Sexszenen hat, ohne dass die Kamera auf wehende Vorhänge umschwenkt – und in beiden Fällen verließen Zuschauer deswegen die Premierenvorstellung. Aber hier enden auch schon die Gemeinsamkeiten. Denn im Gegensatz zum französischen Cannes-Gewinner hat Below Her Mouth keine nennenswerte Handlung, er spielt zudem im Wesentlichen an nur drei Tagen statt über Jahre hinweg und wurde – sein bestes Verkaufsargument! – von einer rein weiblichen Crew gedreht.
Sexszenen - mit weiblichem Blick gedreht
Den Vorwurf des “männlichen Blicks”, der dem Blau ist…-Regisseur gemacht wurde, muss er sich also nicht anhören. Nicht nur Drehbuch, Regie und Produktion, nein: alle Jobs vor und hinter der Kamera gingen an Frauen, der einzige Mann ist der Schauspieler, der Jasmines Verlobten spielt.
“Wir fühlten uns underrepräsentiert, was die weibliche Perspektive angeht”, sagte Regisseurin April Mullen zur Premiere beim Filmfestival in Toronto. “Was bedeutet Sex für uns? Was macht uns an? Und wie wird das auf der Leinwand dargestellt? Wenn jede wichtige Person [in der Crew] dem Film ihren kreativen, weiblichen Touch geben würde – wie würde das aussehen?”
Erotisch und authentisch inszeniert
Hier jedenfalls sieht das so aus, dass der Sex, erotisch und authentisch inszeniert, eine große Rolle spielt. “Filme haben normalerweise nur eine Sexszene (...), und es ist toll, mehrere zu haben", sagte Mullen gegenüber der lesbischen Webseite After Ellen, denn so könne sie “die Reise” des Paars zeigen, vom “Entdecken, dem Unbekannten” über “ruhige, intime Momente” bis hin zum “Rohen, Animalischen, wenn du jemanden nicht gehen lassen willst.”
Softbutch und High-Femme
Aber weiblicher Blick hin oder her: Die beiden Hauptdarstellerinnen und ihre Butch-Femme-Dynamik müssen der Zuschauerin schon gefallen, um den Film so richtig genießen zu können: Dallas, die Softbutch mit Werkzeuggürtel, die immer ihren Dildo parat hat, und Jasmine, die gestylte High-Femme, die im Bett eher die passive Rolle hat - einem männlichen Regisseur hätte man vielleicht vorgeworfen, dass ihm nur klassische Stereotypen eingefallen sind.
Natürlich kann man die cineastische Qualität kritisieren - die lesbische Schauspieldebütantin Erika Linder, im Hauptberuf Model, ist wohl genauso wenig eine Oscar-Kandidatin wie Natalie Krill (Wynonna Earp), und im Schlussdrittel enttäuscht der Film, indem er eher fade denn dramatisch auf sein völlig unvermitteltes Ende zusteuert - aber: Um all das geht’s ja nicht! Denn während es für Dallas und Jasmine mehr als nur Sex ist, ist Below Her Mouth für uns schlicht und einfach ein erotisches Vergnügen - nicht mehr, aber auch nicht weniger!
Below Her Mouth, Kanada 2016, Regie: April Mullen, Buch: Stephanie Fabrizi, mit Erika Linder, Natalie Krill u.a., 92 min., OmU – aktuell in der Queerfilmnacht in vielen deutschen Städten, Kinostart: 13. April 2017, ab Juni auch auf DVD
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