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Miniserie „Eldorado KaDeWe“: Regenbogenfahnen in den (gar nicht so) Goldenen Zwanzigern

So lesbisch war eine deutsche Primetime-Serie noch nie: Im Mittelpunkt der ARD-Miniserie „Eldorado KaDeWe“ steht ein Frauenpaar im Berlin der Weimarer Republik. Ab 20. Dez. in der Mediathek, am 27. Dez. im Ersten.

Dávid Lukácz/ ARD Degeto/ Constantin/ Ufa Fritzi (Lia von Blarer, l.) und Hedi (Valerie Stoll)

Von Karin Schupp

19.12.2021 - Es sind noch keine zehn Minuten vergangen, da ist es um Fritzi (Lia von Blarer) und Hedi (Valerie Stoll) schon geschehen: Die Tochter des Kaufhausbesitzers und die Verkäuferin aus einfachsten Verhältnissen begegnen sich in der Damenoberbekleidungs-Abteilung des KaDeWe zum ersten Mal– und wer hier noch ganz unschuldig an ein rein freundschaftliches Interesse glaubt, wird kurz darauf durch eine erotische, lesbische Fantasie eines Besseren belehrt.

Ja, die Regisseurin und Drehbuchautorin Julia von Heinz (Und morgen die ganze Welt) lässt von Anfang an keinen Zweifel daran, dass ihr Weihnachtsmehrteiler keine heimelige Familiensaga vor opulenter Historienkulisse und der typischen, heterosexuellen Frau-zwischen-zwei-Männern-Lovestory ist.

Zwar ist die Story um das berühmte Berliner „Kaufhaus des Westens“ ein klassischer Stoff - es gerät in der Weltwirtschaftskrise der 1920er Jahre in wirtschaftlichen Nöte, und die jüdische Eignerfamilie erlebt zunehmend den Gegenwind der erstarkenden NSDAP (am Ende steht die Enteignung) - aber allein die Idee, ein Frauenpaar in den Mittelpunkt zu stellen, ist ja fürs deutsche Fernsehen schon revolutionär.

Leidenschaftlicher Sex und lesbische Freundinnen

Von Heinz und ihre queere Ko-Autorin Sabine Steyer-Violet belassen es aber nicht etwa bei einer braven Liebe, die bald dezent in den Hintergrund tritt und nur noch von der geneigten lesbischen Zuschauerin erinnert wird. Die schöngeistige, emanzipierte Fritzi, die gerne Herrenkleidung trägt, und die gewitzte Hedi, die Männern auch mal ihre Brüste zeigt, um Butter oder Zigaretten zu organisieren, dürfen leidenschaftlichen Sex haben und bekommen – selten genug in Filmen und Serien - einen lesbischen Freundinnenkreis, mit dem sie im queeren Club „Eldorado“ wild feiern. So konsequent lesbisch war eine deutsche Primetime-Serie noch nie! (Was vielleicht auch der Grund dafür ist, dass alle sechs Folgen am 27. Dez. am Stück gesendet werden, anstatt die erste Hälfte, wie ursprünglich geplant, am 1. Weihnachtsfeiertag auszustrahlen).

Dávid Lukácz/ ARD Degeto/ Constantin/ Ufa Mit Tattoos und modernem Look eher nicht die typische 20er-Jahre-Lesbe: Fanny (Lana Cooper, r.) mit ihren Freundinnen

„Gegenwartskonzept“ mit Regenbogenfahnen

Die Clique um die Fotografin Fanny (gespielt von der queeren Schauspielerin Lana Cooper), die die Lesbenzeitschrift „Die Freundin“ herausgibt (gab's wirklich!) und sich auch mal bei einer Sexparty vergnügt, würde definitiv auch heute noch als cool gelten. Und Fanny sieht tatsächlich auch sehr heutig aus, ebenso wie die große Regenbogenfahne am Club-Eingang, Graffiti an den Häuserwänden und moderne Fahrzeuge im Hintergrund immer wieder das heutige Berlin aufblitzen lassen.

„Gegenwartskonzept“ nennt von Heinz das im Begleitmaterial: „Ich wollte einen Bogen schlagen zwischen damals und heute. So vieles ist noch immer aktuell. Frauenrechte, LGBTQ-Rechte, Obdachlosigkeit, Wohnungsmangel in Berlin, eine fragile Demokratie.“ Vor allem bei den Dreharbeiten im homophoben Ungarn, dem zweiten Drehort, sei das spürbar gewesen. „Auch im Team gab es Konflikte rund um dieses Thema, die sich verstärkten, als das EM-Spiel zwischen Deutschland und Ungarn ausgetragen wurde und die Allianz-Arena nicht in Regenbogenfarben leuchten durfte“, so von Heinz. „Diese Aktualität mitzuerleben war schmerzlich, hat uns aber vor allem von der Wichtigkeit dessen, was wir drehen, überzeugt.“

Konversionstherapie und Überlebenskampf

Fritzis und Hedis Liebesgeschichte ist natürlich nicht nur rosa Zuckerwatte mit Glitter: Fritzi wird zur Konversionstherapie bei einer schranklesbischen Psychiaterin geschickt, und Hedi kann es sich finanziell eigentlich nicht leisten, ihren Verlobten Rüdiger (Tonio Schneider) in den Wind zu schießen.

Dávid Lukácz/ ARD Degeto/ Constantin/ Ufa Hedi (l.) und Fritzi im Club Eldorado - angemessen im Hintergrund: Georg und Harry (2.u.3.v.l.)

Und auch jenseits dessen gibt’s Probleme: Fritzis Eltern wollen ihr partout keine berufliche Verantwortung im KaDeWe geben, während Hedi buchstäblich um ihr Überleben und das ihrer Schwester Mücke (Neele Buchholz), die das Down-Syndrom hat, kämpfen muss. (Das Problem des Klassen-Unterschieds zwischen Fritzi und Hedi wird nonchalant ignoriert.)

An den männlichen Hauptfiguren lässt sich nicht andocken

Dagegen verblassen die zwei männlichen Hautpfiguren deutlich: An Fritzis großspurigem Bruder Harry (Joel Basman), einem traumatisierten Kriegsheimkehrer, der breitbeinig und talentlos auf dem Posten des Juniorchefs sitzt, lieber jedoch rauschende Drogen-Partys feiert und S/M-Sex mit der Bordellbesitzerin Erica (Christine Grant) hat, lässt sich nur schwerlich andocken.

Und Chef-Buchhalter Georg (Damian Thüne) ist all zu brav, als dass sich mit ihm viel erzählen ließe. Seine Freundschaft mit Harry bleibt eine reine Behauptung, und die Beziehung mit seiner Sekretärin Elisabeth (gespielt von der pansexuellen Schauspielerin Bineta Hansen – unser Interview) ist einfach irgendwann da.

Die recht schmalspurige Handlung und selbst die mitunter hölzernen, bühnenhaften Dialoge verzeiht man jedoch der Miniserie - dank Hedi, Fritzi und ihren lesbischen Freundinnen! Ein echter Traum aber wäre ein Spinoff rund um Fannys Lesbenclique – da sehe ich ein neues 20er Jahre-The L Word am Horizont! Aber bis dahin: Eldorado KaDeWe gucken!

Eldorado KaDeWe, Regie: Julia von Heinz, Buch: Julia von Heinz, Sabine Steyer-Violet u.a., mit Lia von Blarer, Valerie Stoll, Lana Cooper, Joel Basman, Damian Thüne u.a., alle 6 Folgen am 27. Dez., ab 20: 15 Uhr im Ersten oder ab 20. Dezember in der ARD-Mediathek

 

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