L-Mag

Preis für lesbische* Sichtbarkeit: „Wir alle stehen auf Ilses Schultern“

Gestern wurde in Berlin zum ersten Mal der Preis für lesbische* Sichtbarkeit verliehen. L-MAG über einen bewegenden Abend und die Kontroversen um den Preis.

jackielynn Jurorin Stephanie Kuhnen, die den Preis für Ilse Kokula entgegen nahm, und die beiden anderen Nominierten İpek İpekçioğlu und Sigrid Grajek (v.l.n.r.)

Von Hannah Geiger

03.07.18 - Im vollbesetzten Berliner Club SchwuZ wurde gestern während eines sehr emotionalen Abends mit vielen bewegenden Reden zum ersten Mal der Preis für lesbische* Sichtbarkeit verliehen. Ausgelobt wurde er von der Berliner Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung. Der lang ersehnte und längst überfällige Preis soll alle zwei Jahre vergeben werden und Lesben* ehren, die sich für die Belange von lesbischen Frauen eingesetzt haben oder einsetzen.

Aus insgesamt 30 Nominierten wurden von einer unabhängigen 5-köpfigen Jury drei Personen ausgewählt. Neben Dr. Ilse Kokula, Autorin und Aktivistin im Kampf für lesbische Sichtbarkeit, die 2007 schon das Bundesverdienstkreuz für ihr Engagement für die Belange von Schwulen und Lesben erhalten hatte, waren İpek İpekçioğlu, deutsch-türkische Sozialpädagogin, DJ und Mitbegründerin des Vereins GLADT e.v., und die Kabarettistin und Claire Waldoff-Interpretin Sigrid Grajek nominiert.

Ilse Kokula: Bedeutung für die ganze Berliner LGBT-Community

Den Preis gewann Dr. Ilse Kokula, jedoch entschloss sich die Jury, das Preisgeld von 3000 Euro auf alle drei Nominierten zu verteilen.

Die 1944 geborene Aktivistin konnte leider aus gesundheitlichen Gründen nicht an der Verleihung teilnehmen. Um sie zu würdigen, hielt die Journalistin und Buchautorin Stephanie Kuhnen als Teil der Jury eine berührende Laudatio, in der sie Ilses Bedeutung für die lesbische Szene, aber auch für die ganze Berliner LGBT-Community betonte. Kokula hatte in den 1970er- und 1980er Jahren bahnbrechende lesbische Schriften wie „Der Kampf gegen Unterdrückung“ oder „Formen lesbischer Subkultur“ veröffentlicht.

Die Preisverleihung bezeichnete Stephanie Kuhnen als einen „historischen Moment“ und griff Kokulas Worte auf, die sich aufgrund des gesellschaftlichen Rechtsrucks gewünscht hatte, dass İpek İpekçioğlu als Lesbe of Colour gewinne. Denn „jetzt müssen wir die stärken, die angegriffen werden“.

„Für mich bedeutet der Preis eine großartige Anerkennung für die jahrelange Arbeit, die Ilse, Sigrid und ich gemacht haben. Ich fühle mich sehr geehrt“, erklärt İpek İpekçioğlu im Gespräch mit L-MAG. „Die Szene ist besser, größer und vielfältiger geworden und ich als Lesbe mit Migrationshintergrund finde es schön zu sehen, dass lesbische Migrantinnen immer sichtbarer werden. Dass ich als PoC-Frau in dieser Jury gesehen wurde, finde ich toll.“ Sigrid Grajek begrüßte die Verleihung an Kokula: „Dass Ilse den Preis jetzt bekommen hat, finde ich richtig, weil – wie Stephanie Kuhnen in ihrer Laudatio gesagt hat – wir alle auf Ilses Schultern stehen“.

Szeneinterne Kritik an der Preisverleihung

Im Vorfeld der Preisverleihung gab es einige szeneinterne Kontroversen, die den weiten Weg zu lesbischer Sichtbarkeit verdeutlichen. So hatte Marcel de Groot, Geschäftsführer der Berliner Schwulenberatung, in einem Brief an den Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung und Verantwortlichen des Preises, Dirk Behrendt, den Preis kritisiert. Es würde ein „Zielgruppenranking“, durchgeführt, das Lesben auf Kosten der Sichtbarkeit von trans* und inter Menschen hervorheben würde: „Um jetzt aus dieser Gruppe der LSBTI*-Menschen eine Teilgruppe durch einen Preis hervorzuheben ist kontraproduktiv. (…) Statt den Zusammenhalt in der Community zu stärken, werden hiermit die weiteren Vorurteile und Abgrenzungen gefördert“, heißt es in dem Brief.

Als Folge von de Groots Brief entspann sich in sozialen Medien eine hitzige Debatte. Johannes Kram sprach in seinem „Nollendorfblog“ für den Preis für lesbische* Sichtbarkeit aus und kritisierte Marcel de Groot für die Instrumentalisierung von trans* und inter* Menschen. Einen Skandal produzierte daraufhin Olaf Alp, der ehemalige Verleger und derzeitige Online-Redakteur* der Schwulenzeitschrift Blu, indem er Johannes Krams Text auf Facebook mit den lesbenfeindlichen Worten kommentierte: „Die sind schon so hässlich, warum wollen sie dann noch sichtbar sein?“

Macht ein Lesbenpreis Trans*- und Intermenschen unsichtbarer?

Auch auf lesbischer Seite stieß der Preis nicht nur auf Zuspruch. In einer gestern veröffentlichten Pressemitteilung von LesMigras und der Lesbenberatung bezweifelten die Beratungsstellen, dass der Preis viel an der Lebensrealität von Lesben ändere. Außerdem befürchteten sie, dass es durch den Preis zu Spaltungen innerhalb der Community kommen könne: „Sofern eine cis-normative Definition von Lesbisch-Sein zugrunde gelegt wird, kann kritisiert werden, warum andere Gruppierungen, die enorme strukturelle und gesellschaftliche Diskriminierungen erfahren (wie Interpersonen oder Transmenschen) nicht sichtbarer gemacht werden.“

Anders als von den Kritikerinnen suggeriert, bezieht der Preis aber auch lesbische trans* Frauen mit ein. Auf der Seite der Senatsverwaltung heißt es, dass für den Preis „Lesben*, unabhängig des bei der Geburt zugewiesenen Geschlechts“ vorgeschlagen werden können.

"Kontroverse Diskussion hält sich länger"

Trotz der Debatten im Vorfeld war die Verleihung des ersten Preises für lesbische* Sichtbarkeit ein voller Erfolg. Dirk Behrendt machte in seiner Rede nochmals deutlich, dass er die Kritik nicht nachvollziehen könne und nach wie vor den Preis als Anstoß sehe, lesbische Sichtbarkeit zu stärken.

Auch Sigrid Grajek bleibt optimistisch: „Diskussion ist immer gut, kontroverse Diskussion ist noch besser, die hält sich länger.“ Gut also, wenn Diskussionen aufdecken, was in den Untiefen so mancher schwuler Gedanken schlummert. Und um mit den Worten Stephanie Kuhnens zu schließen, die in ihrer Laudatio auf den Brief de Groots einging: „Selbst die Schwulenberatung steht auf Ilses Schultern.“

*In der ursprünglichen Fassung wurde er fälschlicherweise als aktueller Verleger bezeichnet.

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