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Nach Vorwürfen der Transfeindlichkeit gegen das LFT 2021: „Ich plädiere für mehr Gelassenheit“

Till Randolf Amelung, trans Autor und Kritiker vieler trans und queerfeministischer Positionen, spricht mit L-MAG über den lange schwelenden Konflikt, Abwertung weiblicher Sexualität und die Frage, wieso es nicht den Begriff „Menschen mit Prostata“ gibt.

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Von Paula Lochte

13.6.2021 - Dieser Text ist Teil 7 unserer Debatten-Reihe zur Transfeindlichkeit in der lesbischen Community, ausgelöst durch die Vorwürfe ans diesjährige Lesbenfrühlingstreffen (LFT). Zu Wort kamen bereits Mahide Lein vom Lesbenfrühlingstreffen, Marion Lüttig vom Lesbenring e.V.,die trans Aktivistinnen Lou Kordts  und Janka Kluge, die Autorin  Ahima Beerlage und die Journalistin Franziska Schulteß.

Till Randolf Amelung, Autor des Buchs „Irrwege – Analyse aktueller queerer Politik“ (Querverlag, 2020), eckt mit seiner Kritik an Positionen queerfeministischer und trans Aktivist*innen regelmäßig an. Im Interview spricht über er einen Konflikt, der schon lange schwelte, den Vorwurf der Frauenfeindlichkeit an trans Aktivist*innen, seine Erfahrungen als bisexueller trans Mann in der schwulen Community und die Frage, warum es den Ausdruck „Menschen mit Gebärmutter“ gibt, aber nicht „Menschen mit Prostata“.

 

L-MAG: Das Lesbenfrühlingstreffen, das seit 1974 an Pfingsten stattfindet, hat dieses Jahr eine Kontroverse um Transfeindlichkeit ausgelöst. Wie hast du die Debatte wahrgenommen?

Amelung: Ich rechne seit Jahren mit so einer Kontroverse. Denn ich beobachte immer mehr Konflikte, die nicht richtig bearbeitet werden. Mich hat überrascht, dass so etwas nicht früher passiert ist.

Auf dem LFT sind also Konflikte aufgebrochen, die schon länger schwelen. Was sind das für Konflikte?

Es gibt zwei Kernpunkte. Der eine ist die Frage: Was ist Geschlecht und, damit verbunden, was ist lesbisch? Der andere Punkt ist das Verhältnis zwischen Feministinnen zu Trans. Seit 2014 habe ich immer komischere Sachen wahrgenommen in Mailinglisten, auf Facebook und auf Veranstaltungen der links-alternativen Szene wie Ladyfesten…

… das sind feministische Festivals.

Genau. In den sozialen Medien waren dann Sachen zu lesen wie: „Die Deko hat getriggert.“ Oder dass es schlimm transphob sei, dass ein Vulva-Motiv verwendet wurde oder dass Workshops über vaginale Ejakulation trans-ausschließend seien. Aus den USA war Ähnliches und teilweise noch Krasseres zu hören. Speziell auf Lesben bezogen gab es dann plötzlich Thesen wie: „Wer Begehren an körperliche Bedingungen knüpft, ist strukturell transphob.“ Ab 2011 geisterte dann der Essay einer US-amerikanischen trans Frau herum, mit dem Schlagwort „Cotton Ceiling“. Hast du das schon einmal gehört?

„Ceiling“, englisch „Decke“, analog zur „Gläsernen Decke“, die Frauen den Weg in Führungspositionen versperrt. Und „Cotton“, Baumwolle, wie ...

Schlüpfer, Unterwäsche. Diese trans Frau, Drew DeVeaux, beklagte sich, dass sie zwar auf Lesbenveranstaltungen dabei sein könne, aber wenn es um Sex ginge, würde sie sehr oft abgewiesen. Das hat mich auch deshalb irritiert, weil sie als Pornodarstellerin Lesbenpornos gemacht hat – so schlimm kann es also doch nicht gewesen sein. Und egal ob trans oder nicht: Du kannst nicht erwarten, dass du jeden Menschen, den du begehrenswert findest, ins Bett kriegst.

Begehren ist nicht gerecht. Wir finden ja auch manche Menschen hässlich oder nervig.

So ist es!

Was eint die Beispiele, die du genannt hast?

Das waren alles Sachen, die mir Bauchschmerzen bereitet haben. Ich habe gedacht: „Leute, was macht ihr da? Das Eis ist zu dünn dafür!“ Einige Feministinnen haben angefangen, abwehrend auf trans Themen zu reagieren. Denn da wollten einige trans Personen zu viel: Ich kann nicht erwarten, dass ich auf einmal das Bild, wie Geschlecht in der Welt gesehen wird, fundamental ändern kann. Dass ich bestimmen kann, wie feministische Arbeit auszusehen hat. Und wie lesbische Sexualität definiert wird.

Sollten wir weiterhin Vulven als Deko auf feministischen und lesbischen Festivals aufhängen?

Ja! Ich würde für mehr Gelassenheit plädieren. Außerdem: Die Stellung der Frau und das Verhältnis zu weiblicher Körperlichkeit ist immer noch nicht so, gesellschaftlich wie persönlich, dass das ein konfliktfreies Verhältnis wäre. Vaginen und die weibliche Sexualität werden kulturell abgewertet.

Es ist also immer noch ein politisches Statement, Vulven und weibliche Sexualität positiv zu besetzen.

Richtig. Dafür fehlte völlig die Sensibilität. Eve Ensler, die das Stück „Vagina-Monologe“ geschrieben hat und der von einer studentischen Theatergruppe vorgeworfen wurde, ihr Stück sei nicht trans-inklusiv genug, hat eine Sache gesagt, die ich gern zitiere: „Drei Milliarden Frauen haben eine Vagina. Es muss ihnen möglich sein, darüber zu sprechen – ohne als transphob zu gelten.“

Welche Erfahrungen hast du selbst in Bezug auf Sex und Sexualität in der queeren Community gemacht?

Ich persönlich habe auf eine Genital-OP verzichtet, weil das für trans Männer noch immer mit hohen Risiken verbunden ist. Darüber rede ich mit einem möglichen Sexualpartner offen. Ich muss darüber reden, dass das vielleicht nicht das ist, was das Gegenüber erwartet oder womit es umgehen kann. Zugleich muss ich aber sagen, dass ich kaum an Menschen gerate, die ein Problem damit haben. Ich würde mich ja nun nicht als Brad Pitt bezeichnen – ich bin ein dicker, bärtiger Mann mit Brille. Trotzdem mache ich keine schlimmen Erfahrungen. Ich verstehe also nicht, warum sich andere immer beschweren, wie diskriminierend und schlimm alles ist. Ich denke, das liegt nicht nur an anderen, sondern vielleicht auch an einem selbst.

Vor deiner Transition hast du lesbisch gelebt. Wie ist das heute?

Ich würde heute sagen, dass ich schon immer bisexuell war. Wobei ich früher keine heterosexuellen Männer begehrt habe, und heute keine heterosexuellen Frauen. Mir war relativ am Anfang meiner Transition bewusst: Wenn ich mich stärker als Mann ausprobieren möchte, dann ist die Lesbencommunity nicht der richtige Ort für mich – denn die dreht sich nun einmal primär darum, dass Frauen Frauen begehren und sich dann Räume und Plattformen schaffen, um einander zu finden und sich auszutauschen.

Interessanterweise kommen sowohl das LFT als auch alle Beispiele, die du genannt hast, die schon davor auf einen schwelenden Konflikt hingedeutet haben, aus einem lesbisch-feministischen Kontext. Mahide Lein, eine der Mitorganisatorinnen des diesjährigen LFT, hat uns im L-MAG-Interview gesagt, das liege auch an Frauenfeindlichkeit. Wie siehst du das?

Es hat schon eine Schlagseite. Was in den vergangenen Jahren alles für Kontroversen gesorgt hat, habe ich in vergleichbarer Intensität im schwulen Kontext, in dem ich mich jetzt schon seit einigen Jahren bewege, so nicht wahrgenommen. Da gibt es keine breitflächigen Forderungen, zum Beispiel Umschreibungen zu wählen. Es gibt den Ausdruck „Menschen mit Gebärmutter“, aber nicht „Menschen mit Prostata“. Da kann ich schon verstehen, dass Frauen sagen: „Moment mal, warum müssen wir schon wieder alles ausbaden?!“

Hast du eine Erklärung für diese Schlagseite?

Bestimmte Diskussionen rezipieren Frauen stärker. Etwa zu intersektionalem Feminismus, der sagt, dass unterschiedliche Diskriminierungsformen, wie beispielsweise Sexismus und Rassismus, miteinander verwoben sind. Außerdem, so ist meine Wahrnehmung, sind in lesbischen und feministischen Kontexten, im Vergleich zu schwulen Kontexten, mehr Personen unterwegs, die sich als nicht-binär definieren. Und von denen stellen auch manche Forderungen nach Entgeschlechtlichung, damit alles möglichst inklusiv ist.

Eine These, die gerade diskutiert wird, ist: Mädchen und Frauen liefen Gefahr, sich deshalb als trans oder nicht-binär zu definieren, weil sie sexistische Rollenbilder nicht erfüllen wollen oder können. Was hältst du davon?

Die Gefahr besteht tatsächlich. Aus der Frauen- und Mädchenarbeit höre ich, dass Jugendliche, bei denen vielleicht noch psychische Erkrankungen und Konflikte in der Familie hinzukommen, oft nicht unterscheiden können: Geht es um mein persönlich empfundenes Geschlecht? Um gesellschaftliche Erwartungen, mit denen ich hadere? Oder um andere Probleme, von denen ich voller überzogener Erwartungen hoffe, dass ich sie mit einer Transition lösen kann? Dass einem das eigene Geschlecht falsch vorkommt – dieses Gefühl weist nicht eindeutig darauf hin, dass man trans ist. Es kann auch Teil einer Pubertätskrise sein. Und wir müssen uns auch der Tatsache stellen, dass viele Lesben und Schwule in ihrer Kindheit oder Jugend diese Gefühle haben. In solchen Fällen braucht es Leute und Therapeuten, die ergebnisoffen arbeiten können und bei Bedarf nachhaken, wo die eigentliche Ursache liegt. Das gilt dann aber schnell als Angriff auf die geschlechtliche Selbstdefinition. Das halte ich für fatal.

Was sagst du zu dem Vorwurf, trans Personen würden traditionelle Rollenbilder verfestigen?

Die Sache ist die: Wir sind nicht besser oder schlechter als andere Menschen. Diese Erwartungshaltung an uns trans Personen ist völlig überzogen. Wir begeben uns in einen Prozess der eigenen Mann- oder Frauwerdung, in dem wir uns aus dem bedienen, was in der Gesellschaft ohnehin vorhanden ist. Was man aber von allen, ob cis oder trans, erwarten kann, ist, sich kritisch mit Rollenbildern auseinanderzusetzen. Ich muss als Mann nicht Frauen belästigen oder erniedrigen.

Am 19. Mai hat der Bundestag die Vorschläge von Grünen und FDP zu einer Reform des sogenannten Transsexuellengesetzes abgelehnt. Für eine Änderung des Geschlechtseintrages und des Vornamens sind weiterhin zwei psychiatrische Gutachten nötig. Zu Recht?

Ich bin froh, dass die Entwürfe der Grünen und der FDP gescheitert sind. Der Kompromissvorschlag der CDU/ CSU mit einer Beratungslösung und einer Begutachtung bei Minderjährigen, der Anfang des Jahres abgelehnt wurde, war das Beste, was man auf lange Sicht hätte bekommen können. Die Gutachten in ihrer jetzigen Form halte ich aber für nicht sinnvoll, weil sie in ihrer Qualität so unterschiedlich ausfallen. Es gibt keinen einheitlichen Qualitätsstandard, was Leute für Fragen beantworten müssen, wie lang ihre Sitzungen sind und wie viele Termine sie haben. Bei manchen passieren Dinge, wo man verstehen kann, dass das als übergriffig bewertet wird. Hier müsste eine deutliche Vereinheitlichung dessen stattfinden, was zulässig, zielführend und angemessen ist.

Das Problem ist also nicht die Beratung, sondern die Qualität der Beratung. Braucht es Beratungen auch bei Änderung des Vornamens oder des Geschlechts?

Ja, vor allem aber bei medizinischen Eingriffen. Es gibt meines Wissens nach immer noch keine Langzeitstudien zur Hormontherapie und den OPs.

War die Transition für dich dennoch der richtige Weg?

Ich bin zufrieden, aber ich habe mir auch keine falschen Illusionen gemacht. Ich habe mir mehr Zeit genommen als manch andere. Ich bin auch andere Baustellen angegangen und habe nicht erwartet, dass diese Baustellen nach der Transition wie von Zauberhand verschwinden. Für mich war es eine gute Entscheidung, die ich jedem anderen auch empfehlen würde – mit Bedacht und ohne sich der Möglichkeit zu versperren, es könnte vielleicht doch etwas Anderes sein. Der wichtigste Schritt ist gemacht, wenn man beginnt, sein tiefes Unbehagen zu ergründen.

Till Randolf Amelung, 37, ist freier Autor. Er hat in Göttingen Geschichte und Geschlechterforschung studiert und zuletzt das Buch „Irrwege – Analyse aktueller queerer Politik“ herausgegeben.

 

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