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Fußball-WM in Katar: „Wir raten allen davon ab, diese WM zu besuchen“

Wir sprachen mit dem LGBTQ-Beauftragten des Deutschen Fußballbunds Christian Rudolph über die WM in Katar und was er in dieser Hinsicht vom DFB erwartet, über Schwule und Lesben im Fußball und Homophobie in Stadien.

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Von Manuela Kay

23.10.2022 - Im Vorfeld der umstrittenen Fußballweltmeisterschaft der Männer in Katar (ab 20. Nov.) wiesen am vergangenen Freitag das Netzwerk Queere Fußball-Fanclubs und der FC Bayern-Fanclub Monaco Queers e.V. bei Kundgebungen in Berlin und München auf die Menschenrechtsverletzungen und die fehlende Rechte für LGBTQ, Frauen und Arbeitnehmer:innen in dem Ausrichterland hin.

Wir wollten wissen, wie die vom DFB eingerichtete „Zentrale Anlaufstelle für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt“, deren Träger der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) ist, zur WM steht. L-MAG-Verlegerin Manuela Kay sprach mit Ansprechpartner Christian Rudolph.

 

Wie kamst du zu dem Job? Sourct der DFB das Thema mit dir gewissermaßen aus?

Es war eine ganz zentrale Forderung aus der Community und von Initiativen wie den schwul-lesbischen Fanclubs, dass eine Stelle geschaffen wird, die von außen Druck machen und sich kritisch mit dem DFB auseinandersetzen kann. Man wollte eine Stelle, an der Vertrauen und Basiswissen bestehen, und kein vom DFB installiertes Feigenblatt.

Deine Arbeit konzentriert sich auf die Spielerinnen und Spieler, nicht aber auf die Fans?

Momentan bin ich für den gesamten Fußballbereich die einzige Ansprechperson, also auch für Landes- und Regionalverbände, für deren Beschäftigte sowie für alle Aktiven – Profis wie Nachwuchsabteilungen. Mit dem Netzwerk Queerer Football Fanclubs hatten wir letztens einen Austausch mit dem DFB-Präsidenten zu Katar, zu dem auch Communitymitglieder eingeladen waren.

Wo du Katar erwähnst – wie kann man da überhaupt positiv und mit gutem Gewissen drauf blicken?

Gar nicht. Der DFB hat dazu im Adidas-Trainingslager ein Panel organisiert, u. a. mit Thomas Hitzlsperger und mir. Wir konnten uns dort offen und kritisch äußern, auch gegenüber der Nationalmannschaft der Männer.

Welche Konsequenzen werden gezogen?Die WM wird ja so oder so stattfinden.

Ja, in Bezug auf Katar kann man wenig ändern. Aber man bekommt im Umgang mit dieser WM ein anderes Bewusstsein. Der Dialog ist wichtig und nicht, dass mantramäßig wiederholt wird, dass der Fußball dort der Motor für progressive Veränderungen sei, denn das stimmt einfach nicht.

Was macht man also konkret?

Ich gehe davon aus, dass sich der DFB, wie er es schon im Vorfeld getan hat, auch vor Ort klar positioniert.

Was heißt denn klar positionieren, was soll der DFB denn sagen?

Dass er sich klar äußert und klar benennt, dass die Menschenrechte in Katar nicht eingehalten werden. Bei der WM darf niemand ausgeschlossen werden und Verbandsmitarbeitende und Frauen müssen sicher an der WM teilhaben können.

Caro Kadatz Christian Rudolph ist auch Mitarbeiter des LSVD und Ansprechpartner für Vielfalt beim Berliner Fußball-Verband (BFV)

Geht es nur um die Aktiven und ihre Sicherheit während der WM? Müsste man Katar nicht generell als Austragungsort infrage stellen?

Ich kann nur darauf einwirken, dass der DFB aufhört, diese WM in ein positives Licht zu rücken. Wo der Fußball wirklich noch etwas verändern könnte, ist die Frauennationalmannschaft von Katar, die es de facto gar nicht mehr gibt. Aber nicht mal da sehen wir Unterstützungsansätze. Weder die WM noch andere Sportevents in Katar werden hier zu positiven Veränderungen führen.

Was rätst du den queeren Fans? Die WM in Katar besuchen und vor Ort rebellieren oder lieber boykottieren?

Hier vertreten wir alle die gleiche Haltung: Wir raten allen davon ab, diese WM zu besuchen und sie bestenfalls zu boykottieren.

Statistisch gesehen müsste es ja etliche teilnehmende schwule Spieler geben. Sollten die sich vor der WM outen, um das Thema zu lancieren?

Mir geht es darum, wie die Fußballnationalmannschaft in Katar auftritt und wie sie mit dieser WM umgeht. Das eine ist das sportliche Ereignis, das andere, wie es politisch genutzt wird. Letztendlich muss das jeder Spieler selbst entscheiden. Aber was rund um diese WM diskutiert wurde, ist alles eine Farce. Die Verbände, die die WM nach Katar vergeben haben, haben von Anfang an nicht richtig hingeschaut.

Noch mal zurück nach Deutschland. Mein Eindruck ist, dass sich die homophobe Stimmung im Stadion verschärft hat. Würdest du zustimmen, dass sich die Fronten verhärten und das Stadion eine Zone des frei entfalteten Hasses ist?

Diese Auseinandersetzung findet ja leider in fast jeder „Kurve“ statt. Aber es gibt auch einige wenige Ausnahmen. Ohne die Fans, die sich gegen Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und Homophobie engagieren, wären wir nicht so weit. Ich denke nicht, dass sich das verhärtet. Es gibt z. B. die Fußballfans gegen Homophobie, eine Kampagne, die aus Fanreihen kommt. Auch die QFF und das Netzwerk Frauen und Fußball haben in den letzten Jahren viel bewirkt.

Ist die Wahrscheinlichkeit, im Fußballstadion als queerer Mensch blöd angemacht zu werden, höher als anderswo?

Genauso wie auf der Straße. Es gibt natürlich Konstellationen und Vereine, da vermeidet man bestimmte Derbys oder Fahrten eh. Aber generell spiegelt das Stadion die Gesellschaft wider.

Viele sagen, im Frauenfußball sei alles offener. Aber ist es nicht eher umgekehrt: die anteilig viel mehr queeren Spielerinnen als in den Männervereinen versuchen krampfhaft, nicht lesbisch rüberzukommen, um das „Lesbenklischee“ auf jeden Fall zu vermeiden. Wie siehst du das?

Die Frauen haben sich viel erkämpft. Ich kenne noch Geschichten, da wurde Fußballerinnen abgeraten, Händchen zu halten oder sich zu küssen. Ich glaube, dass die Frauen das untereinander voneinander wissen und Homosexualität im Team offen gelebt werden kann. Aber in der Öffentlichkeit wird das selten thematisiert. Der Schritt, sein Privatleben öffentlich zu machen, muss jeder Person selbst überlassen sein. Ich finde es auch problematisch, wie in der Öffentlichkeit mit dem Privatleben und den Partnerschaften der Spieler und Spielerinnen umgegangen wird.

Queer zu sein ist doch, genau wie heterosexuell, an sich noch nichts Privates. Mit wem ich zusammen bin, kann ich ja immer noch aus der Öffentlichkeit raushalten.

Absolut. Aber ich persönlich hätte ein Problem damit, wenn über meine Sexualität und mein Privatleben öffentlich berichtet würde. Dennoch sollte es auch im Sport allen möglich sein, Familienfotos auf Instagram zu teilen.

Was genau ist das Ziel deiner Arbeit, wenn du jetzt mal fünf Jahre vorspulen könntest?

Mir ist wichtig, weiter aufzuklären, queere Menschen im Sport sichtbar zu machen, diskriminierende Barrieren abzubauen und jungen Menschen in Bezug auf ihren Körper und ihr Können das nötige Selbstbewusstsein mitzugeben.

 

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