„Princess Charming“: War's das jetzt?
Statt überhöhter Prinzessin und der vagen Aussicht auf die große Liebe war uns in „Princess Charming“ immer das queere Familiengefühl wichtiger. Nach enttäuschender Staffel 4 mit „Charming Girls“-Cast stellt sich die Frage: Wie soll's jetzt weitergehen?
Von Karin Schupp
26.9.2024 - Es ist erst drei Jahre her und fühlt sich doch noch ganz frisch an: Die erste Staffel von Princess Charming eroberte 2021 unsere Herzen und zeigte so viele unterschiedliche lesbische und queere Frauen, wie sie noch nie im deutschen Fernsehen zu sehen waren (wenn auch, genretypisch, nur unter 35-Jährige). Irina, Lou, Elsa, Miri & Co. brachten eine gut gelaunte lesbische Community in unsere Wohnzimmer, statt Trashfaktor gab’s interessante LGBTQ-Themen, solidarische Wärme und, ja, auch romantisches Prickeln.
Die große Liebe jedoch – das war bald klar - stand nie im Mittelpunkt, auch für die Kandidat:innen nicht. Mehr als von der vagen Aussicht, die selten gesehene „Princess“ zu erobern, fühlten sich viele vom Gemeinschaftsfühl, den Freundschaften und der Dauerparty in der Villa angezogen.
Das romantisierende Konzept der künstlich überhöhten Princess, schon in Heteroformaten fragwürdig, wurde in Princess Charming endgültig ad absurdum geführt. Wenn man den ganzen Tag von anderen queeren Singles umgeben ist: wieso sollte man sich nach einer Person verzehren, die einem – wenn überhaupt - nur für wenige Minuten am Tag ihre Zeit schenkt?
Bis die Singles begannen, sich nicht mehr an die Regeln zu halten
RTL ignorierte zunächst hartnäckig, dass sich auch mit Villen-Romanzen schöne Geschichten erzählen lassen, und fokussierte sich in Staffel 2 noch stärker auf die Kernidee der Sendung - zum Verdruss des lesbischen Publikums (wir berichteten) .
Schließlich begannen viele Singles, sich einfach nicht mehr an die goldenen Datingshow-Regeln zu halten (wer – anders als viele Heteroshow-Kandidat:innen – nicht auf eine Trash-TV-Karriere hofft, kann das ja entspannt tun): Sie behaupteten nicht mal nach außen hin, nur für die Princess Augen zu haben, und flirteten fröhlich untereinander. In der Villa fanden sich Paare, der Ruf nach Charming Girls wurde lauter, und auch wir machten drei Vorschläge für lesbische Datingshows, die demokratischer sind.
Staffel 4: Princess Charming mit Charming Girls-Cast
In diesem Jahr hielt RTL dann nur noch vordergründig am Prinzessinnen-Prinzip fest: Staffel 4 war Princess Charming mit einem Charming Girls-Cast. Die (behauptete) Suche nach der großen Liebe war offensichtlich keine Vorbedingung mehr, in die Villa zogen Serial-Daterinnen, zwei polyamor lebende Singles und solche, die offene Beziehungen bevorzugen, was die diesjährige Princess Lea für sich ausgeschlossen hatte.
Hinzu kam, dass die Princess die Kandidatinnen Maike und Marlen schon vorher kannte, und plötzlich herrschte Datingshow-Anarchie: Maike in all ihrer emotionalen Zerrissenheit wurde fast zur Hauptfigur gemacht – kein Wunder, denn mit ihr ließ sich der beste Spannungsbogen erzählen. Und vielleicht sogar der einzige: Leas frühe Favoritin Lucia hatte Sex mit Seleya, und auch Inci und Marlen, die ebenfalls Chancen bei Lea hatten, spielten das Princess-Spiel nicht brav mit und flirteten zudem noch untereinander.
Vielleicht hätte es tatsächlich funktionieren können, jeweils das Beste der beiden Welten kombinieren können. Aber dazu hätte man weitere Sendungselemente ändern und die Öffnung des Konzepts kommunizieren müssen, um Princess und Publikum nicht zu überrumpeln.
Die Princess als Außenseiterin in ihrer eigenen Show
Lea reagierte hilflos und frustriert, und nie zuvor war so schmerzhaft deutlich, dass die Princess in ihrer eigenen Show tatsächlich die Außenseiterin ist. Da kann sie noch so begehrenswert sein: Die Nähe, die die Kandidat:innen in der 24/7-Villen-Isolation in Turbogeschwindigkeit aufbauen, kann sie bei ihren kurzen Besuchen und Speed-Datings nicht annähernd aufholen.
Und wenn sie, wie Lea, vor lauter Klärungsgesprächen viel zu wenig Zeit fürs Kennenlernen und Flirten hat und - außer Marjam – niemand ernsthaft nach ihrer schmachtet, ist das Konzept endgültig gescheitert (wobei betont werden muss, dass das keineswegs an Lea selbst lag).
Regeländerungen hätten für frischen Wind sorgen können
All das führte dazu, dass der Staffel die angenehme Leichtigkeit fehlte. Viele Zuschauer:innen sahen Lea unfair behandelt und die ständigen Diskussionen um Beziehungskonzepte nervten nicht nur, sondern störten auch die gewohnte Harmonie.
Schade, dass die Produktionsfirma sich unflexibel zeigte und während der Dreharbeiten nicht reagierte: Mit spontanen Regeländerungen hätte man doch frischen Wind in die Charming-Bude bringen können. Interessant wäre etwa gewesen, wenn Lea – wenigstens für 24 Stunden - in die Villa eingezogen wäre, um sie näher ans Geschehen zu rücken.
Charming Boys: Rumgezicke, Streit und Paarungszwang
Und wie geht’s jetzt weiter? RTL hat sich zur Zukunft von Princess Charming noch nicht geäußert und auch kein Charming Girls (bzw. Charming Queers oder Charming Persons) in Aussicht gestellt - die schwule Charming Boys wurden jedenfalls nach 2023 nicht fortgestzt. Aber würden wir diesen in ein liebloses Game-Konzept gequetschten Paarungszwang wirklich wollen? Eine mit Rumgezicke und Streit aufgepimpte Sendung wie Charming Boys wäre jedenfalls nicht die solidarische, herzliche Queer Family, die wir uns doch wünschen.
Wie wär’s also mit Are You The One?,ebenfalls eine RTL+-Produktion, in der die - bisher männlichen und weiblichen - Teilnehmenden ihr „Perfect Match“ finden müssen. Wieso es keine queere Version dieser erfolgreichen Sendung (9 Staffeln!) gibt, bleibt das Rätsel von RTL, das stattdessen auf die Trashisierung durch Hetero-„Stars“ aus anderen Datinghows setzt.
Bi-Datingshows mit Geschlechterkampf sind keine Alternative
Die gleichnamige Originalversion aus den USA versuchte es 2019 einmal mit bisexuellen Singles – Männer und Frauen - und kehrte dann wieder zum Hetero-Modus zurück. Eine Datingshow mit eingebautem „Geschlechterkampf“, wie ihn aktuell auch Die Bachelorette bietet, ist aber kein Charming-Ersatz: In der 11. Staffel mit der bisexuellen Bachelorette Stella sind die fünf weiblichen Singles in der Minderheit, müssen sich in der männlich dominierten Villa behaupten und teilweise homophoben Reaktionen aussetzen – das kennen wir schließlich allzu gut aus der realen Welt.
Beziehungsstress statt Communitygefühl
In The Ultimatum: Queer Love (Netflix, unser Bericht) aus den USA sind lesbische und queere Paare zwar unter sich, aber im Mittelpunkt steht nicht das Communitygefühl, sondern eine fragwürdige Prämisse: Fünf Paare, die vor der Entscheidung stehen, ob sie heiraten oder sich stattdessen lieber trennen sollen (dazwischen gibt’s nichts!), ziehen per Partner:innentausch mit den anderen Kandidat:innen in einer „Probe-Ehe“ zusammen und müssen nach drei Wochen ihre Entscheidung treffen. Eiine zweite Staffel kommt, aber würde das Konzept in Deutschland funktionieren? Und das Publikum gut unterhalten?
Liebe, Strohfeuer, Versuchungen und Freundschaften
Am besten schaffte das zuletzt die britische Datingshow I Kissed a Girl (BBC), die im Frühjahr lief. Nach ihrer Ankunft in einer italienischen Villa wurden die Kandidatinnen in Paare aufgeteilt, mussten sich gleich zur Begrüßung küssen und dann schauen, ob aus ihnen etwas werden könnte. In regelmäßigen „Kiss-Offs“ konnten sie ihre Verbindung wieder neu mit einem Kuss besiegeln oder mussten eine andere Partnerin finden, um nicht ausziehen zu müssen.
Hier gab’s alles: Liebe auf den ersten Blick, Strohfeuer, die Kandidatin, die sich jeden Tag in eine andere verliebte, und immer wieder Versuchungen durch neue Frauen, die ins Haus einzogen. Das ständige Bäumchen-wechsel-dich-Spiel war zwar ein bisschen stressig, aber das Gemeinschaftsgefühl war ähnlich wie in Princess Charming, und die Kandidatinnen freuten sich ebenso, queere Freundinnen gefunden zu haben (wenn auch meist nicht die große Liebe).
Muss die Liebe überhaupt im Mittelpunkt stehen?
Bleibt die Frage: Was wollen wir eigentlich? Ist das Thema Princess Charming durch, nachdem das Konzept endgültig entzaubert wurde? Muss die Liebe überhaupt im Mittelpunkt stehen? Würde uns eine Sendung genügen, die eine Gruppe lesbischer und queerer Frauen beim Kennenlernen, Urlauben, Spaß haben, Diskutieren, Flirten und vielleicht sogar Verlieben zeigt? Einfach lesbisches Leben aus lesbischer Perspektive? Aus Sender-Sicht spräche da gar nicht mal viel dagegen, solange die Zugriffszahlen und Einschaltquoten stimmen, aber das ist halt leider unwahrscheinlich.
Wir sollten eher das Grundproblem ins Visier nehmen: Bis heute ist Princess Charming das einzige lesbische Reality-Format im gesamten deutschen TV-Programm ist (abgesehen von zwei lesbischen Folgen von Take Me Out, die schon durch ihre Betitelung als „Specials“ zeigten, dass sie als Ausnahme gedacht sind). Und auch wenn wir alle anderen Genres inklusive der Fiktion dazuzählen, kommt nur sehr wenig hinzu.
Auch mal aus der (heteronormativen) Realität wegträumen
Wir sollten also insgesamt mehr lesbische Vielfalt im Fernsehen (und deutschen Streamingdiensten) fordern, mehr Sendungen mit lesbischen, bisexuellen, pansexuellen Charakteren, mehr queere Themen, mehr Liebesgeschichten und Wohlfühlprogramm. Denn auch wir haben das Recht darauf, die Welt aus unserem Blickwinkel zu sehen und zu hören und uns mal für eine Stunde aus der (heteronormativen) Realität wegzuträumen.
Und es muss ja auch nicht zwingend das Reality- oder Dating-Genre sein. Wäre es nicht traumhaft, wenn nicht mehr nur ein Format alleine die Bürde tragen müsste, alle Erwartungen der gesamten lesbisch-queeren Community zu erfüllen? Wäre es nicht wunderbar, einfach eine Alternative einschalten zu können, wenn uns ein Programm nicht gefällt?
Deshalb: Fordert, fragt nach, bringt Ideen ein! Auf dass wir irgendwann sagen können: „Princess Charming? Stimmt, das war der tolle Anfang, aber seitdem gab’s so viele neue und noch bessere Ideen!“
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