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LGBTI+-Gleichstellung zu drei Vierteln erreicht - einige Bundesländer hinken hinterher

Die OECD hat sich angeschaut, wie viele LGBTI+-Menschen in Deutschland leben, wie hoch die gesellschaftliche Akzeptanz ist und was die Politik noch tun kann. Auffällig ist, dass Bundesländer wie Sachsen und Bayern der Entwicklung hinterher hinken.

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22.3.2023, red - Erstmals hat sich die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) die Lebensrealität von LGBTQI+-Personen in Deutschland und den aktuellen Stand der rechtlichen Gleichstellung und Inklusion angeschaut. Dabei hat die internationale Organisation auf Basis unterschiedlicher Befragungen und Studien auch deutliche Unterschiede zwischen den Bundesländern festgestellt.

11% der Deutschen sind nicht-heterosexuell

11% der Deutschen identifizieren sich als nicht-heterosexuell (lesbisch, schwul, bisexuell und weitere Identitäten wie queer und pansexuell), 3% als „non-cisgender“, also transgender, nichtbinär oder genderfluid (Quelle: Ipsos). Hier merkt der Bericht an, dass sich Jüngere weitaus häufiger diesen Identitäten zuordnen als Ältere, was vor allem als gewachsene Offenheit der jüngeren Generation interpretiert wird.

Queers akzeptierter als Trans und Nichtbinäre

Die Akzeptanz von homo-, bisexuellen und queeren Menschen hat sich deutlich verbessert. Zwei Drittel der Deutschen fühlen sich „im Umgang mit nicht-heterosexuellen Menschen voll und ganz wohl“ – 2009 waren es nur 41%.

Fast drei Viertel haben/ hätten kein Problem mit nicht-heterosexuellen Kolleg:innen (2019: 47%), nicht ganz so akzeptierend sind sie, wenn’s um ihre eigene Familie geht: Nur 59 % stehen einer LGB-Schwiegersohn oder -Schwiegertochter offen gegenüber (2009: 36%; LGB = lesbisch, schwul, bi).

Noch mehr Distanz zeigen sie gegenüber trans Personen, auch wenn auch hier die Akzeptanzwerte stiegen. 50% erklären, keinerlei Berührungsängste zu haben (2019: 31%), aber nur 45% würden ohne Zögern einen trans Schwiegersohn/ -tochter in den Familienkreis aufnehmen (2019: 23%).

Akzeptanz in Sachsen am geringsten

In Berlin erleben nicht-heterosexuelle Menschen die höchste Akzeptanz, gefolgt von Bremen und Schleswig-Holstein, am geringsten ist sie in Sachsen, auf dem vorletzten Platz liegt Sachsen-Anhalt. 

In Sachsen fühlen sich die Einwohner:innen auch am unwohlsten im Umgang mit trans und nichtbinären Menschen, während die Bremer:innen und Schleswig-Holsteiner:innen am offensten dafür sind.

Auch wenn auch Rheinland-Pfalz und Hessen hintere Plätze belegen, zeigt sich ein klarer Ost-West-Unterschied: In den neuen Bundesländern ist die Akzeptanz um durchschnittlich 7 Prozentpunkte (Nicht-Heterosexuelle) bzw. 5 Prozentpunkte (Nicht-Cisgender) höher.

Viele LGBTI+ haben Diskriminierung und Gewalt erlebt

Diskriminierung und Gewalt gegen LGBTI+ ist traurige Realität. 41% der LGB-Befragten und 66% der trans und intersex Personen gaben in einer Studie von 2019 an, sich in Deutschland diskriminiert zu fühlen. Die Werte liegen im EU-OECD-Vergleich über dem Durchschnitt.

26% der LGB und 35% der trans/ intersex Befragten berichteten sogar von Gewalterfahrungen oder der Androhung von Gewalt innerhalb der letzten fünf Jahre.

Geringeres Wohlbefinden als Heteros

Insofern ist es wenig überraschend, dass die Lebenszufriedenheit von LGBTI+ in Deutschland um 10% geringer ist als die der Allgemeinbevölkerung (Stand: Ende der 2010er Jahre). In diesem Zusammenhang weist der Bericht darauf hin, dass LGBTI+ aufgrund ihrer Stigmatisierung auch eher an psychischen und mentalen Erkrankungen wie Schlafstörungen, Niedergeschlagenheit bis hin zu Depressionen und Burnout leiden.

Das fehlt noch zur rechtlichen Gleichstellung

Laut OECD-Bericht hat Deutschland über drei Viertel des Wegs zur vollständigen Gleichstellung sexueller und geschlechtlicher Minderheiten erreicht – eine positive Entwicklung, von der alle profitieren: Zahlen belegen, dass diese Maßnahmen eine höhere Akzeptanz von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten nach sich ziehen und die wirtschaftliche Entwicklung verbessern.

Offen sind jedoch noch diese Punkte:

- Ergänzung von Artikel 3 im Grundgesetz, um auch die sexuelle Identität vor Diskriminierung zu schützen

- Schließung der juristischen Lücken im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), um sexuelle und geschlechtliche Minderheiten in vollem Umfang vor Diskriminierung zu schützen

- Lesbische Paare, die zusammen ein Kind bekommen, sollten automatisch als gemeinsame Eltern anerkannt werden

- Die rechtliche Anerkennung des Geschlechts sollte auf Selbstbestimmung und nicht auf der Bestätigung durch Dritte basieren

- Trans Menschen, die ihren Vornamen und Personenstand rechtlich ändern lassen, sollten in der Geburtsurkunde ihres Kindes mit ihrem neuen Vornamen und Geschlecht genannt werden.

Die meisten Bundesländer sind nicht aktiv genug

Die Bundesländer haben zwar nur wenige Möglichkeiten, die Gleichstellung von LGBTI+ durch eigene Gesetze zu verbessern, können aber auf anderem Weg aktiv werden:

1. Sie können Gesetzesinitiativen in den Bundesrat einbringen, um LGBTI+-inklusive Gesetze auf Bundesebene anzustoßen

2. Sie können in ihren Landtagen Gesetze verabschieden, um LGBTI+-Personen vor Diskriminierung durch staatliche Stellen zu schützen.

Hier, so kritisiert die OECD-Studie, passiert zu wenig. In den vergangenen zwanzig Jahren wurden nur 10 Gesetzesinitiativen in den Bundesrat eingebracht, um die Gleichstellung von LGBTI+ auf Bundesebene zu fördern.

Besonders aktiv waren hier Berlin, Brandenburg und Bremen, während Bayern (das als einziges Bundesland auch keinen Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie hat) und Sachsen an keiner einzigen Initiative beteiligt waren und weitere sieben Bundesländer nur jeweils an einer (Baden-Württemberg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Saarland, Sachsen-Anhalt).

Berlin ist bisher das einzige Bundesland, das seit 2020 mit einem eigenen Antidiskriminierungsgesetz zum Schutz von - unter anderem - LGBTI+-Menschen die Lücke im Bundesgesetz schließt.

Was kann Deutschland noch tun?

Der OECD-Bericht hält fest, dass die deutsche Politik sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene viel für die Gleichstellung von LGBTI+ getan hat, etwa in Form von Aktionsplänen (Anm.: In dieser Woche fand die Auftaktveranstaltung zum Aktionsplan „Queer Leben“ der Bundesregierung statt).

Hier macht die OECD folgende Vorschläge zur Verbesserung der Inklusion:

- Niedrigschwellige rechtliche und psychosoziale Unterstützung für LGBTI+-Opfer von Diskriminierung und Gewalt: Mehr Einrichtungen (bisher nur in 12 Bundesländern), mehr Werbung dafür

- Polizei: Einrichtung von LGBTI+-Einheiten, Ernennung von LGBTI+-Verbindungsbeamt:innen

- Sicherheit von LGBTI+-Asylbewerber:innenn in Aufnahmeeinrichtungen erhöhen: Ergänzung von Schutzplänen, detaillierte Vorgaben für die Betreiber, regelmäßige Kontrollen durch eine unabhängige Stelle

- Bildung: Umfragen zum Schulklima, um Schulen für die Themen Homo- und Transphobie zu sensibilisieren und sie zu einer LGBTI+-inklusiven Ausbildung zu ermutigen

- Beruf: Schulung öffentlicher und privater Arbeitgeber:innen zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz

- Medizin/ Pflege: Stärkere LGBT+-inklusive Gestaltung der Lehrpläne für die Ausbildung von Pflegepersonal und Ärzt:innen, Schulung von Personal im Umgang mit LGBTI+-Patient:innen

Die OECD-Studie „The Road to LGBTI+ Inclusion in Germany“ steht hier (in englischer Sprache, kostenlos)

 

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