Mein Transsohn, meine lesbische Mutter und ich
Ab 8. Dez. im Kino: Die Dramedy “Alle Farben des Lebens” erzählt von einem Haushalt mit lesbischer Oma (gespielt von Susan Sarandon), Hetero-Mama und Transsohn - und dessen Wunsch, den nächsten Schritt seiner Transition zu beginnen.
Von Karin Schupp
l-mag.de, 7.12.2016 - Eigentlich geht es nur um zwei Unterschriften. Ray (Elle Fanning) weiß schon lange, dass er kein Mädchen ist, und möchte endlich mit der ersehnten Testosteronbehandlung beginnen. Als 16-Jähriger braucht er dafür aber die schriftliche Erlaubnis seiner Eltern. Das sieht nach keinem größeren Problem aus, wenn man ihn mit seiner Mutter Maggie (Naomi Watts) und seinen Omas, Dolly (Susan Sarandon) und ihrer langjährigen Lebensgefährtin Honey (Linda Emond), so einträchtig im Arztzimmer sitzen sieht. Ray hat sein Trans-Coming Out schließlich schon seit Jahren hinter sich und hätte es mit seiner liberalen New Yorker Regenbogenfamilie kaum besser treffen können.
"Wieso kannst du nicht einfach lesbisch sein?", fragt Oma Dolly
Zu Hause im kuschelig verkramten Künstlerinnenhaushalt kommt dann aber doch zu Tage, wie brüchig die Akzeptanz ist. Immer wieder rutscht den dreien ein “sie” oder ein “good girl” raus, und vor allem die lesbische Oldschool-Feministin Dolly will nicht verstehen, wieso Ray “nicht einfach eine normale Lesbe sein” kann. Und Maggie, die eigentlich längst im Boot war, legt das zunehmend zerknitterte Formular ein ums andere Mal wieder aus der Hand, weil sie damit hadert, ihre – vermeintliche – Tochter endgültig zu verlieren, und befürchtet, dass Ray diesen Schritt einnmal bereuen könnte.
Ihr Zögern bleibt nicht die einzige Hürde: Auch Rays völlig ahnungsloser Vater (Tate Donovan) muss unterschreiben, und zu ihm haben die beiden seit über zehn Jahren keinen Kontakt mehr.
Der Titel Alle Farben des Lebens klingt zwar so belanglos wie aus dem ZDF-Movietitel-Baukasten zusammengewürfelt, führt aber immerhin nicht auf die falsche Fährte wie About Ray, wie der Film im Original heißt. Denn Ray, seine Transition und seine Gefühlswelt stehen keineswegs im Mittelpunkt. Wir sehen ihn vor allem als pubertätstypisch launischen Sohn und Enkel, während sein Alltag und die Transphobie außerhalb seiner Familie nur in kurzen Szenen umrissen und durch Ausschnitte aus seinem – ein bisschen zu perfekten – Videotagebuch ergänzt werden.
Dolly und Honey wie eine lesbische Version der Muppetshow-Opas
Genauso viel Raum bekommen auch Maggie und die unnötig aufgeblasene Beziehungsaufarbeitung mit ihrem Ex, die die zweite Filmhälfte dominiert. Und über allem thronen Dolly und Honey, die wie eine lesbische Version der Muppetshow-Opas ihre scharfzüngigen Kommentare abfeuern und damit für humorvoll-entlastende Momente sorgen.
Dass der Film Verständnis für alle Seiten zeigt, sorgte in den USA für Kritik von Trans*-Seite – auch wenn am Ende alle erwachsenen Charaktere eine Entwicklung durchleben. Wer sich regelmäßig transphobe Sprüche anhören muss, findet es eben nicht witzig, wenn Dodo ihre Intoleranz nonchalant mit “Lesbisch zu sein, bedeutet nicht automatisch, dass du keine Vorurteile hast, sondern nur, dass du glücklich bist” kommentiert.
Kritik am Casting einer Schauspielerin für die Trans*-Rolle
Der größte Vorwurf an die Regisseurin und Co-Drehbuchautorin Gaby Dellal ist aber, dass sie Ray nicht mit einem Trans*schauspieler besetzte. Elle Fanning (Maleficent) macht ihre Sache zwar großartig, ihr Casting unterstützt aber nun mal das weit verbreitete Missverständnis, dass ein Trans*mann “eigentlich weiblich” ist. Und wie zum Beweis erklärte Dellal gegenüber der US-Webseite Refinery21 völlig unbedarft, dass die Figur eben “noch ein Mädchen” sei, und freute sich, dass sie mit Fanning “keine blondere, femininere Schauspielerin hätte wählen können. Und genau das interessiert mich!”
Nein, die Britin hat weder Aufklärungsanspruch noch Sendungsbewusstsein. Sie drehte eine hochkarätig besetzte, emotionale Familie-Dramedy zu einem aktuellen Thema, auf das sie durch Zufall stieß (zuvor war die Rolle als lesbisch angelegt). Wer auf einen humorvollen Mainstream-Film hofft, der eine Transition authentisch und nachvollziehbar miterleben lässt: Der muss noch gedreht werden.
Alle Farben des Lebens (USA, 2015), Regie: Gaby Dellal, Buch: Nikole Beckwith/ Gaby Dellal, mit Elle Fanning, Susan Sarandon, Naomi Watts, Linda Emond u.a., 87 min., ab 8. Dez. im Kino
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