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Lesbisches Bauprojekt verliert gegen schwules Bauprojekt – und steht jetzt vor dem Aus

In Berlin verlor Deutschlands erstes Lesbenwohnprojekt ein bereits sicher geglaubtes Grundstück an einen schwulen Verein, der Einspruch gegen die Vergabe eingelegt hatte. Die Frage bleibt: Wo beginnt und endet die lesbisch-schwule Solidarität?

Annet Audehm Solidaritätsaktion beim CSD auf der Spree, Ende Juli in Berlin

Von Karin Schupp

24.9.18 - Nun ist es entschieden: Beim Streit eines lesbischen und eines schwulen Vereins um ein Baugrundstück in Berlin zogen die Lesben den Kürzeren. Die Schwulenberatung bekam den Zuschlag für einen Gebäudekomplex mit 69 Wohnungen und LGBTI- und kiezbezogenen Angeboten.

Damit steht das Lesbenwohnprojekt des Vereins Rad und Tat – Offene Initiative lesbischer Frauen e.V. in Berlin (RuT) endgültig vor dem Aus. „Frauen werden mal wieder auf ihren Platz verwiesen. Ein eindeutiges Signal für lesbische Teilhabe und Geschlechtergerechtigkeit in der Stadt ist vertan“, schrieb RuT-Geschäftsführerin Jutta Brambach heute in einer Stellungnahme.

Es geht dabei um Deutschlands oder sogar Europas erstes Wohnprojekt das sich überwiegend an ältere Lesben richten soll. Um diesen lange gehegten Plan - 80 barrierefreie und bezahlbare Wohnungen, zwei Pflege-WGs, ein Frauen- und ein Kiezcafé - endlich realisieren zu können, hatte sich RuT um ein Grundstück im Bezirk Schöneberg beworben und war damit in eine Konkurrenzsituation mit der Berliner Schwulenberatung geraten. Beide konnten auf eine hohe Nachfrage und lange Wartelisten verweisen.

Die Lesben bekamen das Grundstück - und verloren es wieder

Anfang 2018 wurde das Grundstück an RuT vergeben, doch die Freude weilte nur kurz: Die Schwulenberatung legte wegen eines Verfahrensfehlers Einspruch ein, erstritt damit eine neue Vergaberunde, und bekam jetzt - trotz einer Welle der Solidarität für das RuT - das Grundstück am Bahnhof Südkreuz zugesprochen.

„Überzeugend waren neben der vielfältigen sozialen Nutzungskomponente auch die hohe städtebauliche und architektonische Qualität des Konzeptes“, wird Birgit Möhring, Geschäftsführerin der Berliner Immobilienmanagement (BIM), ein Tochterunternehmen des Landes Berlin, von der Morgenpost zitiert. Was nun plötzlich gegen das Lesbenwohnhaus sprach, erklärte sie nicht.

Goliath vs. David

Mit ihrem juristischen Vorgehen hatte sich die Schwulenberatung in den letzten Monaten alles andere als beliebt gemacht. Immerhin betreibt sie bereits ein Mehrgenerationenhaus in Charlottenburg und den „Lebensort Vielfalt“ mit vier Wohngemeinschaften in Friedrichshain und ist mit 100 Mitarbeitern weitaus größer und besser ausgestattet als der Lesben-Verein mit seinen 2,75 Stellen.

Da half es auch nichts, dass Geschäftsführer Marcel de Groot versicherte, dass man sich nicht gegen RuT richte, sondern vielmehr das Land Berlin in der Pflicht sehe, beiden Projekten ein Grundstück zu geben. Klar ist aber auch: Die Schwulenberatung fühlte sich unfair behandelt, da sie im Laufe des Vergabeverfahrens aus unklaren Gründen von der ersten an die zweite Stelle gerutscht sei.

Dem kleineren Projekt solidarisch den Vortritt zu lassen, kam jedenfalls nicht in Frage: „Wir sind eineinhalb Jahre den Gang der Bewerbung gegangen und haben fast 100.000 Euro investiert“, erklärte Vorstandsmitglied Georg Härpfer im Mai gegenüber dem Tagesspiegel.

Umgekehrt wäre es wohl anders gelaufen: RuT hätte aufgegeben und auf juristische Mittel verzichtet, wie Jutta Brambach gegenüber dem queeren Stadtmagazin Siegessäule (unsere Schwesterzeitschrift) versicherte. „Und wir hätten auch die Anwälte dafür nicht bezahlen können.“

Viel Unterstützung aus der Berliner LGBT-Szene

Die Solidarität der Szene war um so größer. Ende Mai besetzten AktivistInnen, darunter auch die lesbische Grünen-Abgeordnete Anja Kofbinger und Manuela Kay, L-MAG-Chefin und Mitglied des Kuratoriums des RuT-Projekts, symbolisch die Schwulenberatung und forderten: „Ein Haus für Lesben jetzt!“

Aktionen gab es auch beim Dyke*March und beim „CSD auf der Spree“, wo das neue Bündnis Summer of Queerfulness (wir berichteten) unter anderem mit einem großen Transparent (siehe Foto oben) für das Wohnprojekt trommelte. Über 60 Verbände, Projekte, Parteien, Unternehmen und Privatleute solidarisierten sich öffentlich, übergaben Spenden und ließen sich während des lesbisch-schwulen Stadtfests am RuT-Stand bei einem gemeinsamen Foto-Shooting ablichten.

Und eine private Initiative, die Gruppe „Travestie für Deutschland“, sammelte in einer Online-Petition, die sich an Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller richtet, inzwischen über 17.000 Unterschriften.

RuT/ FacebookAuch L-MAG gehört zu den UnterstützerInnen des RuT-Wohnprojekts

Teurer Immobilienmarkt, intransparentes Vergabeverfahren

RuT arbeitet schon seit 2009 an der Umsetzung eines inklusiven generationenübergreifenden Wohnprojekt. Bereits 2014 musste die Initiative einen Rückschlag einstecken, als sie ein bereits sicher geglaubtes Grundstück in letzter Minute doch nicht bekam. Der Bauplatz am Südkreuz sei, so Brambach, ihre letzte Chance gewesen.

Nicht nur der enge und teure Immobilienmarkt macht(e) es dem kleinen Projekt schwer, sondern auch das Vergabeverfahren, das im Vorfeld von beiden Seiten kritisiert wurde: Zwar war festgeschrieben, dass die Zielgruppe LGBTI sein muss nicht der Meistbietende, sondern der Bewerber mit dem besten Nutzungs- und Bebauungskonzept den Zuschlag erhalten sollte.

Aber das Verfahren sei für soziale Träger teuer und treibe sie in eine knallharte Investorenkonkurrenz, zudem sei es intransparent und lasse eine "Fachjury" aus Vertretern von Senatsverwaltungen und Bezirksamt nach schwammigen Kriterien entscheiden. Die Förderung lesbischer Sichtbarkeit, die sich die rot-rot-grüne Regierung in den Koalitionsvertrag geschrieben hat, gehört jedenfalls offensichtlich nicht dazu.

L-MAG und das Berliner Stadtmagazin Siegessäule, die beide im Verlag Special Media SDL erscheinen, sind Medienpartnerinnen des RuT-Wohnprojekts; die Siegessäule war zuvor auch Medienpartnerin des ersten Wohnprojekts „Lebensort Vielfalt“ der Schwulenberatung.

 

Weiterlesen: "Solidarität in der LGBT-Community fühlt sich gut an - einfach mal ausprobieren" - Kommentar zum Streit um das Bauprojekt von L-MAG-Chefredakteurin Manuela Kay

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