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Nach der Explosion: Hilfe für LGBTI* im Libanon dringend gesucht

Nach der verheerenden Explosion in Beirut sprachen wir mit dem libanesischen queeren Aktivisten und Filmemacher Robert Moussa über die Situation vor Ort und die politische Entwicklung im Land.

Helem„Wir bleiben!“ verkündet die LGBTIQ-Organisation Helem in Beirut

Von Franziska Schulteß

16.8.2020 - Am 4. August explodierten 2750 Tonnen Ammoniumnitrat in einer Halle im Hafen von Beirut und zerstörten große Teile der Stadt. Laut aktuellen Berichten ist die Zahl der Toten mittlerweile auf über 170 gestiegen, mindestens 6000 weitere Personen wurden verletzt, Hunderttausende verloren ihr Zuhause.

Robert Moussa lebt in Berlin. Im letzten Jahr hat er hier das Soura Film Fest ins Leben gerufen, Berlins erstes Festival für queeres Kino aus dem Mittleren Osten und Nordafrika, das im Oktober in die zweite Runde geht – präsentiert von unserem Schwestermagazin Siegessäule.

Robert, wie ist die Situation in Beirut im Moment?

Ich habe dort selbst Familie – es ist verrückt. Eine solche Katastrophe hat es in der modernen Geschichte des Libanon noch nicht gegeben. Die Menschen stehen unter Schock. Viele haben ihre Häuser und geliebte Personen verloren. Sie versuchen nun, die Überreste ihrer Habseligkeiten zusammen zu sammeln.

Wie geht es speziell LGBTI* vor Ort jetzt?

Alle sind betroffen, aber die queere Community als Minderheit natürlich noch mal mehr. Libanon ist bis zu einem gewissen Grad ein offenes Land, dennoch gilt es z.B. noch als ein Tabu, als homosexuelles Paar in der Öffentlichkeit Händchen zu halten. Es gibt viele Politiker, die sich gegen Organisationen wie Helem aussprechen, eine NGO die sich für die Rechte von LGBTI* einsetzt. Unsere Pride vor zwei Jahren wurde von der Polizei gestört und der Veranstalter verhaftet, ein Freund von mir, der danach ein paar Monate im Gefängnis saß. Bevor die Explosion passierte, hatten wir außerdem bereits eine Wirtschaftskrise mit Inflation. Dann kam Covid-19 und nun auch noch diese Zerstörung. Die Drag-Community etwa lebte von Auftritten in Bars oder Clubs. Im Zentrum von Beirut ist all das weg, die gesamte Infrastruktur.

Wie ist es für dich, hier in Berlin zu sein, während das alles passiert?

Es ist schrecklich. Alle aus dem Libanon, mit denen ich gesprochen habe, die in Berlin oder in anderen europäischen Städten leben, haben gesagt, dass sie sich sehr hilflos und leer fühlen. Wenn man vor Ort ist, kann man die eigene Wut zumindest kanalisieren, indem man die Straßen von den Resten der Explosion säubert oder in den Krankenstationen aushilft. Wenn ich aber mit meinen Leuten im Libanon telefoniere, weiß ich oft nicht, was ich sagen soll. Es gibt keine Worte, um die Trauer und Wut auszudrücken. Wir Expats aus dem Libanon tun, was wir können, um von hier aus zu unterstützen: Infos weitergeben, Spendenaktionen, den Kontakt zu unseren Lieben zuhause halten.

In der vergangenen Woche gab es breite Proteste gegen die libanesische Regierung, die von vielen für die Explosion verantwortlich gemacht wird.

Die Leute haben nichts mehr zu verlieren. Sie wollen ihre Grundrechte wie Essen, Unterkunft oder Elektrizität. Im Libanon gab es bereits vor der Katastrophe bis zu achtmal am Tag Stromausfälle – wie soll man so leben? Die Explosion war der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Die Regierung wusste von dem Ammoniumnitrat, das jahrelang ungesichert im Hafen gelagert wurde, aber niemand tat etwas. Die Menschen im Libanon werden keine Ruhe geben, bis die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden!

Am Montag sind Libanons Premier Hassan Diab und sein Kabinett zurückgetreten. Hoffst du, das es nun zu einem tiefer gehenden Wandel kommen wird?

Hoffentlich ist dies das Ende der Korruption. Die Menschen im Libanon haben sich immer wegen Differenzen gestritten: wenn du zum Beispiel muslimisch bist und ich christlich, arbeiten wir gegeneinander. Diese Haltung hat damals zum Bürgerkrieg im Libanon geführt, es ist die Mentalität der alten Generation. Die neue Generation aber ist sich bewusst, dass dieses Denken keinen Sinn ergibt. Wir brauchen ein neues Miteinander, das die Rechte aller Minderheiten und Gruppen mit einschließt, seien dies verschiedene Religionen, Frauen, Migrant*innen oder die queere Gemeinschaft.

Wie kann man die Betroffenen im Libanon unterstützen?

Spenden! Queers vor Ort leiden gerade massiv, und der beste Weg, ihnen zu helfen, ist über finanzielle Mittel. Einige meiner Freunde in Beirut bauen gerade einen Fund für LGBTI* auf, die von der Explosion betroffen sind. Über die beiden Spendenkampagnen Funds for LGBTQ victims of Beirut's explosion und Disaster Relief for Lebanese Transgender Community kann man zum Beispiel direkt unterstützen. Als Direktor des Soura Film Festivals plane ich eine zusätzliche Filmnacht am 26. August, um Gelder für betroffene LGBTI* zu sammeln.

Das Soura Filmfest vom 1. bis 4. Oktober in Berlin ist ein Festival für queeres Kino aus dem Mittleren Osten und Nordafrika, das du gegründet hast. Wie wird das Programm in diesem Jahr aussehen?

Es ist noch vielfältiger geworden. Wir waren überwältigt, so viele Filme aus Ländern zu sehen, von denen man nicht geglaubt hätte, dass sie überhaupt queeres Kino produzieren: wie der Sudan oder Aserbaidschan. Andere Länder im Program sind u. a. Libanon, Marokko, Tunesien, Iran, Jordanien und Israel. Wir haben dieses Jahr auch Einreichungen aus der Türkei, außerdem eine „Retrospektive“, in der Filme gezeigt werden, die in den 80er- und 90er-Jahren den Weg zum queeren Kino im Nahen Osten ebneten. Dazu gibt es Podiumsdiskussionen, an denen Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen und Filmemacher*innen von Beirut bis Berlin teilnehmen.

 

Soli-Filmnacht für betroffene LGBTI* in Beirut, 26.08.2020, Oyoun (Berlin-Neukölln), 21:00 Uhr

Soura Film Fest, 01.-04.10.2020, Oyoun

Spenden:

Funds for LGBTQ victims of Beirut's explosion

Spenden für Disaster Relief for Lebanese Transgender Community

 

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