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Lesbenfeindliche Gewalt: Opfern wird oft die Schuld gegeben

Das Berliner Antigewaltprojekt L-Support registrierte für 2020 einen leichten Anstieg queer- und lesbenfeindlicher Gewalt. Viele Übergriffe gab es rund um lesbisch-queere Events wie dem Dyke*March. Die Dunkelziffer wird auf über 90 Prozent geschätzt.

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Von Franziska Schulteß

24.4.2021 - Anlässlich des Tages der lesbischen Sichtbarkeit (26. April) veröffentlichte L-Support die Zahlen zu den bei ihnen gemeldeten Fällen queer- und lesbenfeindlicher Gewalt. Für das Jahr 2020 wurde ein leichter Anstieg registriert, wie das Berliner Antigewaltprojekt für lesbische, bisexuelle und queere Frauen am Mittwoch in einer digitalen Pressekonferenz berichtete.

Insgesamt seien im vergangenen Jahr 39 Meldungen bei L-Support eingegangen – drei Fälle mehr als im Vorjahr. Bei 37 der Fälle habe es ein „klar erkennbares lesbenfeindliches Motiv“ gegeben. 33 fanden in Berlin statt, davon wurden 11 Fälle bei der Berliner Polizei angezeigt.

Auffällig viele Übergriffe ereigneten sich rund um lesbisch-queere Veranstaltungen wie dem Dyke* March Berlin oder dem CSD, viele auch im öffentlichen Nahverkehr.

Am häufigsten dokumentiert wurden Beleidigungen, Angespuckt-werden, abwertende Blicke und Gesten, seltener Verfolgung und körperliche Gewalt. Homophobe Beleidigungen gingen oft mit Sexismus einher, etwa sexualisierten Anmachsprüchen. Laut Einschätzung der Betroffenen waren die meisten Täter männlich.

Pandemie hat lesbisch-queeres Leben weiter eingeschränkt

Zwischen 2018 und 2019 war die Zunahme der Meldungen wesentlich markanter: von zehn auf über dreißig bei L-Support registrierten Fällen. Dass der Anstieg nun vergleichsweise gering ausfiel, könnte auf die Corona-Pandemie zurückzuführen sein, sagte Projektleiterin Sabine Beck auf der Pressekonferenz. „Lesbisch-queeres Leben ist noch viel unsichtbarer geworden als es sowieso schon war. Das bedeutet für uns, dass viele Betroffene den Weg zu uns nicht kennen.“

Insgesamt sei L-Support in den letzten Jahren jedoch bekannter geworden. Von Gewalt Betroffene melden sich tendenziell häufiger bei dem Projekt. Ob lesbenfeindliche Übergriffe de facto zugenommen haben, lässt sich aus den Zahlen deshalb schwer ablesen. Manche Betroffene melden jetzt erst Übergriffe, die sie bereits vor Jahren erlebt haben. So fanden von den 33 in 2020 gemeldeten Fällen mit Tatort Berlin nur 23 im vergangenen Jahr statt. Die weiteren zehn waren Nachmeldungen aus den Jahren 2011 bis 2019.

Gewalt geht von Vorurteilen aus

Eine weitere Besonderheit: Zum ersten Mal wandten sich 2020 auch heterosexuelle Frauen an L-Support. Lesbenfeindliche Gewalt begegnete ihnen beispielsweise dann, wenn sie mit einer Freundin Hand in Hand gingen und von Täter*innen als Lesben „gelesen“ wurden. Übergriffe haben eben vor allem mit denen zu tun, die die Gewalt ausüben, wie Sabine Beck auf der Pressekonferenz betonte. Gewalttaten gingen „immer von einem Vorurteil seitens der Täter*innen aus“ und von den Bildern, die diese „im Kopf haben“. Dennoch werde leider noch oft den Opfern die Schuld gegeben. Queeren Personen werde vermittelt, sie dürften im öffentlichen Raum nicht sichtbar sein, sich als Paar zum Beispiel nicht küssen oder Händchen halten, um Angriffen aus dem Weg zu gehen.

Auch „kleine“ Übergriffe beeinflussen das Leben von Betroffenen

L-Support schätzt die Dunkelziffer nicht erfasster Fälle auf über 90 Prozent. „Für viele lesbische oder bisexuelle Frauen sind Übergriffe Teil des Alltags“, beschreibt Sabine Beck. „Gewalt wird bagatellisiert. Viele denken, das war doch nur ein blöder Spruch.“ Auch die Auswirkung, die „kleine“ Übergriffe wie drohende Gesten auf das Leben von Betroffenen haben können, sei jedoch nicht zu unterschätzen. „Uns ist sehr wichtig, dafür zu sensibilisieren, dass das ernsthafte Gewalttaten sind, die auch Folgen haben sollten.“

L-Support fordert mehr Schutz vor Gewalt

Schutz vor lesben- und queerfeindlicher Gewalt müsse als gesamtgesellschaftliche Aufgabe anerkannt werden. L-Support fordert unter anderem bessere Sicherheitskonzepte für den öffentlichen Raum, eine Sensibilisierung von Sicherheitskräften, mehr Sichtbarkeit von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt und Kampagnen für Zivilcourage.

Betroffenen rät Sabine Beck, in bedrohlichen Momenten „auf das eigene Bauchgefühl zu hören“, möglichst deeskalierend zu wirken und sich so schnell wie möglich selbst aus der Situation herauszubringen. L-Support betreibt seit letztem Jahr eine anonyme online-Beratung, die über die Website zu erreichen ist, außerdem bietet das Projekt weiterhin persönliche und telefonische Beratungsgespräche an. Lesbische und bisexuelle Frauen, nicht-binäre, inter*, agender und trans* Personen können sich an L-Support wenden.

 

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