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Nach Kontroverse ums LFT 2021: „Wir müssen aus den verhärteten Positionen rauskommen“

Janka Kluge vom Vorstand der Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V. erzählt von ihren persönlichen Erfahrungen in der Lesbenszene, beantwortet Fragen zu Ängsten und Vorbehalten und appelliert daran, „wieder aufeinander zuzugehen“.

Ted Eytan/ CC-BY-SA

Von Paula Lochte

30.5.2021 - Dieser Text ist Teil 6 unserer Debatten-Reihe zum Thema Transfeindlichkeit in der lesbischen Community, in der bereits Mahide Lein vom Lesbenfrühlingstreffen, Marion Lüttig vom Lesbenring e.V.,die trans Aktivistin Lou Kordts, die Autorin  Ahima Beerlageund die Journalistin Franziska Schulteß  zu Wort kamen. Weitere Interviews und Artikel werden folgen.

Am Pfingstwochenende fand das 47. Lesbenfrühlingstreffen statt, dem im Vorfeld Transfeindlichkeit vorgeworfen wurde. Heute befragen wir dazu Janka Kluge aus dem Bundesvorstand der dgti (Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V.), die sich seit Jahrzehnten für Transrechte einsetzt: Was können wir aus der Kontroverse lernen – und wie geht es nun weiter? (Anm. d. Red.: Das Interview wurde vor dem Lesbenfrühlingstreffen geführt.)

 

L-MAG: Das Lesbenfrühlingstreffen, kurz LFT, ist ein Festival voller Debatten, Workshops und Konzerte. Seit 1974 findet es an Pfingsten in wechselnden deutschen Städten statt. Du warst selbst mehrfach auf dem LFT. Wie hast du es erlebt?

Janka Kluge: Das erste Lesbenfrühlingstreffen, auf dem ich war, war Anfang der Neunzigerjahre in Tübingen. Meine damalige Freundin hatte mir gesagt: „Wir gehen da jetzt einfach hin – du gehörst genauso dazu wie die anderen auch!“ Ich hatte Angst. Denn ich hatte vom LFT in Hamburg einige Jahre zuvor gehört, dass dort trans Frauen übel beschimpft und ausgeschlossen wurden. Zwar wurde daraufhin der Beschluss gefasst, dass das LFT auch für lesbische, transsexuelle Frauen offen ist, trotzdem hatte ich mich jahrelang nicht hin getraut.

Waren deine Sorgen berechtigt?

Das Treffen in Tübingen 1990 war eine absolut positive Erfahrung. Ich bin einfach untergegangen zwischen den hunderten anderen Frauen. Und ich hatte meine Partnerin an meiner Seite. Ähnlich war es beim LFT in Stuttgart 1997. Das hatte meine Lebensgefährtin mitorganisiert, wodurch auch ich mich am Rande beteiligt habe.

Das diesjährige LFT wurde als transfeindlich kritisiert. Wie hast du die Debatte wahrgenommen?

Der Konflikt ist viel älter und geht viel weiter. Die Auseinandersetzung über Geschlecht, die Frage, wer eine Frau ist, wird nicht nur auf dem LFT geführt, sondern zum Beispiel auch im Bundestag. In der Debatte um Konversionstherapien hat ein Teil der feministischen Szene und der Lesbenszene gesagt: „Konversionstherapien für homosexuelle Jugendliche gehören verboten – aber bei trans Jugendlichen müssen sie weiter möglich sein.“ Unter den Frauen, die dann Abgeordnete angeschrieben haben, sind auch solche, die nun das LFT organisiert haben. Was mich entsetzt, ist, dass manche Feministinnen dabei den Schulterschluss mit Rechten nicht scheuen. Und dass das ein Konflikt ist, den ich schon vor 35 Jahren ausgetragen habe. Auch mir wurde von Lesben gesagt: „Du gehörst nicht dazu.“ Als ich Anfang der Achtzigerjahre von Berlin zurück nach Stuttgart gezogen bin und Anschluss gesucht habe, haben sie mir in einem Frauencafé explizit gesagt, sie wollen mich dort nicht. Das hat mich sehr verletzt. Erst vor anderthalb Jahren, bei einer Veranstaltung auf dem CSD Stuttgart, hat sich eine der Frauen bei mir entschuldigt. Weil sie gesehen hat: Ich bin immer noch da. Ich bin ein Teil der Community. Und mein Ziel war nicht, Frauenräume zu zerstören. Ich wollte mich einfach nur als Mensch einbringen.

Wie erklärst du dir die Vorbehalte gegenüber trans Frauen innerhalb der feministischen Bewegung?

Die ersten Kämpfe, von den Suffragetten, die das Wahlrecht für Frauen gefordert haben, bis zur zweiten Frauenbewegung, die in den Sechzigerjahren in Deutschland wieder aufgeflammt ist, waren stark geprägt von der Eigendefinition als Frau. Also Recht auf Selbstbestimmung. Recht auf Abtreibung. Wofür ich am Wochenende auch wieder auf einer Demo war, weil das für mich Teil feministische Solidarität mit anderen Frauen ist, auch wenn ich selbst nicht gebärfähig bin. Nun ist in der Frauenbewegung ein Teil stehengeblieben, ein anderer Teil hat sich in den Diskussionen weiterentwickelt zum Queerfeminismus und hat die Frage, was Geschlecht ist, neu gestellt. Und diese beiden feministischen Generationen, die zweite und die dritte, treffen nun aufeinander. Das ist eine Frage der Patriarchatsanalyse. Also: Was ist Geschlecht? Was ist ein Mann? Was ist eine Frau? Sind das naturgegebene Dinge? Und wenn sie jemand in Frage stellt, ist diese Person dann fehlgeleitet? Wer so denkt, hält trans Personen für verkappte Homosexuelle. Oder denkt, trans Frauen, seien eigentlich Männer, die versuchen, in Frauenräume einzudringen. Das ist ein Argument, das ich in den Achtzigerjahren immer wieder gehört habe. Und so wird auch aktuell gegen das Selbstbestimmungsgesetz argumentiert, das leider gerade im Bundestag gescheitert ist.

Am 19. Mai hat der Bundestag die Vorschläge von Grünen und FDP zu einer Reform des sogenannten Transsexuellengesetzes abgelehnt. Die beiden Parteien hatten gefordert, dass trans Personen fortan ohne psychiatrische Gutachten ihren Namen und ihren Geschlechtseintrag ändern können.

Als Argument gegen das Selbstbestimmungsgesetz wird immer wieder vorgebracht: „Dann kann sich jeder Mann zu einer Frau erklären und damit in Frauenräume eindringen und Frauen vergewaltigen.“ Wer so argumentiert, hat die Gewalttätigkeit des Patriarchats nicht wirklich verstanden. Ein Mann muss nicht den Weg zum Standesamt gehen und sich zur Frau erklären, um vergewaltigen zu können. Das ist ein Umweg, den gewalttätige, sexistische Männer nicht nehmen müssen. Wenn sie in Frauentoiletten eindringen, dringen sie als Männer ein. Insofern ist die ganze Diskussion grundlegend fehlgeleitet. Aber es ist sehr schwer in dieser emotional geführten Debatte sachlich zu bleiben und auf Zahlen und Fakten zu verweisen.

Ein zweites Argument, das immer wieder vorgebracht wird, ist: Sich selbst mit einem anderen Geschlecht zu identifizieren, reiche nicht aus, weil es auch Fälle gibt, in denen Personen ihre Transition später bereuen. Was würdest du diesem Argument entgegnen?

Entscheidend ist in diesen Fällen nicht die Änderung des Namens oder des Geschlechtseintrags, um die es im Selbstbestimmungsgesetz geht. Das Entscheidende sind körperliche Eingriffe und Veränderungen. Und diesen Weg zu gehen, um am Ende festzustellen, dass dieser Weg falsch war, ist unheimlich schlimm. Wenn man sich die Zahlen anschaut, wird aber deutlich: Das ist ein Bruchteil aller Leute, die transitionieren. Dennoch ist natürlich jedes dieser Schicksale eines zu viel. Aber anstatt sie zum Paradebeispiel zu erklären, wäre es wichtig zu fragen: Wie können wir solche Fälle in Zukunft verhindern? Wie können wir die Beratung verbessern? In Stuttgart habe ich in den Achtzigerjahren eine der ersten Selbsthilfegruppen für trans Personen in Deutschland gegründet. Jahrzehnte später hat mich ein Mann bei einer Veranstaltung angesprochen. Er war damals in der Selbsthilfegruppe und hat dann unter anderem durch mich festgestellt, dass er nicht trans ist. Heute ist er glücklich verheiratet mit einem Mann.

Er hat also festgestellt, dass er schwul ist und nicht trans.

Das kann eine Erkenntnis sein. Es ist ein Selbstfindungsprozess. Ich habe hunderte Menschen begleitet. Und die meisten haben spätestens in der Pubertät von ihrer Ich-Geschlechtlichkeit gewusst. Und es dann aber aus Angst nicht formuliert und in sich verschlossen. Das Tolle ist, dass es inzwischen Freiräume gibt, in denen diese Menschen ihre Identität leben können. Ich habe mich damals, Ende der Sechzigerjahre, Anfang der Siebzigerjahre, sehr allein gefühlt. Es gab kein Internet, ich kannte niemand anderen. Dann habe ich in der Bravo einen Artikel über eine junge Frau gelesen, die ähnlich empfunden hat. Das war für mich sehr ermutigend. Da habe ich gedacht: „Es gibt zumindest noch diese eine andere!“ Als ich dann nach Berlin gezogen bin, habe ich eine Anzeige in der taz aufgegeben und nach Gleichgesinnten gesucht. Da haben sich auch einige gemeldet – aber ich war vollkommen schockiert. Denn alle, die sich gemeldet haben, sind auf den Strich gegangen. Da habe ich begriffen, was es heißt, trans zu sein und keine Chance auf legale Papiere zu haben. Also keine Möglichkeit, mit der Geschlechtlichkeit, die man empfindet, die man ist, einen Arbeitsplatz zu kriegen. Weil überall steht ja der falsche Name und das falsche Geschlecht drauf. Ich habe dann gedacht: „Vielleicht bin ich ja doch nicht trans, sondern schwul und traue mich nur nicht, sexuellen Kontakt zu Männern aufzunehmen.“ Ich bin dann bewusst in die schwule Szene von Berlin gegangen, habe Travestieshows gemacht – und habe festgestellt, dass ich nicht schwul bin.

Teil des Programms auf dem LFT 2021 ist ein Vortrag über Detransition. Es geht um Menschen, die ihre Transition bereuen und rückgängig machen wollen. Wie stehst du zu dem Thema?

Ich halte es für wichtig, zu fragen, warum Menschen ihre Transition bereuen. Für manche war es nicht der richtige Weg. Aber es war eben für sie nicht der richtige Weg und nicht grundsätzlich der falsche Weg. Andere halten die Diskriminierung, die sie zum Beispiel als trans Frau erfahren, nicht aus. Wieder andere hatten vielleicht überzogene Erwartungen. Ich habe auch gedacht: „Wenn ich erst im richtigen Geschlecht bin, lösen sich all meine Probleme.“ Mein Elternhaus hatte mit Ablehnung und Gewalt darauf reagiert, dass ich trans bin. Und so habe ich mich in den Alkohol geflüchtet und war kaum 18 Jahre alt und schon Alkoholikerin. Als ich nach der geschlechtsangleichenden OP aufgewacht bin, habe ich gedacht: „Jetzt kann ich aufhören zu trinken. Jetzt habe ich keinen Grund mehr.“ Aber ich bin erst einige Jahre später trocken geworden. Denn dass ich Alkoholikerin bin, meine Geschichte und meine Probleme habe ich mitgenommen. Und das tun alle.

Die Fronten scheinen in der aktuellen Diskussion verhärtet. Wo siehst du Dialogmöglichkeiten?

Für die dgti, die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität, organisiere ich gerade eine Online-Podiumsdiskussion, wo es um die Frage geht: Wie kommen wir wieder miteinander ins Gespräch? Ich habe den Verein Lesbenfrühlingstreffen angefragt. Denn das LFT wird jedes Jahr von anderen Ehrenamtlichen organisiert, aber der Verein ist immer dabei: Er gibt dem jeweiligen Team das organisatorische Rüstzeug. Auch bei der Podiumsdiskussion vertreten ist die Magnus-Hirschfeld-Stiftung.

Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld hatte das LFT mitfinanziert – und sich, als Kritik am Programm laut wurde, von diesen Veranstaltungen distanziert.

Genau. Die Stiftung hat sich distanziert, ihr Geld aber nicht zurückgerufen, was ich richtig finde. Denn das Ziel ist ja nicht, die ehrenamtlichen Organisatorinnen vom LFT in den finanziellen Ruin zu treiben. Was mich aber berührt hat, ist, dass ich zum ersten Mal in diesen vielen Jahren der Auseinandersetzung eine öffentliche Solidarität von Frauen- und Lesbenorganisationen mit trans Personen erlebt habe. Das fand ich sehr bestärkend.

Wer nimmt noch an der Podiumsdiskussion teil?

Auch vertreten sind das Stuttgarter Projekt 100% Mensch, die dgti-Vorsitzende Petra Weitzel und die Journalistin Stephanie Kuhnen. Außerdem jemand vom Verein LesbenRing, vom Bundesverband Trans* und von Transmann e. V. – der größten Organisation von Transmännern in Deutschland. Und eine Kinder- und Jugendtherapeutin aus Hamburg, die viele trans Kinder und Jugendliche begleitet. Die Diskussion ist für den 10. Juni geplant und soll mitdazutun, dass wir aus den verhärteten Positionen rauskommen. Denn wir müssen wieder aufeinander zugehen.

Aktuelle Informationen zu der geplanten Veranstaltung stehen auf Facebook.

Janka Kluge, 62, hat in den 1980er Jahren mit ihrer Transition begonnen und eine der ersten Selbsthilfegruppen für trans Menschen in Deutschland gegründet. Sie arbeitet für das Freie Radio für Stuttgart und engagiert sich im Bundesvorstand des Vereins dgti – Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität.

 

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