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Homophobes Nachbarland: 90 „LGBTI-freie Zonen“ in Polen

Unter dem Schutz von Regierung und Kirche nimmt die Homophobie in Polen weiter zu, schon rund 90 Kommunen erklärten sich zu „LGBTI-Ideologie-freie Zonen“. Wie lebt es sich in dieser Atmosphäre? Wir haben mit zwei Betroffenen gesprochen.

Gregorz Zukowski/ CC-BY-NC

Von Jana Schulze

24.3.2020 - Polen hat die Grenzen wegen des Coronavirus dicht gemacht. Das bedeutet, dass auch jene Schwulen und Lesben im Nachbarland bleiben müssen, die sich seit Monaten dort nicht mehr zu Hause fühlen. Denn mittlerweile gibt es rund 90 Kommunen, die sich per Ratsbeschluss zur „LGBT-Ideologie-freien Zone“ erklärt haben.

Polens Botschafter rechtfertigt die homophoben Beschlüsse

Polens Botschafter in Deutschland, Andrzej Przylebski, begründet das kürzlich in einer offiziellen schriftlichen Erklärung so: „Man muss betonen, dass der Großteil der polnischen Bevölkerung katholischen Glaubens ist, was bedeutet, dass die LGBT-Ideologie für einen Teil dieser Glaubensbekenner nicht zu billigen ist. Eben in diesem Sinne muss man Beschlüsse von einigen Kommunen als Widerspruch gegen die LGBT-Ideologie erörtern. Ein Widerspruch gegen eine Ideologie, die manchmal brutal durchgesetzt wird, nicht gegen Menschen, die als Personen Schutz genießen. Dies ist auch vom christlichen Gebot der Nächstenliebe garantiert.“ Solche Beschlüsse hätten natürlich „nur einen symbolischen Charakter“ und würden „keinerlei 'LGBT-freie Zonen' schaffen“.

Seit den Parlamentswahlen im Oktober 2019 ist die Situation für die LGBTI-Gemeinschaft schlechter geworden: Damals hat es die konservative Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) geschafft, ihre absolute Mehrheit im Sejm (= Parlament) zu behalten, wenn auch nicht im Senat.

Katholische Kirche stützt Polens nationalistischen Anti-EU-Kurs

Ihr Chef, Jarosaw Kaczynski, hat es in den vergangenen Jahren im ehemaligen Musterland der EU geschafft, den Aufbruch Richtung Westen komplett zu stoppen und das Land auf nationalistischen Anti-EU-Kurs zu trimmen. Dabei wird er von der Kirche gestützt.

Kate-Ann Shaw, eine 24-jährige Transfrau aus der nordpolnischen Stadt Gdynia, arbeitet als Fahrdienstleiterin eines Taxiverbandes. „Ich lebe hier im sehr liberalen Teil Polens – hier hat die PiS die Wahlen schon 2015 verloren“, sagt sie im Interview mit L-Mag. „Die Leute hier interessieren sich nicht wirklich für mein Aussehen oder die Tatsache, dass ich mit meiner Frau in einer inoffiziellen Ehe lebe. Wir küssen uns in der Öffentlichkeit.“ Sie wisse, dass dies in ihrem Heimatland eine Ausnahmesituation sei. Mitarbeiter von Aktivistengruppen berichten immer wieder von Fällen, bei denen junge Schwule und Lesben auf der Straße verprügelt wurden.

„Wir haben als LGBTI keine Rechte“

In Polens Hauptstadt organisiert die 25-jährige Julia Maciocha als Vorsitzende der Pride-Organisation die alljährliche Warschauer Equality Parade: „Wir haben als LGBTI keine Rechte und die Situation ist im Moment ziemlich schrecklich“, sagt sie. Deshalb täten sich in Polens Hauptstadt alle Minderheitengruppen zusammen, die in Polen Gefahren ausgesetzt seien und diskriminiert würden.

Religiöse fundamentalistische Gruppen, vor allem die Nichtregierungsorganisationen wie Ordo Iuris und die PRO („Recht auf Leben“)-Stiftung hätten Kampagnen gestartet, erzählt Kate-Ann, „um die gesamte LGBTI-Gemeinschaft zu erniedrigen.“ Die berüchtigtste sei jene, bei der sie die Sexualerziehung verbieten wollten, indem sie Bilder von Homosexuellen verwendeten und deren Sex mit Pädophilie in Verbindung brachten.

Die Bevölkerung scheint die Regierungspolitik wenig zu kümmern

Das Ergebnis der letzten Parlamentswahl im Herbst in Polen zeigt: Es scheint die meisten Polen nicht zu kümmern, dass ihre Regierung das Verfassungsgericht außer Kraft gesetzt hat, Schulbücher für den Geschichtsunterricht umschreiben ließ und missliebige Journalisten mundtot gemacht hat.

„Linke Ideologie hat sich in den Jahren der kommunistischen Zeiten diskreditiert, und Demokratie hat noch keinen hohen Wert“, erklärt der Soziologe Piotr Kocyba von der TU Chemnitz im Stern-Interview die Lage.

„Kaszynski und seine Anhänger haben die Community nicht zerstört und werden sie auch nicht zerstören“, ist sich Kate-Ann sicher. „Die Zukunft sieht gut aus, aber wir haben noch einen sehr langen Weg vor uns, bis die Normalität für LGBTI in diesem Land erreicht ist.“ Die Menschen in Polen müssten darüber aufgeklärt werden, dass wir auch „ganz normale Jungs und Mädels“ sind. Und: Sie hofft auf die nächsten Präsidentschaftswahlen, wenn dann mit Robert Biedroń ein schwuler Kandidat kandidieren wird.

 

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